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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Erstes Vierteljahr.

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anzeigenformular; denn ich erinnere mich nicht, daß man in den siebziger und
achtziger Jahren diese Bestellungen ebenso genannt hätte. Jeder aber, der in
eine Amtsverwaltung hineingeschaut hat, weis; ja, daß man einen bekannten Spruch
mit Fug dahin abüuderu könnte:


Es erben sich die alten Formulare
Wie eine ewge Krankheit fort,
Ja manchmal grenzt es fast ans Wunderbare
u. s, w.

NB


Litteratur
Friedrich Hölderlins Lebe". In Briefen von und an Hölderlin. Bearbeitet und heraus¬
gegeben von Carl C. T. Litzmann. Berlin, Wilhelm Hertz, 1890

Die ersten Früchte seines langen, eindringlichen, von liebevoller Hingebung
erfüllten Studiums Friedrich Hölderlins hat uns der Verfasser vor wenigen Jahre"
im Archiv für Litternturgeschichte und in der Vierteljnhrsschrift für deutsche Litteratur¬
geschichte geboten. Jetzt liegt als abschließendes Ganze eine ausführliche Biographie
des unglücklichen schwäbischen Dichters vor, die sich in der Hauptsache auf Hölder¬
lins umfangreichen Briefwechsel, besonders natürlich auf Briefe vou Hölderlin, selbst
stützt. In acht längern Abschnitten, die mit gleicher Ausführlichkeit die Kindheit
und erste Jugend Hölderlins, seine Universitätsjahre, sein unruhiges Wanderleben,
seine wechselnde Thätigkeit als Erzieher und Hauslehrer und endlich das Herein¬
brechen der Geistesmacht über den Dichter schildern, läßt der Verfasser in lebendigen,
anschaulichen Bildern den nußeru Lebensgang wie die verhängnisvolle Charakter¬
entwicklung Hölderlins an unserm geistigen Auge vorüberziehen; an jeden dieser
Abschnitte schließt sich unmittelbar das dazugehörige briefliche Material an.

Jede Biographie wird den Briefwechsel des Mannes, den sie uus zeichne"
will, als einen wichtigen Quellenstoff zu berücksichtigen haben; fast ausschließlich
auf seinen Briefen das Bild des Dichters zu errichten, war nicht nur erlaubt,
sondern geradezu geboten, bei einer Natur, wie Hölderlin sie besaß. Denn wie
er sich im allgemeinen schen gegen die Mitwelt abschloß, die ihm gleichgiltig, ja
kalt gegenüberstand, ebenso offenherzig erschloß er sich dem geistig verwandten, dem
gleich fühlenden, so beredt strömte er dem Herzensfreunde, dem "Bruder" gegen¬
über im Briefe, dem Vertreter des mündlichen Gespräches, sein ganzes Innere aus,
über das er sich in einsamen Stunden grübelnder Selbstbetrachtung und quälenden
Selbsterkeuueus mit ungewöhnlicher Schärfe klar geworden war. Hölderlins
Charakter wirft ein Helles Licht darauf, wie Goethe von einem richtigen Gefühle,
von seiner gesunden Natur geleitet wurde, wenn er von dem ^v<M>i, <7"ol70v nichts
wissen wollte: wer imstande ist, sich ganz zu verstehen, der geht an der Lösung
der großen Aufgabe zu Grunde.

Von den 238 von Litzmann vereinigten Briefen sind über die Hälfte hier
zum erstenmale gedruckt, sie stammen zum größten Teile aus dem Nachlasse Christoph
Schwabs, der sich im Besitze der königlichen Bibliothek in Stuttgart befindet. Durch


Litteratur

anzeigenformular; denn ich erinnere mich nicht, daß man in den siebziger und
achtziger Jahren diese Bestellungen ebenso genannt hätte. Jeder aber, der in
eine Amtsverwaltung hineingeschaut hat, weis; ja, daß man einen bekannten Spruch
mit Fug dahin abüuderu könnte:


Es erben sich die alten Formulare
Wie eine ewge Krankheit fort,
Ja manchmal grenzt es fast ans Wunderbare
u. s, w.

NB


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Friedrich Hölderlins Lebe». In Briefen von und an Hölderlin. Bearbeitet und heraus¬
gegeben von Carl C. T. Litzmann. Berlin, Wilhelm Hertz, 1890

Die ersten Früchte seines langen, eindringlichen, von liebevoller Hingebung
erfüllten Studiums Friedrich Hölderlins hat uns der Verfasser vor wenigen Jahre»
im Archiv für Litternturgeschichte und in der Vierteljnhrsschrift für deutsche Litteratur¬
geschichte geboten. Jetzt liegt als abschließendes Ganze eine ausführliche Biographie
des unglücklichen schwäbischen Dichters vor, die sich in der Hauptsache auf Hölder¬
lins umfangreichen Briefwechsel, besonders natürlich auf Briefe vou Hölderlin, selbst
stützt. In acht längern Abschnitten, die mit gleicher Ausführlichkeit die Kindheit
und erste Jugend Hölderlins, seine Universitätsjahre, sein unruhiges Wanderleben,
seine wechselnde Thätigkeit als Erzieher und Hauslehrer und endlich das Herein¬
brechen der Geistesmacht über den Dichter schildern, läßt der Verfasser in lebendigen,
anschaulichen Bildern den nußeru Lebensgang wie die verhängnisvolle Charakter¬
entwicklung Hölderlins an unserm geistigen Auge vorüberziehen; an jeden dieser
Abschnitte schließt sich unmittelbar das dazugehörige briefliche Material an.

