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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Erstes Vierteljahr.

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Die Frau und der Sozialismus

u einer Betrachtung über das Dunkel der Zukunft (in Ur. 6
der Grenzboten) verweilt der Verfasser besonders lange bei der
Thatsache - einer unbestreitbaren Thatsache --, daß die rö¬
mische Hierarchie durch ihr eignes Wesen gezwungen wird, den
Fortschritt der Erkenntnis nach Möglichkeit zu hemmen. Ob
ihr das Mittelalter hindurch die Hemmung in dem Grade gelungen ist, wie
in Protestantischen Kreisen gewöhnlich geglaubt wird, gedenken nur bei einer
andern Gelegenheit einmal zu untersuchen. Heute wollen wir nur deu Anlaß,
den das in der Anmerkung genannte Buch darbietet,*) benutzen, um darauf hin¬
zuweisen, wie glänzend, dank seinen ungeheuern Machtmitteln, dem modernen
Staate solche Hemnumgsversuche gelingen. Bebels Buch hat nämlich zwar
seine ersten acht Auflagen in dem Zustande des Verbotes erlebt, aber durch
das Verbot ist der einzige neue Gedanke, den es enthält, und um deswillen
es wahrscheinlich verboten worden ist, gerade deu Kreisen vorenthalten worden,
denen er geläufig sein muß, wenn er ein wirksamer Antrieb zum Fortschritt
werden soll.

Wäre es nicht dieser Gedanke, dessen Verbreitung mau verhindern wollte
(welchen wir meinen, werden wir später sagen), so wüßten wir nicht, wodurch
das Verbot gerechtfertigt werden könnte. Wer in dein Buche eine Befriedi¬
gung seiner Lüsternheit sucht, der täuscht sich. Vebel behandelt deu auf dem
Titel zunächst genannte" Gegenstand mit demselben sittlichen Ernst, mit der¬
selben Zartheit und in derselben würdigen Weise, wie wir es bei modernen
Theologen ersten Ranges zu finden gewohnt sind. Andre Leute, unter denen
wir einen viel und gern gelesenen Philosophen nennen könnten, drücken sich
weit roher uns. Nach unsern heutigen Sitten genügt allerdings zu, einem
Verbote wegen "unzüchtigen" Inhaltes schon das Eingehen ans anatomische
oder physiologische Einzelheiten bei Schriften über das Geschlechtsleben, wenn
sie nicht fachwisseuschaftlich, sondern für das große Publikum bestimmt sind.



Die Frau in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Von Slngnsi
Bebel, Reimte, gänzlich umgearbeitete Anflcige. Stuttgart, I. H, W. Metz, 189 t.


Die Frau und der Sozialismus

u einer Betrachtung über das Dunkel der Zukunft (in Ur. 6
der Grenzboten) verweilt der Verfasser besonders lange bei der
Thatsache - einer unbestreitbaren Thatsache —, daß die rö¬
mische Hierarchie durch ihr eignes Wesen gezwungen wird, den
Fortschritt der Erkenntnis nach Möglichkeit zu hemmen. Ob
ihr das Mittelalter hindurch die Hemmung in dem Grade gelungen ist, wie
in Protestantischen Kreisen gewöhnlich geglaubt wird, gedenken nur bei einer
andern Gelegenheit einmal zu untersuchen. Heute wollen wir nur deu Anlaß,
den das in der Anmerkung genannte Buch darbietet,*) benutzen, um darauf hin¬
zuweisen, wie glänzend, dank seinen ungeheuern Machtmitteln, dem modernen
Staate solche Hemnumgsversuche gelingen. Bebels Buch hat nämlich zwar
seine ersten acht Auflagen in dem Zustande des Verbotes erlebt, aber durch
das Verbot ist der einzige neue Gedanke, den es enthält, und um deswillen
es wahrscheinlich verboten worden ist, gerade deu Kreisen vorenthalten worden,
denen er geläufig sein muß, wenn er ein wirksamer Antrieb zum Fortschritt
werden soll.

