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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr.

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Das gleiche Wahlrecht

l
e Thorheit der Franzosen, sich selbst immer aufs neue einzureden,
daß ihnen 187 t schweres Unrecht zugefügt worden sei, vor
dessen Sühnung sie sich nicht beruhigen dürsten, wird von uus
in allen politischen Erwägungen und Berechnungen berücksichtigt,
und das mit Recht. Doch haben wir auch Ursache, uns die
mindestens ebenso große Thorheit vieler Italiener vor Angen zu halten. Auch
sie gebärden sich, als ob das Heil ihres Landes, dessen Zustände doch in
mehreren Veziehuugeu recht besorglicher Art sind, von dem Gewinn einer
Provinz abhinge, die ihnen schnöde "vorenthalten" wird. Es wäre begreiflich,
wenn sich dabei ihre Blicke nach Nordwesten richteten, nach dein Stnmmlaude
ihres Herrscherhauses und der Gebnrtsstadt ihres nationalen Helden. Aber
dessen letzter Donqnixotestreich, sein Auszug zur Errettung der französischen
Republik von den nordischen Barbaren, scheint die Erinnerung an die
grausame Komödie, durch die Frankreich sich für seine Hilfeleistung bezahlt
machte, fast gänzlich ausgelöscht zu haben. Nicht Savohen und Nizza fordern
sie, sondern das Trentino und Triest. Um ihre Ansprüche ans Trient ge¬
schichtlich zu begründen, müßten sie auf die Zeit der langobardische" Herzoge
zurückgreifen, denn im letzten Jahrtausend sind Stadt und Gebiet gerade drei
Jahre laug italienisch von Frankreichs Gnaden gewesen, Triest haben sie nie
besessen. sonderlichen Gewinn würden sie von der Erwerbung auch nicht
haben, das Stück Südtirol ist ein armes Gebirgsland, und an Häfen leidet
Italien keinen Mangel. Richtig ist nur, daß sich auf beiden Stellen die
italienische Sprache merklich ausbreitet, die Bewohner des Gebietes von Trient
zum größten Teil "welsch oder verwelscht" sind, und daß die Levantiner,
Juden u. s. w., die in Triest, einer echten Hafenstadt, das große Wort führen,


Grenzlimcn II 1L9Z, 46


Das gleiche Wahlrecht

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e Thorheit der Franzosen, sich selbst immer aufs neue einzureden,
daß ihnen 187 t schweres Unrecht zugefügt worden sei, vor
dessen Sühnung sie sich nicht beruhigen dürsten, wird von uus
in allen politischen Erwägungen und Berechnungen berücksichtigt,
und das mit Recht. Doch haben wir auch Ursache, uns die
mindestens ebenso große Thorheit vieler Italiener vor Angen zu halten. Auch
sie gebärden sich, als ob das Heil ihres Landes, dessen Zustände doch in
mehreren Veziehuugeu recht besorglicher Art sind, von dem Gewinn einer
Provinz abhinge, die ihnen schnöde „vorenthalten" wird. Es wäre begreiflich,
wenn sich dabei ihre Blicke nach Nordwesten richteten, nach dein Stnmmlaude
ihres Herrscherhauses und der Gebnrtsstadt ihres nationalen Helden. Aber
dessen letzter Donqnixotestreich, sein Auszug zur Errettung der französischen
Republik von den nordischen Barbaren, scheint die Erinnerung an die
grausame Komödie, durch die Frankreich sich für seine Hilfeleistung bezahlt
machte, fast gänzlich ausgelöscht zu haben. Nicht Savohen und Nizza fordern
sie, sondern das Trentino und Triest. Um ihre Ansprüche ans Trient ge¬
schichtlich zu begründen, müßten sie auf die Zeit der langobardische» Herzoge
zurückgreifen, denn im letzten Jahrtausend sind Stadt und Gebiet gerade drei
Jahre laug italienisch von Frankreichs Gnaden gewesen, Triest haben sie nie
besessen. sonderlichen Gewinn würden sie von der Erwerbung auch nicht
haben, das Stück Südtirol ist ein armes Gebirgsland, und an Häfen leidet
Italien keinen Mangel. Richtig ist nur, daß sich auf beiden Stellen die
italienische Sprache merklich ausbreitet, die Bewohner des Gebietes von Trient
zum größten Teil „welsch oder verwelscht" sind, und daß die Levantiner,
Juden u. s. w., die in Triest, einer echten Hafenstadt, das große Wort führen,


Grenzlimcn II 1L9Z, 46
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[0357] [Abbildung] Das gleiche Wahlrecht l e Thorheit der Franzosen, sich selbst immer aufs neue einzureden, daß ihnen 187 t schweres Unrecht zugefügt worden sei, vor dessen Sühnung sie sich nicht beruhigen dürsten, wird von uus in allen politischen Erwägungen und Berechnungen berücksichtigt, und das mit Recht. Doch haben wir auch Ursache, uns die mindestens ebenso große Thorheit vieler Italiener vor Angen zu halten. Auch sie gebärden sich, als ob das Heil ihres Landes, dessen Zustände doch in mehreren Veziehuugeu recht besorglicher Art sind, von dem Gewinn einer Provinz abhinge, die ihnen schnöde „vorenthalten" wird. Es wäre begreiflich, wenn sich dabei ihre Blicke nach Nordwesten richteten, nach dein Stnmmlaude ihres Herrscherhauses und der Gebnrtsstadt ihres nationalen Helden. Aber dessen letzter Donqnixotestreich, sein Auszug zur Errettung der französischen Republik von den nordischen Barbaren, scheint die Erinnerung an die grausame Komödie, durch die Frankreich sich für seine Hilfeleistung bezahlt machte, fast gänzlich ausgelöscht zu haben. Nicht Savohen und Nizza fordern sie, sondern das Trentino und Triest. Um ihre Ansprüche ans Trient ge¬ schichtlich zu begründen, müßten sie auf die Zeit der langobardische» Herzoge zurückgreifen, denn im letzten Jahrtausend sind Stadt und Gebiet gerade drei Jahre laug italienisch von Frankreichs Gnaden gewesen, Triest haben sie nie besessen. sonderlichen Gewinn würden sie von der Erwerbung auch nicht haben, das Stück Südtirol ist ein armes Gebirgsland, und an Häfen leidet Italien keinen Mangel. Richtig ist nur, daß sich auf beiden Stellen die italienische Sprache merklich ausbreitet, die Bewohner des Gebietes von Trient zum größten Teil „welsch oder verwelscht" sind, und daß die Levantiner, Juden u. s. w., die in Triest, einer echten Hafenstadt, das große Wort führen, Grenzlimcn II 1L9Z, 46

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209866/357>, abgerufen am 04.07.2024.