Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Viertes Vierteljahr.Litteratur erfüllt, wird er durch seinen treulosen Diener irre geleitet, und gegen seine Nntur, Weder in der Sprache uoch in den Situationen zeigen sich übrigens, was Ich könnte nicht? Ich hätte hinter mir Wallenstein sagt: Wars möglich? Konnt' ich nicht mehr, wie ich wollte? Ausrufe wie: Welch ungeheures sinnt ihr! Wie wird mir! die wiederholt gebrauchte Nein, diese Ausflucht laß ich dir nicht gelten (Vgl. Tel! III, 3, Geßler zu Tell: Nein, Tell, die Antwort laß ich dir nicht gelten) und III, 7: Gern gab ich . . . (Vgl. Tell III, 3, wo Walther Fürst dem Geßler zuruft: Nehmt endlich V, 10: Jedoch indem wir plaudern -- Gott im Himmel -- (Vgl. Tell I, 1, wo Baumgnrten seinen Bericht unterbricht: Indem wir sprechen -- Gott -- verrinnt die Zeit!) Sind solche Entlehnungen -- gleichviel, ob unbewußt oder bewußt -- statthaft? Gesammelte Werke von Ludwig Anzengruber. In zehn Bänden Stuttgart, I. G. Cottasche Buchhandlung Nachfolger (Zio!), 1890. Band I bis 111 Der Herausgeber hat Recht, wenn er sagt, die Zeit der völligen Erkenntnis Litteratur erfüllt, wird er durch seinen treulosen Diener irre geleitet, und gegen seine Nntur, Weder in der Sprache uoch in den Situationen zeigen sich übrigens, was Ich könnte nicht? Ich hätte hinter mir Wallenstein sagt: Wars möglich? Konnt' ich nicht mehr, wie ich wollte? Ausrufe wie: Welch ungeheures sinnt ihr! Wie wird mir! die wiederholt gebrauchte Nein, diese Ausflucht laß ich dir nicht gelten (Vgl. Tel! III, 3, Geßler zu Tell: Nein, Tell, die Antwort laß ich dir nicht gelten) und III, 7: Gern gab ich . . . (Vgl. Tell III, 3, wo Walther Fürst dem Geßler zuruft: Nehmt endlich V, 10: Jedoch indem wir plaudern — Gott im Himmel — (Vgl. Tell I, 1, wo Baumgnrten seinen Bericht unterbricht: Indem wir sprechen — Gott — verrinnt die Zeit!) Sind solche Entlehnungen — gleichviel, ob unbewußt oder bewußt — statthaft? Gesammelte Werke von Ludwig Anzengruber. In zehn Bänden Stuttgart, I. G. Cottasche Buchhandlung Nachfolger (Zio!), 1890. Band I bis 111 Der Herausgeber hat Recht, wenn er sagt, die Zeit der völligen Erkenntnis <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0103" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/208682"/> <fw type="header" place="top"> Litteratur</fw><lb/> <p xml:id="ID_285" prev="#ID_284"> erfüllt, wird er durch seinen treulosen Diener irre geleitet, und gegen seine Nntur,<lb/> seine Gefühle, ja seinen Willen in die Arme der Revolutionäre getrieben, ver¬<lb/> nichtet er seinen Fürsten, den nahen Mutsverwandten in der Überzeugung von dessen<lb/> Schuld.</p><lb/> <p xml:id="ID_286"> Weder in der Sprache uoch in den Situationen zeigen sich übrigens, was<lb/> man hatte erwarten können, Anklänge an Goethe; desto häufiger erinnert beides an<lb/> Schiller. 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Litteratur
erfüllt, wird er durch seinen treulosen Diener irre geleitet, und gegen seine Nntur,
seine Gefühle, ja seinen Willen in die Arme der Revolutionäre getrieben, ver¬
nichtet er seinen Fürsten, den nahen Mutsverwandten in der Überzeugung von dessen
Schuld.
Weder in der Sprache uoch in den Situationen zeigen sich übrigens, was
man hatte erwarten können, Anklänge an Goethe; desto häufiger erinnert beides an
Schiller. Verwandtschaft mit deu Worten Berthas von Brnneck, in denen sie
Geßler mahnt, den Bogen nicht zu straff zu spannen, zeigt das Gespräch zwischen
dem Herzog und de Svze (IV, 2); uoch mehr springt die Ähnlichkeit in die Augen
zwischen dem Anfange des Monologs des Herzogs (III, 6) mit dem ersten Mono¬
loge Wallensteins in' Wallensteins Tod (I, 4), In der Eugenie heißt die ange¬
führte Stelle:
Ich könnte nicht? Ich hätte hinter mir
Die Brücke abgebrochen, die des Rückzugs
Köstliche Gunst dem Zweifelnden verbürgt?
Ich könnte nicht? Ich müßte auf dem Pfade
Des NachewerlÄ beharren, weil das Wagnis
Des ersten Schrittes keine Umkehr duldet?
O wehe mir, wohin bin ich geraten!
Wallenstein sagt:
Wars möglich? Konnt' ich nicht mehr, wie ich wollte?
Nicht mehr zurück, wie mirs beliebt? . . .
Wohin denn seh ich plötzlich mich geführt? u. f. w.
Ausrufe wie: Welch ungeheures sinnt ihr! Wie wird mir! die wiederholt gebrauchte
Wendung „Ich bin mit meinem Gott versöhnt" erkennt jeder sofort als Schillers
Eigentum, ebenso die Verse I, 6:
Nein, diese Ausflucht laß ich dir nicht gelten
(Vgl. Tel! III, 3, Geßler zu Tell:
Nein, Tell, die Antwort laß ich dir nicht gelten)
und III, 7:
Gern gab ich . . .
Die Hälfte meiner Schätze, gäb sie ganz
(Vgl. Tell III, 3, wo Walther Fürst dem Geßler zuruft:
Nehmt
Die Hälfte meiner Habe, nehmt sie ganz)
endlich V, 10:
Jedoch indem wir plaudern — Gott im Himmel —
Verrann die Zeit —
(Vgl. Tell I, 1, wo Baumgnrten seinen Bericht unterbricht:
Indem wir sprechen — Gott — verrinnt die Zeit!)
Sind solche Entlehnungen — gleichviel, ob unbewußt oder bewußt — statthaft?
Gesammelte Werke von Ludwig Anzengruber. In zehn Bänden Stuttgart, I. G.
Cottasche Buchhandlung Nachfolger (Zio!), 1890. Band I bis 111
Der Herausgeber hat Recht, wenn er sagt, die Zeit der völligen Erkenntnis
von dem Werte der Dichtungen Anzengrubers werde erst kommen. Diese Gesamt¬
ausgabe bereitet sie vor. Wenn man das ganze Lebenswerk des Dichters wird
überschaue» köunen, dann erst werden sich die vielfach widerspruchsvollen Urteile
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