Wäre es nicht dieser Gedanke, dessen Verbreitung mau verhindern wollte
(welchen wir meinen, werden wir später sagen), so wüßten wir nicht, wodurch
das Verbot gerechtfertigt werden könnte. Wer in dein Buche eine Befriedi¬
gung seiner Lüsternheit sucht, der täuscht sich. Vebel behandelt deu auf dem
Titel zunächst genannte» Gegenstand mit demselben sittlichen Ernst, mit der¬
selben Zartheit und in derselben würdigen Weise, wie wir es bei modernen
Theologen ersten Ranges zu finden gewohnt sind. Andre Leute, unter denen
wir einen viel und gern gelesenen Philosophen nennen könnten, drücken sich
weit roher uns. Nach unsern heutigen Sitten genügt allerdings zu, einem
Verbote wegen „unzüchtigen" Inhaltes schon das Eingehen ans anatomische
oder physiologische Einzelheiten bei Schriften über das Geschlechtsleben, wenn
sie nicht fachwisseuschaftlich, sondern für das große Publikum bestimmt sind.



Die Frau in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Von Slngnsi
Bebel, Reimte, gänzlich umgearbeitete Anflcige. Stuttgart, I. H, W. Metz, 189 t.
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[0397] [Abbildung] Die Frau und der Sozialismus u einer Betrachtung über das Dunkel der Zukunft (in Ur. 6 der Grenzboten) verweilt der Verfasser besonders lange bei der Thatsache - einer unbestreitbaren Thatsache —, daß die rö¬ mische Hierarchie durch ihr eignes Wesen gezwungen wird, den Fortschritt der Erkenntnis nach Möglichkeit zu hemmen. Ob ihr das Mittelalter hindurch die Hemmung in dem Grade gelungen ist, wie in Protestantischen Kreisen gewöhnlich geglaubt wird, gedenken nur bei einer andern Gelegenheit einmal zu untersuchen. Heute wollen wir nur deu Anlaß, den das in der Anmerkung genannte Buch darbietet,*) benutzen, um darauf hin¬ zuweisen, wie glänzend, dank seinen ungeheuern Machtmitteln, dem modernen Staate solche Hemnumgsversuche gelingen. Bebels Buch hat nämlich zwar seine ersten acht Auflagen in dem Zustande des Verbotes erlebt, aber durch das Verbot ist der einzige neue Gedanke, den es enthält, und um deswillen es wahrscheinlich verboten worden ist, gerade deu Kreisen vorenthalten worden, denen er geläufig sein muß, wenn er ein wirksamer Antrieb zum Fortschritt werden soll. Wäre es nicht dieser Gedanke, dessen Verbreitung mau verhindern wollte (welchen wir meinen, werden wir später sagen), so wüßten wir nicht, wodurch das Verbot gerechtfertigt werden könnte. Wer in dein Buche eine Befriedi¬ gung seiner Lüsternheit sucht, der täuscht sich. Vebel behandelt deu auf dem Titel zunächst genannte» Gegenstand mit demselben sittlichen Ernst, mit der¬ selben Zartheit und in derselben würdigen Weise, wie wir es bei modernen Theologen ersten Ranges zu finden gewohnt sind. Andre Leute, unter denen wir einen viel und gern gelesenen Philosophen nennen könnten, drücken sich weit roher uns. Nach unsern heutigen Sitten genügt allerdings zu, einem Verbote wegen „unzüchtigen" Inhaltes schon das Eingehen ans anatomische oder physiologische Einzelheiten bei Schriften über das Geschlechtsleben, wenn sie nicht fachwisseuschaftlich, sondern für das große Publikum bestimmt sind. Die Frau in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Von Slngnsi Bebel, Reimte, gänzlich umgearbeitete Anflcige. Stuttgart, I. H, W. Metz, 189 t.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209232/397>, abgerufen am 03.07.2024.