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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr.

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Litteratur

"Waldfräuleius" nicht durch einen befriedigenderen ersetzt werden sollte, denn das
echte Märchen ist nicht grausam, sondern befriedigt seinen naiven Hörer, wäre zu
bedenken. Uns schien es, daß der arme Hirte, der der Versuchung anheimfällt,
lieber begnadigt werden sollte; etwa so, das; sich Waldfränlein und Annemarie
schließlich als eins zeigen oder dergl.


John Grand-Carteret, Lrikpi Lismirrnlc ot, I". Iriplo-^VIliÄNttv um <;>i,ri<',!>.tui'hö.
Paris, Ch. Delagrcwe

Mit der Zusammenstellung von Karikaturen auf Bismarck hat der Heraus¬
geber viel Glück gehabt. Die vorliegende Fortsetzung wird ohne Zweifel in
Frankreich und bei der unzurechnungsfähigen Gesellschaft "radikaler" Italiener
manchen: Vergnügen bereiten, darüber hinaus dürfte die Persönlichkeit kaum
gleiches Interesse erregen, geschweige die Art der Verspottung. Grand-Carteret
weiß den italienischen Karrikatnrenzcichnern viel Gutes nachzusagen, allein wir
gestehen, ihre Leistungen an Witz oft mehr als mäßig, ihren Geschmack mitunter
recht bedauerlich zu finden. Die Blätter, die am meisten berücksichtigt worden sind,
Don Chiseivtte, Fischietto und dergl., hassen den Staatsmann, der mit Garibaldi
nach Sizilien gezogen ist, aber zu verständig und patriotisch war, um dessen spätere
Irrfahrten mitzumachen, sie hassen ihn, weil er Italien nicht Frankreich ins
Schlepptau hängen wollte. Der Haß aber verfügt selten über wahren Witz.
Crispi, der Verräter an der Freiheit, Crispi, abtrünnig dem Helden Garibaldi,
Crispi als Marionette oder Affe Bismarcks, Crispi, dessen Bewerbungen von der
als Kokotte gekleideten französischen Republik schnöde zurückgewiesen werden -- an
diesem ewigen Einerlei Gefallen zu finden, dazu gehört doch ein wenig Ranküne,
von der frei zu sein der Herausgeber versichert. Und nun gar so ekelhafte Bilder,
wie die nackte Flora mit Crispis, die Cirkusreiterin mit Grimnldis Kopf und dazu
der zotige Text! Über den gestürzten Gegner ergießt sich dann der Hohn recht
unedel; Crispi, der fich selbst die Treppe hinunterwirft im Kladderadatsch, ist
witziger als alle gleichzeitigen italienischen und französischen Karikaturen. Daß
sich Grand-Carteret für einen unparteiischen Geschichtschreiber hält, glauben wir
ihm gern: er ist so unparteiisch, wie er es als Franzose von heute zu sein vermag.
Er "verkennt nicht Crispis Bedeutung," obgleich dieser kein antiker Charakter ist,
"mehr auf die Erhaltung seiner Macht als ans das öffentliche Wohl bedacht."
Denn "Frankreich, was man much sagen oder thun möge, ist im ganzen das Land
der reinen Unparteilichkeit, der edeln und erhabenen Gefühle." Wenn nur uicht
jeder Vonlevardschwätzer die Macht hätte, diese edeln Gefühle zum Schweigen zu
bringen!






Für die Redaktion verantwortlich: Johannes Grunow in Leipzig
Verlag von Fr. Wilh. Grnnow in Leipzig -- Druck von Carl Marquart in Leipzig
Litteratur

„Waldfräuleius" nicht durch einen befriedigenderen ersetzt werden sollte, denn das
echte Märchen ist nicht grausam, sondern befriedigt seinen naiven Hörer, wäre zu
bedenken. Uns schien es, daß der arme Hirte, der der Versuchung anheimfällt,
lieber begnadigt werden sollte; etwa so, das; sich Waldfränlein und Annemarie
schließlich als eins zeigen oder dergl.


John Grand-Carteret, Lrikpi Lismirrnlc ot, I». Iriplo-^VIliÄNttv um <;>i,ri<',!>.tui'hö.
Paris, Ch. Delagrcwe

