Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Erstes Vierteljahr.druck seiner Gefühle war, wie ihn eine seltene Schamhaftigkeit und Keuschheit Litteratur 'Arbeiterausschüsse in der deutschen Industrie. Gutachten, Berichte, Statuten, heraus genehm im Auftrage des Vereins für Sozialpolitik von Professor Dr. Max Seriug. Leipzig, Drucker lind Humblot, t8S0 "Die vorliegende Sammlung -- heißt es in der Einleitung -- will Einblick druck seiner Gefühle war, wie ihn eine seltene Schamhaftigkeit und Keuschheit Litteratur 'Arbeiterausschüsse in der deutschen Industrie. Gutachten, Berichte, Statuten, heraus genehm im Auftrage des Vereins für Sozialpolitik von Professor Dr. Max Seriug. Leipzig, Drucker lind Humblot, t8S0 „Die vorliegende Sammlung — heißt es in der Einleitung — will Einblick <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0150" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/209383"/> <fw type="header" place="top"/><lb/> <p xml:id="ID_436" prev="#ID_435"> druck seiner Gefühle war, wie ihn eine seltene Schamhaftigkeit und Keuschheit<lb/> stets daran hinderte, seinen Liebesempfindungen Ausdruck zu gebe», waS am<lb/> ergötzlichsten in den Briefen an seine „ewige Braut" Kathi zu Tage tritt,<lb/> und wenn man anderseits an Raimund, den Adressaten des Brieflcins denkt, der<lb/> zu dem klassischen Bnrgtheaterdichter und Meister im Schriftdeutsch in seiner selbst¬<lb/> quälerischen Bescheidenheit ivie zum Stefanstnrm emporschaute, so wird man dieses<lb/> liebenswürdige Zeichen einer echten Mannesliebe in seinem ganzen Werte zu schätzen<lb/> wissen. Raimund musz den Bogen ganz selig bei sich herumgetragen haben. Es<lb/> wirft aber auch ein weiteres Licht auf Grillparzers Wesen: so kritisch, ja so krittlich<lb/> er war, so hat er doch immer und überall mit der allerreinsten Freude die echte<lb/> Begabung gelobt und anerkannt, wo er sie traf: bei Uhland beispielsweise. Er<lb/> war nichts weniger als ein eitler, selbstsüchtiger Poet. Aber er hatte eine weit<lb/> tiefere Einsicht in daS Wesen der Dichtkunst, der Tochter der Phantasie, als die<lb/> allermeisten seiner Zeitgenossen; daher allein seine Polemik gegen Tieck, Gutzkow,<lb/> Schelling, Gervinus n. s. w. Man vergißt nur zu gern dabei, daß er doch grund¬<lb/> sätzlich im Rechte mar und (die Wahrheit zu sagen) ein Vorläufer unsrer Zeit.<lb/> Die Parole des künstlerischen Realismus, die Trennung der Kunst von der Philo¬<lb/> sophie, die Forderung der Gründung aller Ästhetik ans ausgebreiteter Erfahrungs¬<lb/> wissenschaft: das alles hatte er schon zwanzig, dreißig Jahre vorher ausgesprochen<lb/> und darnach gehandelt. Jetzt kommt es der Wissenschaft endlich zum Bewußtsein:<lb/> Grillparzer ist der Realist unter unsren Klassikern.</p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> </div> </div> <div n="1"> <head> Litteratur</head><lb/> <div n="2"> <head> 'Arbeiterausschüsse in der deutschen Industrie. Gutachten, Berichte, Statuten, heraus<lb/> genehm im Auftrage des Vereins für Sozialpolitik von Professor Dr. Max Seriug. Leipzig,<lb/> Drucker lind Humblot, t8S0</head><lb/> <p xml:id="ID_437" next="#ID_438"> „Die vorliegende Sammlung — heißt es in der Einleitung — will Einblick<lb/> gewähren in die Bedeutung einer großindnstriellen Organisationsform, die in<lb/> Deutschland während der letzten Jahre eine größere Ausbreitung gewonnen und<lb/> wegen ihrer sozialen Tragweite die öffentliche Aufmerksamkeit in steigendem Maße<lb/> ans sich gezogen hat." Diese Schöpfungen „haben ihre Lebenskraft in einer<lb/> größern Zahl von Werken durch längere Wirksamkeit bewährt. Ohne die wirt¬<lb/> schaftlich-technische Leistungsfähigkeit der letztern irgendwie zu schwächen — das<lb/> Gegenteil ist der Fall — haben die Arbeitsausschüsse uuter deu verschiedensten<lb/> ökonomischen und soziale» Bedingungen zu einem gegenseitigen Begreifen, zu einem<lb/> friedlichen Zusammenwirken Von Unternehmern und Arbeitern geführt, das in¬<lb/> mitten all des Zwistes und Hasses der industriellen Gegenwart die