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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Erstes Vierteljahr.

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Allerhand ^prachdummheiten
^Fortsetzung)

esonders traurig ist es um den Konjunktiv des Imperfekts (und
des Plusquamperfekts) bestellt. Da giebt es einen Fall, der
freilich uicht jedem Holzklotz begreiflich zu machen ist, aber doch
auch nicht so schwierig ist, daß er nicht von einem leidlich be¬
fähigten Menschen zu verstehen wäre, umso mehr, als sich der
gewöhnliche Mann in der lebendigen Sprache auch da stets richtig ausdrückt,
ihm also eigentlich nur zum Bewußtsein gebracht zu werden braucht, weshalb
er sich so ausdrückt. In den fremden Sprachen wird denn auch der Junge
in der Schule gerade über diesen Fall wieder aufs genaueste unterrichtet, nur
in der Muttersprache erfährt er wieder nichts davon, und wenn er später
selber einmal drauf aufmerksam wird, schwankt, zweifelt, dann tritt auch hier
wieder ein, was bei kenntnislosem Nachdenken über Spracherscheinungen ge¬
wöhnlich eintritt: er tappt in der besten Absicht ins Falsche. Was ich meine,
sind die Nebensätze mit sogenanntem irrealen Sinn.

Die gebräuchlichste" und die, die wohl niemand so leicht falsch bildet,
weder beim Sprechen noch beim Schreiben, sind die irrealen Bedingungssätze
mit den dazugehörige" Hauptsätzen. Jedermann sagt und schreibt richtig:
wenn ich Geld hätte, käme ich, oder: wenn ich Geld gehabt hätte, wäre
ich gekommen. Der Sinn ist in dem ersten Falle: ich habe aber keins, im
zweiten: ich hatte aber keins, mit andern Worten: das Gcldhaben sowohl
wie die Folge davon, das Kommen, wird in beiden Fällen als nichtwirklich,
als "irreal" hingestellt. Die Sprache verfährt sehr drastisch dabei. Der Kon¬
junktiv an sich drückt ja schon ans, daß der Satz keine Thatsache enthält,
sondern nur etwas Gedachtes. Aber etwas Gedachtes kann ja immer uoch
möglich sein. Es soll aber noch mehr geschehen, es soll ausgedrückt werden,
daß der Satz eine Nichtthatsache, etwas Nichtwirkliches (Irreales) enthalte.
Das erreicht die Sprache dadurch, daß sie den Gedanken nicht bloß aus dem
Bereiche der Wirklichkeit (den der Indikativ ausdrücken würde) sondern
außerdem auch noch aus dem Bereiche der Gegenwart rückt: eine irreale Be¬
dingung in der Gegenwart wird durch das Imperfekt (wenn ich hätte), eine




Allerhand ^prachdummheiten
^Fortsetzung)

esonders traurig ist es um den Konjunktiv des Imperfekts (und
des Plusquamperfekts) bestellt. Da giebt es einen Fall, der
freilich uicht jedem Holzklotz begreiflich zu machen ist, aber doch
auch nicht so schwierig ist, daß er nicht von einem leidlich be¬
fähigten Menschen zu verstehen wäre, umso mehr, als sich der
gewöhnliche Mann in der lebendigen Sprache auch da stets richtig ausdrückt,
ihm also eigentlich nur zum Bewußtsein gebracht zu werden braucht, weshalb
er sich so ausdrückt. In den fremden Sprachen wird denn auch der Junge
in der Schule gerade über diesen Fall wieder aufs genaueste unterrichtet, nur
in der Muttersprache erfährt er wieder nichts davon, und wenn er später
selber einmal drauf aufmerksam wird, schwankt, zweifelt, dann tritt auch hier
wieder ein, was bei kenntnislosem Nachdenken über Spracherscheinungen ge¬
wöhnlich eintritt: er tappt in der besten Absicht ins Falsche. Was ich meine,
sind die Nebensätze mit sogenanntem irrealen Sinn.

