Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Das Buch des öl-. Karl Peters

höhern Grad von Glückseligkeit sichern zu können; sollte diese in der Zukunft
eine Erhöhung erfahre", so würde sie wahrscheinlich der wiedergewonnenen
Einsicht zu danken sein, daß die Alten Recht hatten, wenn sie das Glück nicht
von einem zukünftigen Fortschritt erwarteten, sondern in der Zufriedenheit mit
dem, was gegenwärtig erreichbar ist, in der Mreg. mocliooriiW suchten.

Aber wie sich einer mich die Weltgeschichte zurechtlegen mag, soviel scheint
uns unzweifelhaft zu sein, daß keiner zu einem befriedigenden Ergebnis oder
überhaupt zu einem Ergebnis gelangen kann, der jener drei Tugenden entbehrt,
die die christliche Kirche als die göttlichen preist und als ihre von Gott ver¬
liehene Ausstattung sür sich allein in Anspruch nimmt, während sie gern be¬
kennt, daß ihre Glieder in den übrigen, den sogenannten sittlichen Tugenden
von den Heiden nicht selten beschämt werden. Wie könnten wir einen Sinn
in der Weltgeschichte finden, wenn wir nicht an eine in ihr waltende Vernunft
glaubten, auf ihren befriedigenden Ausgang hofften und ihre Helden, die
Menschen, liebten? Namentlich die Liebe ist unerläßlich. Denn um über die
Menschen und ihr Thun und Treiben richtig urteilen zu können, muß man sie
doch mindestens kennen. Die Liebe nnn führt freilich oft genug irre, weil sie
gern verschönert; aber Haß und Verachtung versperren die Pforten der Er¬
kenntnis ganz und gar, weil der von ihnen Verblendete die Gehaßten und
Verachteten keines Blickes würdigt.




Das Buch des öl-. Karl Meters
von Friedrich Ratzel

meer den großen Reisebeschreibungen unsrer Litteratur ist diese die
persönlichste.^) Wir haben eine Masse von persönlichen Reise¬
beschreibungen, aber sie sind in der Regel umso unbedeutender,
je mehr sich ihre Verfasser in den Vordergrund drängen. Bei
ernstern und gründlichern Naturen ist es immer mehr Sitte ge¬
worden, ganz zurückzutreten; man denke an Barth, an Nachtigal, die hinter
ihren Schilderungen oft so verschwinden, daß man das Blutleere, Kühle der-



Die deutsche Emin-Pascha-Expedition von Dr. Karl Peters. Mit 32 Voll¬
bildern und 66 Textabbildungen von Rudolf Hellgrewe in Berlin, dein Porträt des Verfassers
nach Lenbach und einer Karte in Farbendruck. München und Leipzig, Radvlf A. Oldcn-
bourg, 1891.
Das Buch des öl-. Karl Peters

höhern Grad von Glückseligkeit sichern zu können; sollte diese in der Zukunft
eine Erhöhung erfahre», so würde sie wahrscheinlich der wiedergewonnenen
Einsicht zu danken sein, daß die Alten Recht hatten, wenn sie das Glück nicht
von einem zukünftigen Fortschritt erwarteten, sondern in der Zufriedenheit mit
dem, was gegenwärtig erreichbar ist, in der Mreg. mocliooriiW suchten.