Mit der Zusammenstellung von Karikaturen auf Bismarck hat der Heraus¬
geber viel Glück gehabt. Die vorliegende Fortsetzung wird ohne Zweifel in
Frankreich und bei der unzurechnungsfähigen Gesellschaft „radikaler" Italiener
manchen: Vergnügen bereiten, darüber hinaus dürfte die Persönlichkeit kaum
gleiches Interesse erregen, geschweige die Art der Verspottung. Grand-Carteret
weiß den italienischen Karrikatnrenzcichnern viel Gutes nachzusagen, allein wir
gestehen, ihre Leistungen an Witz oft mehr als mäßig, ihren Geschmack mitunter
recht bedauerlich zu finden. Die Blätter, die am meisten berücksichtigt worden sind,
Don Chiseivtte, Fischietto und dergl., hassen den Staatsmann, der mit Garibaldi
nach Sizilien gezogen ist, aber zu verständig und patriotisch war, um dessen spätere
Irrfahrten mitzumachen, sie hassen ihn, weil er Italien nicht Frankreich ins
Schlepptau hängen wollte. Der Haß aber verfügt selten über wahren Witz.
Crispi, der Verräter an der Freiheit, Crispi, abtrünnig dem Helden Garibaldi,
Crispi als Marionette oder Affe Bismarcks, Crispi, dessen Bewerbungen von der
als Kokotte gekleideten französischen Republik schnöde zurückgewiesen werden — an
diesem ewigen Einerlei Gefallen zu finden, dazu gehört doch ein wenig Ranküne,
von der frei zu sein der Herausgeber versichert. Und nun gar so ekelhafte Bilder,
wie die nackte Flora mit Crispis, die Cirkusreiterin mit Grimnldis Kopf und dazu
der zotige Text! Über den gestürzten Gegner ergießt sich dann der Hohn recht
unedel; Crispi, der fich selbst die Treppe hinunterwirft im Kladderadatsch, ist
witziger als alle gleichzeitigen italienischen und französischen Karikaturen. Daß
sich Grand-Carteret für einen unparteiischen Geschichtschreiber hält, glauben wir
ihm gern: er ist so unparteiisch, wie er es als Franzose von heute zu sein vermag.
Er „verkennt nicht Crispis Bedeutung," obgleich dieser kein antiker Charakter ist,
„mehr auf die Erhaltung seiner Macht als ans das öffentliche Wohl bedacht."
Denn „Frankreich, was man much sagen oder thun möge, ist im ganzen das Land
der reinen Unparteilichkeit, der edeln und erhabenen Gefühle." Wenn nur uicht
jeder Vonlevardschwätzer die Macht hätte, diese edeln Gefühle zum Schweigen zu
bringen!






Für die Redaktion verantwortlich: Johannes Grunow in Leipzig
Verlag von Fr. Wilh. Grnnow in Leipzig — Druck von Carl Marquart in Leipzig
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[0152] Litteratur „Waldfräuleius" nicht durch einen befriedigenderen ersetzt werden sollte, denn das echte Märchen ist nicht grausam, sondern befriedigt seinen naiven Hörer, wäre zu bedenken. Uns schien es, daß der arme Hirte, der der Versuchung anheimfällt, lieber begnadigt werden sollte; etwa so, das; sich Waldfränlein und Annemarie schließlich als eins zeigen oder dergl. John Grand-Carteret, Lrikpi Lismirrnlc ot, I». Iriplo-^VIliÄNttv um <;>i,ri<',!>.tui'hö. Paris, Ch. Delagrcwe Mit der Zusammenstellung von Karikaturen auf Bismarck hat der Heraus¬ geber viel Glück gehabt. Die vorliegende Fortsetzung wird ohne Zweifel in Frankreich und bei der unzurechnungsfähigen Gesellschaft „radikaler" Italiener manchen: Vergnügen bereiten, darüber hinaus dürfte die Persönlichkeit kaum gleiches Interesse erregen, geschweige die Art der Verspottung. Grand-Carteret weiß den italienischen Karrikatnrenzcichnern viel Gutes nachzusagen, allein wir gestehen, ihre Leistungen an Witz oft mehr als mäßig, ihren Geschmack mitunter recht bedauerlich zu finden. Die Blätter, die am meisten berücksichtigt worden sind, Don Chiseivtte, Fischietto und dergl., hassen den Staatsmann, der mit Garibaldi nach Sizilien gezogen ist, aber zu verständig und patriotisch war, um dessen spätere Irrfahrten mitzumachen, sie hassen ihn, weil er Italien nicht Frankreich ins Schlepptau hängen wollte. Der Haß aber verfügt selten über wahren Witz. Crispi, der Verräter an der Freiheit, Crispi, abtrünnig dem Helden Garibaldi, Crispi als Marionette oder Affe Bismarcks, Crispi, dessen Bewerbungen von der als Kokotte gekleideten französischen Republik schnöde zurückgewiesen werden — an diesem ewigen Einerlei Gefallen zu finden, dazu gehört doch ein wenig Ranküne, von der frei zu sein der Herausgeber versichert. Und nun gar so ekelhafte Bilder, wie die nackte Flora mit Crispis, die Cirkusreiterin mit Grimnldis Kopf und dazu der zotige Text! Über den gestürzten Gegner ergießt sich dann der Hohn recht unedel; Crispi, der fich selbst die Treppe hinunterwirft im Kladderadatsch, ist witziger als alle gleichzeitigen italienischen und französischen Karikaturen. Daß sich Grand-Carteret für einen unparteiischen Geschichtschreiber hält, glauben wir ihm gern: er ist so unparteiisch, wie er es als Franzose von heute zu sein vermag. Er „verkennt nicht Crispis Bedeutung," obgleich dieser kein antiker Charakter ist, „mehr auf die Erhaltung seiner Macht als ans das öffentliche Wohl bedacht." Denn „Frankreich, was man much sagen oder thun möge, ist im ganzen das Land der reinen Unparteilichkeit, der edeln und erhabenen Gefühle." Wenn nur uicht jeder Vonlevardschwätzer die Macht hätte, diese edeln Gefühle zum Schweigen zu bringen! Für die Redaktion verantwortlich: Johannes Grunow in Leipzig Verlag von Fr. Wilh. Grnnow in Leipzig — Druck von Carl Marquart in Leipzig

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_289767/152>, abgerufen am 13.11.2024.