Jede Biographie wird den Briefwechsel des Mannes, den sie uus zeichne»
will, als einen wichtigen Quellenstoff zu berücksichtigen haben; fast ausschließlich
auf seinen Briefen das Bild des Dichters zu errichten, war nicht nur erlaubt,
sondern geradezu geboten, bei einer Natur, wie Hölderlin sie besaß. Denn wie
er sich im allgemeinen schen gegen die Mitwelt abschloß, die ihm gleichgiltig, ja
kalt gegenüberstand, ebenso offenherzig erschloß er sich dem geistig verwandten, dem
gleich fühlenden, so beredt strömte er dem Herzensfreunde, dem „Bruder" gegen¬
über im Briefe, dem Vertreter des mündlichen Gespräches, sein ganzes Innere aus,
über das er sich in einsamen Stunden grübelnder Selbstbetrachtung und quälenden
Selbsterkeuueus mit ungewöhnlicher Schärfe klar geworden war. Hölderlins
Charakter wirft ein Helles Licht darauf, wie Goethe von einem richtigen Gefühle,
von seiner gesunden Natur geleitet wurde, wenn er von dem ^v<M>i, <7«ol70v nichts
wissen wollte: wer imstande ist, sich ganz zu verstehen, der geht an der Lösung
der großen Aufgabe zu Grunde.

Von den 238 von Litzmann vereinigten Briefen sind über die Hälfte hier
zum erstenmale gedruckt, sie stammen zum größten Teile aus dem Nachlasse Christoph
Schwabs, der sich im Besitze der königlichen Bibliothek in Stuttgart befindet. Durch


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[0246] Litteratur anzeigenformular; denn ich erinnere mich nicht, daß man in den siebziger und achtziger Jahren diese Bestellungen ebenso genannt hätte. Jeder aber, der in eine Amtsverwaltung hineingeschaut hat, weis; ja, daß man einen bekannten Spruch mit Fug dahin abüuderu könnte: Es erben sich die alten Formulare Wie eine ewge Krankheit fort, Ja manchmal grenzt es fast ans Wunderbare u. s, w. NB Litteratur Friedrich Hölderlins Lebe». In Briefen von und an Hölderlin. Bearbeitet und heraus¬ gegeben von Carl C. T. Litzmann. Berlin, Wilhelm Hertz, 1890 Die ersten Früchte seines langen, eindringlichen, von liebevoller Hingebung erfüllten Studiums Friedrich Hölderlins hat uns der Verfasser vor wenigen Jahre» im Archiv für Litternturgeschichte und in der Vierteljnhrsschrift für deutsche Litteratur¬ geschichte geboten. Jetzt liegt als abschließendes Ganze eine ausführliche Biographie des unglücklichen schwäbischen Dichters vor, die sich in der Hauptsache auf Hölder¬ lins umfangreichen Briefwechsel, besonders natürlich auf Briefe vou Hölderlin, selbst stützt. In acht längern Abschnitten, die mit gleicher Ausführlichkeit die Kindheit und erste Jugend Hölderlins, seine Universitätsjahre, sein unruhiges Wanderleben, seine wechselnde Thätigkeit als Erzieher und Hauslehrer und endlich das Herein¬ brechen der Geistesmacht über den Dichter schildern, läßt der Verfasser in lebendigen, anschaulichen Bildern den nußeru Lebensgang wie die verhängnisvolle Charakter¬ entwicklung Hölderlins an unserm geistigen Auge vorüberziehen; an jeden dieser Abschnitte schließt sich unmittelbar das dazugehörige briefliche Material an. Jede Biographie wird den Briefwechsel des Mannes, den sie uus zeichne» will, als einen wichtigen Quellenstoff zu berücksichtigen haben; fast ausschließlich auf seinen Briefen das Bild des Dichters zu errichten, war nicht nur erlaubt, sondern geradezu geboten, bei einer Natur, wie Hölderlin sie besaß. Denn wie er sich im allgemeinen schen gegen die Mitwelt abschloß, die ihm gleichgiltig, ja kalt gegenüberstand, ebenso offenherzig erschloß er sich dem geistig verwandten, dem gleich fühlenden, so beredt strömte er dem Herzensfreunde, dem „Bruder" gegen¬ über im Briefe, dem Vertreter des mündlichen Gespräches, sein ganzes Innere aus, über das er sich in einsamen Stunden grübelnder Selbstbetrachtung und quälenden Selbsterkeuueus mit ungewöhnlicher Schärfe klar geworden war. Hölderlins Charakter wirft ein Helles Licht darauf, wie Goethe von einem richtigen Gefühle, von seiner gesunden Natur geleitet wurde, wenn er von dem ^v<M>i, <7«ol70v nichts wissen wollte: wer imstande ist, sich ganz zu verstehen, der geht an der Lösung der großen Aufgabe zu Grunde. Von den 238 von Litzmann vereinigten Briefen sind über die Hälfte hier zum erstenmale gedruckt, sie stammen zum größten Teile aus dem Nachlasse Christoph Schwabs, der sich im Besitze der königlichen Bibliothek in Stuttgart befindet. Durch

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209232/246>, abgerufen am 03.07.2024.