Aber wie sich einer mich die Weltgeschichte zurechtlegen mag, soviel scheint
uns unzweifelhaft zu sein, daß keiner zu einem befriedigenden Ergebnis oder
überhaupt zu einem Ergebnis gelangen kann, der jener drei Tugenden entbehrt,
die die christliche Kirche als die göttlichen preist und als ihre von Gott ver¬
liehene Ausstattung sür sich allein in Anspruch nimmt, während sie gern be¬
kennt, daß ihre Glieder in den übrigen, den sogenannten sittlichen Tugenden
von den Heiden nicht selten beschämt werden. Wie könnten wir einen Sinn
in der Weltgeschichte finden, wenn wir nicht an eine in ihr waltende Vernunft
glaubten, auf ihren befriedigenden Ausgang hofften und ihre Helden, die
Menschen, liebten? Namentlich die Liebe ist unerläßlich. Denn um über die
Menschen und ihr Thun und Treiben richtig urteilen zu können, muß man sie
doch mindestens kennen. Die Liebe nnn führt freilich oft genug irre, weil sie
gern verschönert; aber Haß und Verachtung versperren die Pforten der Er¬
kenntnis ganz und gar, weil der von ihnen Verblendete die Gehaßten und
Verachteten keines Blickes würdigt.




Das Buch des öl-. Karl Meters
von Friedrich Ratzel

meer den großen Reisebeschreibungen unsrer Litteratur ist diese die
persönlichste.^) Wir haben eine Masse von persönlichen Reise¬
beschreibungen, aber sie sind in der Regel umso unbedeutender,
je mehr sich ihre Verfasser in den Vordergrund drängen. Bei
ernstern und gründlichern Naturen ist es immer mehr Sitte ge¬
worden, ganz zurückzutreten; man denke an Barth, an Nachtigal, die hinter
ihren Schilderungen oft so verschwinden, daß man das Blutleere, Kühle der-