Die gebräuchlichste» und die, die wohl niemand so leicht falsch bildet,
weder beim Sprechen noch beim Schreiben, sind die irrealen Bedingungssätze
mit den dazugehörige» Hauptsätzen. Jedermann sagt und schreibt richtig:
wenn ich Geld hätte, käme ich, oder: wenn ich Geld gehabt hätte, wäre
ich gekommen. Der Sinn ist in dem ersten Falle: ich habe aber keins, im
zweiten: ich hatte aber keins, mit andern Worten: das Gcldhaben sowohl
wie die Folge davon, das Kommen, wird in beiden Fällen als nichtwirklich,
als „irreal" hingestellt. Die Sprache verfährt sehr drastisch dabei. Der Kon¬
junktiv an sich drückt ja schon ans, daß der Satz keine Thatsache enthält,
sondern nur etwas Gedachtes. Aber etwas Gedachtes kann ja immer uoch
möglich sein. Es soll aber noch mehr geschehen, es soll ausgedrückt werden,
daß der Satz eine Nichtthatsache, etwas Nichtwirkliches (Irreales) enthalte.
Das erreicht die Sprache dadurch, daß sie den Gedanken nicht bloß aus dem
Bereiche der Wirklichkeit (den der Indikativ ausdrücken würde) sondern
außerdem auch noch aus dem Bereiche der Gegenwart rückt: eine irreale Be¬
dingung in der Gegenwart wird durch das Imperfekt (wenn ich hätte), eine


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[0619] [Abbildung] Allerhand ^prachdummheiten ^Fortsetzung) esonders traurig ist es um den Konjunktiv des Imperfekts (und des Plusquamperfekts) bestellt. Da giebt es einen Fall, der freilich uicht jedem Holzklotz begreiflich zu machen ist, aber doch auch nicht so schwierig ist, daß er nicht von einem leidlich be¬ fähigten Menschen zu verstehen wäre, umso mehr, als sich der gewöhnliche Mann in der lebendigen Sprache auch da stets richtig ausdrückt, ihm also eigentlich nur zum Bewußtsein gebracht zu werden braucht, weshalb er sich so ausdrückt. In den fremden Sprachen wird denn auch der Junge in der Schule gerade über diesen Fall wieder aufs genaueste unterrichtet, nur in der Muttersprache erfährt er wieder nichts davon, und wenn er später selber einmal drauf aufmerksam wird, schwankt, zweifelt, dann tritt auch hier wieder ein, was bei kenntnislosem Nachdenken über Spracherscheinungen ge¬ wöhnlich eintritt: er tappt in der besten Absicht ins Falsche. Was ich meine, sind die Nebensätze mit sogenanntem irrealen Sinn. Die gebräuchlichste» und die, die wohl niemand so leicht falsch bildet, weder beim Sprechen noch beim Schreiben, sind die irrealen Bedingungssätze mit den dazugehörige» Hauptsätzen. Jedermann sagt und schreibt richtig: wenn ich Geld hätte, käme ich, oder: wenn ich Geld gehabt hätte, wäre ich gekommen. Der Sinn ist in dem ersten Falle: ich habe aber keins, im zweiten: ich hatte aber keins, mit andern Worten: das Gcldhaben sowohl wie die Folge davon, das Kommen, wird in beiden Fällen als nichtwirklich, als „irreal" hingestellt. Die Sprache verfährt sehr drastisch dabei. Der Kon¬ junktiv an sich drückt ja schon ans, daß der Satz keine Thatsache enthält, sondern nur etwas Gedachtes. Aber etwas Gedachtes kann ja immer uoch möglich sein. Es soll aber noch mehr geschehen, es soll ausgedrückt werden, daß der Satz eine Nichtthatsache, etwas Nichtwirkliches (Irreales) enthalte. Das erreicht die Sprache dadurch, daß sie den Gedanken nicht bloß aus dem Bereiche der Wirklichkeit (den der Indikativ ausdrücken würde) sondern außerdem auch noch aus dem Bereiche der Gegenwart rückt: eine irreale Be¬ dingung in der Gegenwart wird durch das Imperfekt (wenn ich hätte), eine

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209232/619>, abgerufen am 03.07.2024.