freudigste Teil¬<lb/> nahme erwecken muß. Sie sind gleichzeitig zu einer so erfolgreichen Schule der<lb/> Arbeiterschaft auf dem Gebiete der praktischen Verwaltung geworden, daß die Hoff¬<lb/> nung auf eine schrittweise (!) Fortentwicklung und weitere Ausbreitung der In¬<lb/> stitution nicht unbegründet scheint. Die Verfassung derjenigen deutschen Unter-<lb/> nehmungen, die Arbeiterausschüsse besitzen, ist uicht eine genossenschaftliche, sondern<lb/> eine herrschaftliche. Den dienenden, den technisch ausführenden Gliedern der Unter-<lb/> nehmung, den Arbeitern, ist aber ein Anteil an der Herrschaft eingeräumt." Der</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0150]
druck seiner Gefühle war, wie ihn eine seltene Schamhaftigkeit und Keuschheit
stets daran hinderte, seinen Liebesempfindungen Ausdruck zu gebe», waS am
ergötzlichsten in den Briefen an seine „ewige Braut" Kathi zu Tage tritt,
und wenn man anderseits an Raimund, den Adressaten des Brieflcins denkt, der
zu dem klassischen Bnrgtheaterdichter und Meister im Schriftdeutsch in seiner selbst¬
quälerischen Bescheidenheit ivie zum Stefanstnrm emporschaute, so wird man dieses
liebenswürdige Zeichen einer echten Mannesliebe in seinem ganzen Werte zu schätzen
wissen. Raimund musz den Bogen ganz selig bei sich herumgetragen haben. Es
wirft aber auch ein weiteres Licht auf Grillparzers Wesen: so kritisch, ja so krittlich
er war, so hat er doch immer und überall mit der allerreinsten Freude die echte
Begabung gelobt und anerkannt, wo er sie traf: bei Uhland beispielsweise. Er
war nichts weniger als ein eitler, selbstsüchtiger Poet. Aber er hatte eine weit
tiefere Einsicht in daS Wesen der Dichtkunst, der Tochter der Phantasie, als die
allermeisten seiner Zeitgenossen; daher allein seine Polemik gegen Tieck, Gutzkow,
Schelling, Gervinus n. s. w. Man vergißt nur zu gern dabei, daß er doch grund¬
sätzlich im Rechte mar und (die Wahrheit zu sagen) ein Vorläufer unsrer Zeit.
Die Parole des künstlerischen Realismus, die Trennung der Kunst von der Philo¬
sophie, die Forderung der Gründung aller Ästhetik ans ausgebreiteter Erfahrungs¬
wissenschaft: das alles hatte er schon zwanzig, dreißig Jahre vorher ausgesprochen
und darnach gehandelt. Jetzt kommt es der Wissenschaft endlich zum Bewußtsein:
Grillparzer ist der Realist unter unsren Klassikern.
Litteratur
'Arbeiterausschüsse in der deutschen Industrie. Gutachten, Berichte, Statuten, heraus
genehm im Auftrage des Vereins für Sozialpolitik von Professor Dr. Max Seriug. Leipzig,
Drucker lind Humblot, t8S0
„Die vorliegende Sammlung — heißt es in der Einleitung — will Einblick
gewähren in die Bedeutung einer großindnstriellen Organisationsform, die in
Deutschland während der letzten Jahre eine größere Ausbreitung gewonnen und
wegen ihrer sozialen Tragweite die öffentliche Aufmerksamkeit in steigendem Maße
ans sich gezogen hat." Diese Schöpfungen „haben ihre Lebenskraft in einer
größern Zahl von Werken durch längere Wirksamkeit bewährt. Ohne die wirt¬
schaftlich-technische Leistungsfähigkeit der letztern irgendwie zu schwächen — das
Gegenteil ist der Fall — haben die Arbeitsausschüsse uuter deu verschiedensten
ökonomischen und soziale» Bedingungen zu einem gegenseitigen Begreifen, zu einem
friedlichen Zusammenwirken Von Unternehmern und Arbeitern geführt, das in¬
mitten all des Zwistes und Hasses der industriellen Gegenwart die freudigste Teil¬
nahme erwecken muß. Sie sind gleichzeitig zu einer so erfolgreichen Schule der
Arbeiterschaft auf dem Gebiete der praktischen Verwaltung geworden, daß die Hoff¬
nung auf eine schrittweise (!) Fortentwicklung und weitere Ausbreitung der In¬
stitution nicht unbegründet scheint. Die Verfassung derjenigen deutschen Unter-
nehmungen, die Arbeiterausschüsse besitzen, ist uicht eine genossenschaftliche, sondern
eine herrschaftliche. Den dienenden, den technisch ausführenden Gliedern der Unter-
nehmung, den Arbeitern, ist aber ein Anteil an der Herrschaft eingeräumt." Der
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