Die deutsche Emin-Pascha-Expedition von Dr. Karl Peters. Mit 32 Voll¬
bildern und 66 Textabbildungen von Rudolf Hellgrewe in Berlin, dein Porträt des Verfassers
nach Lenbach und einer Karte in Farbendruck. München und Leipzig, Radvlf A. Oldcn-
bourg, 1891.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0608" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/209841"/>
          <fw type="header" place="top"> Das Buch des öl-. Karl Peters</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1701" prev="#ID_1700"> höhern Grad von Glückseligkeit sichern zu können; sollte diese in der Zukunft<lb/>
eine Erhöhung erfahre», so würde sie wahrscheinlich der wiedergewonnenen<lb/>
Einsicht zu danken sein, daß die Alten Recht hatten, wenn sie das Glück nicht<lb/>
von einem zukünftigen Fortschritt erwarteten, sondern in der Zufriedenheit mit<lb/>
dem, was gegenwärtig erreichbar ist, in der Mreg. mocliooriiW suchten.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1702"> Aber wie sich einer mich die Weltgeschichte zurechtlegen mag, soviel scheint<lb/>
uns unzweifelhaft zu sein, daß keiner zu einem befriedigenden Ergebnis oder<lb/>
überhaupt zu einem Ergebnis gelangen kann, der jener drei Tugenden entbehrt,<lb/>
die die christliche Kirche als die göttlichen preist und als ihre von Gott ver¬<lb/>
liehene Ausstattung sür sich allein in Anspruch nimmt, während sie gern be¬<lb/>
kennt, daß ihre Glieder in den übrigen, den sogenannten sittlichen Tugenden<lb/>
von den Heiden nicht selten beschämt werden. Wie könnten wir einen Sinn<lb/>
in der Weltgeschichte finden, wenn wir nicht an eine in ihr waltende Vernunft<lb/>
glaubten, auf ihren befriedigenden Ausgang hofften und ihre Helden, die<lb/>
Menschen, liebten? Namentlich die Liebe ist unerläßlich. Denn um über die<lb/>
Menschen und ihr Thun und Treiben richtig urteilen zu können, muß man sie<lb/>
doch mindestens kennen. Die Liebe nnn führt freilich oft genug irre, weil sie<lb/>
gern verschönert; aber Haß und Verachtung versperren die Pforten der Er¬<lb/>
kenntnis ganz und gar, weil der von ihnen Verblendete die Gehaßten und<lb/>
Verachteten keines Blickes würdigt.</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Das Buch des öl-. Karl Meters<lb/><note type="byline"> von Friedrich Ratzel</note></head><lb/>
          <p xml:id="ID_1703" next="#ID_1704"> meer den großen Reisebeschreibungen unsrer Litteratur ist diese die<lb/>
persönlichste.^) Wir haben eine Masse von persönlichen Reise¬<lb/>
beschreibungen, aber sie sind in der Regel umso unbedeutender,<lb/>
je mehr sich ihre Verfasser in den Vordergrund drängen. Bei<lb/>
ernstern und gründlichern Naturen ist es immer mehr Sitte ge¬<lb/>
worden, ganz zurückzutreten; man denke an Barth, an Nachtigal, die hinter<lb/>
ihren Schilderungen oft so verschwinden, daß man das Blutleere, Kühle der-</p><lb/>
          <note xml:id="FID_54" place="foot"> Die deutsche Emin-Pascha-Expedition von Dr. Karl Peters. Mit 32 Voll¬<lb/>
bildern und 66 Textabbildungen von Rudolf Hellgrewe in Berlin, dein Porträt des Verfassers<lb/>
nach Lenbach und einer Karte in Farbendruck. München und Leipzig, Radvlf A. Oldcn-<lb/>
bourg, 1891.</note><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0608] Das Buch des öl-. Karl Peters höhern Grad von Glückseligkeit sichern zu können; sollte diese in der Zukunft eine Erhöhung erfahre», so würde sie wahrscheinlich der wiedergewonnenen Einsicht zu danken sein, daß die Alten Recht hatten, wenn sie das Glück nicht von einem zukünftigen Fortschritt erwarteten, sondern in der Zufriedenheit mit dem, was gegenwärtig erreichbar ist, in der Mreg. mocliooriiW suchten. Aber wie sich einer mich die Weltgeschichte zurechtlegen mag, soviel scheint uns unzweifelhaft zu sein, daß keiner zu einem befriedigenden Ergebnis oder überhaupt zu einem Ergebnis gelangen kann, der jener drei Tugenden entbehrt, die die christliche Kirche als die göttlichen preist und als ihre von Gott ver¬ liehene Ausstattung sür sich allein in Anspruch nimmt, während sie gern be¬ kennt, daß ihre Glieder in den übrigen, den sogenannten sittlichen Tugenden von den Heiden nicht selten beschämt werden. Wie könnten wir einen Sinn in der Weltgeschichte finden, wenn wir nicht an eine in ihr waltende Vernunft glaubten, auf ihren befriedigenden Ausgang hofften und ihre Helden, die Menschen, liebten? Namentlich die Liebe ist unerläßlich. Denn um über die Menschen und ihr Thun und Treiben richtig urteilen zu können, muß man sie doch mindestens kennen. Die Liebe nnn führt freilich oft genug irre, weil sie gern verschönert; aber Haß und Verachtung versperren die Pforten der Er¬ kenntnis ganz und gar, weil der von ihnen Verblendete die Gehaßten und Verachteten keines Blickes würdigt. Das Buch des öl-. Karl Meters von Friedrich Ratzel meer den großen Reisebeschreibungen unsrer Litteratur ist diese die persönlichste.^) Wir haben eine Masse von persönlichen Reise¬ beschreibungen, aber sie sind in der Regel umso unbedeutender, je mehr sich ihre Verfasser in den Vordergrund drängen. Bei ernstern und gründlichern Naturen ist es immer mehr Sitte ge¬ worden, ganz zurückzutreten; man denke an Barth, an Nachtigal, die hinter ihren Schilderungen oft so verschwinden, daß man das Blutleere, Kühle der- Die deutsche Emin-Pascha-Expedition von Dr. Karl Peters. Mit 32 Voll¬ bildern und 66 Textabbildungen von Rudolf Hellgrewe in Berlin, dein Porträt des Verfassers nach Lenbach und einer Karte in Farbendruck. München und Leipzig, Radvlf A. Oldcn- bourg, 1891.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209232
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209232/608
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209232/608>, abgerufen am 22.07.2024.