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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Erstes Vierteljahr.

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Berlin und sein Hof im Jahre ^6^6

der ^etzrer wie der der Schiller einen möglichst weiten freien Spielraum
lassen.

Vor allem aber muß der jetzige Zustand aufhören, wo das Berechtigungswesen
mit der Eitelkeit und den Standesvvrurteileu der Eltern zusammenwirkt, den
Gymnasien alljährlich tausende von Knaben zuzuführen, die nicht hingehören.
Dem wo'0ilium rü8ti<zum soll man, mag es auch noch so hoch geboren sein,
gestatten, ein tüchtiger und glücklicher Bauer oder harmloser Rentner zu werden,
und der Staat soll nicht mehr fragen, von welcher Anstalt der junge Manu
herkommt und wie lange er die Schulbank gedrückt hat, sondern Probiren, ob
er in dem Fache, wozu er sich meldet, zu gebrauchen ist. Wenn, wie es
scheint, dein Wunsche des Kaisers gemäß das Realgymnasium beseitigt, die
Gründung von Bürgerschulen begünstigt und in den starren Wall der Be¬
rechtigungen Bresche gelegt wird, so wird das nach der zuletzt angedeuteten
Seite hin schon eine entschiedne Wendung zum Bessern sein.




Berlin und sein Hof im Dahre ^>9f>
Reiseerinnerungen des Fra Alessandrc Biehl ans Siena (Schluß)

is ich dem Kurfürsten meine Aufwartung machte, war es früh¬
morgens vor dem Frühstück, da er Fremde zu keiner andern
Zeit empfängt. Während ich im Vorzimmer, wo sich sehr viele
Herren befanden, wartete, hatte ich Gelegenheit, mich allen ersten
Beamten, uuter andern Herrn Dankelmann, dem Premierminister
des Kurfürsten, und Herrn Gäth,^) dem Oberkammerherrn, vorzustellen; beide
sind seine Günstlinge. Zu letzteren äußerte ich den Wunsch, bei Seiner kur¬
fürstlichen Hoheit eingeführt zu werden, und diese Ehre wurde mir sofort
zu teil.

Ich machte mein Kompliment auf italienisch, und der Kurfürst antwortete
mir auf französisch. Er unterhielt sich etwa eine halbe Stunde mit mir und
fragte mich nach vielerlei. Er forderte mich nicht auf, mich zu bedecken, aber
ebenso wenig bedeckte er sich. Ich fand ihn in der Mitte einer kleinen Galerie
stehen. Er entließ mich, indem er Oberkörper und Haupt ein wenig neigte



K"the von Wartenberg, der bekannte Graf Wartenbera.
Berlin und sein Hof im Jahre ^6^6

der ^etzrer wie der der Schiller einen möglichst weiten freien Spielraum
lassen.

Vor allem aber muß der jetzige Zustand aufhören, wo das Berechtigungswesen
mit der Eitelkeit und den Standesvvrurteileu der Eltern zusammenwirkt, den
Gymnasien alljährlich tausende von Knaben zuzuführen, die nicht hingehören.
Dem wo'0ilium rü8ti<zum soll man, mag es auch noch so hoch geboren sein,
gestatten, ein tüchtiger und glücklicher Bauer oder harmloser Rentner zu werden,
und der Staat soll nicht mehr fragen, von welcher Anstalt der junge Manu
herkommt und wie lange er die Schulbank gedrückt hat, sondern Probiren, ob
er in dem Fache, wozu er sich meldet, zu gebrauchen ist. Wenn, wie es
scheint, dein Wunsche des Kaisers gemäß das Realgymnasium beseitigt, die
Gründung von Bürgerschulen begünstigt und in den starren Wall der Be¬
rechtigungen Bresche gelegt wird, so wird das nach der zuletzt angedeuteten
Seite hin schon eine entschiedne Wendung zum Bessern sein.




Berlin und sein Hof im Dahre ^>9f>
Reiseerinnerungen des Fra Alessandrc Biehl ans Siena (Schluß)

is ich dem Kurfürsten meine Aufwartung machte, war es früh¬
morgens vor dem Frühstück, da er Fremde zu keiner andern
Zeit empfängt. Während ich im Vorzimmer, wo sich sehr viele
Herren befanden, wartete, hatte ich Gelegenheit, mich allen ersten
Beamten, uuter andern Herrn Dankelmann, dem Premierminister
des Kurfürsten, und Herrn Gäth,^) dem Oberkammerherrn, vorzustellen; beide
sind seine Günstlinge. Zu letzteren äußerte ich den Wunsch, bei Seiner kur¬
fürstlichen Hoheit eingeführt zu werden, und diese Ehre wurde mir sofort
zu teil.

Ich machte mein Kompliment auf italienisch, und der Kurfürst antwortete
mir auf französisch. Er unterhielt sich etwa eine halbe Stunde mit mir und
fragte mich nach vielerlei. Er forderte mich nicht auf, mich zu bedecken, aber
ebenso wenig bedeckte er sich. Ich fand ihn in der Mitte einer kleinen Galerie
stehen. Er entließ mich, indem er Oberkörper und Haupt ein wenig neigte



K»the von Wartenberg, der bekannte Graf Wartenbera.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209232/79>, abgerufen am 03.07.2024.