Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Drittes Vierteljahr.Maßgebliches und Unmaßgebliches Das ist nun nicht die Haydnsche Komposition. Diese ist vielmehr ein ganz Aber auch die oben wiedergegebene Melodie ist nicht populär geworden. Die Wo diese herstammt, bleibt noch nachzuweisen. So viel ist sicher, daß sie Falsche Thatsache". Im vorige" Hefte der Grenzboten fühlt sich der Grenzbvwn til l.39079
Maßgebliches und Unmaßgebliches Das ist nun nicht die Haydnsche Komposition. Diese ist vielmehr ein ganz Aber auch die oben wiedergegebene Melodie ist nicht populär geworden. Die Wo diese herstammt, bleibt noch nachzuweisen. So viel ist sicher, daß sie Falsche Thatsache«. Im vorige» Hefte der Grenzboten fühlt sich der Grenzbvwn til l.39079
<TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0633" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/208570"/> <fw type="header" place="top"> Maßgebliches und Unmaßgebliches</fw><lb/> <p xml:id="ID_1955"> Das ist nun nicht die Haydnsche Komposition. Diese ist vielmehr ein ganz<lb/> mvtettenartig durchgeführtes vierstimmiges Gesangstück (?-ciur) mit Klavierbegleitung.<lb/> Sie findet sich im achten Hefte der alten Ausgabe der Osuvros des .1. Ilu^dn, von<lb/> Breitkopf und Härtel und neuerdings auch in der Edition Peters Ur. 1354 (Haydn,<lb/> Vierstimmige Gesänge). Daß aber durch diese Komposition Haydus das Lied populär<lb/> geworden sei, ist ganz undenkbar. Ganz abgesehen davon, daß die Klavierbeglei¬<lb/> tung dabei unentbehrlich ist, ist auch die Komposition selbst so künstlich, daß sie<lb/> nur von musikalisch gebildeten Sängern, aber nimmermehr von einer durch den<lb/> Zufall zusammengeführten Gesellschaft gesungen werden kann.</p><lb/> <p xml:id="ID_1956"> Aber auch die oben wiedergegebene Melodie ist nicht populär geworden. Die<lb/> Melodie, nach der das Lied heilte noch gesungen wird, ist die, die R. Musiol und<lb/> O. v. Hase mit genügen Abweichungen von einander in der Neuen Zeitschrift für<lb/> Musik mitgeteilt haben, und mit der auch folgende mir bekannt gewordene Weise<lb/> ziemlich übereinstimmt:</p><lb/> <figure facs="http://media.dwds.de/dta/images/grenzboten_341851_207936/figures/grenzboten_341851_207936_208570_004.jpg"/><lb/> <p xml:id="ID_1957"> Wo diese herstammt, bleibt noch nachzuweisen. So viel ist sicher, daß sie<lb/> mit der sentimentalen Umgestaltung des Textes, die jetzt verbreitet ist, zusammen¬<lb/> hängt (Haydn und die Melodie von 178K haben noch den echten Ebereschen Text).<lb/> Vielleicht ist sie, wie so viele Melodien, im Volismunde selbst ans Bestandteilen<lb/> andrer Melodien zusammengestellt wordeu. Die dritte und vierte Zeile wenigstens<lb/> erinnern auffällig an die beiden Zeilen aus dem „Landesvater": „Hort, ich sing'<lb/> d<note type="byline"> G rv</note> as Lied der Lieder, Hort es, meine deutscheu Brüder." </p><lb/> </div> <div n="2"> <head> Falsche Thatsache«.</head> <p xml:id="ID_1958"> Im vorige» Hefte der Grenzboten fühlt sich der<lb/> Verfasser des vortrefflichen Aufsatzes „Zum Schutze der Wahrheit in der Presse"<lb/> gleich in der ersten Zeile veranlaßt, zu dem von ihm gebrauchten Ausdruck „Falsche<lb/> Thatsachen" eine entschuldigende Anmerkung zu machen; der Ausdruck, sagt er, sei<lb/> in der Juristensprache allgemein Mich, und es werde etwas bestimmtes darunter<lb/> verstanden. Ja wohl, in der Juristen- und, wie man auch hier wieder hinzufügen<lb/> kann, in -->- 'itungssprache. Beides ist ja immer so ziemlich dasselbe. Breite,<lb/> ^u)unnji, ^-uuzengang, langatmige Umschreibung der einfachsten Begriffe (ganz ab¬<lb/> gesehen von wirklichen Sprachfehlern!) das ist es, was beide kennzeichnet. Auch in<lb/> der Tagespresse kann man täglich von ,,falsche»," von „erfundenen," von „erdichteten<lb/> Thatsachen" lesen! Als ob es nicht das Wesen der Thatsache wäre, daß sie eben<lb/> wahr ist, daß sie sich wirklich zugetragen hat, als ob eine „falsche Thatsache" nicht<lb/> der albernste Widerspruch in sich selbst wäre! Was die Herren Juristen und Zeitungs¬<lb/> schreiber sagen wollen, ist: eine „sachliche" oder eine „thatsächliche Unwahrheit."<lb/> d. h. eine Unwahrheit, die nicht bloß in der Form der Darstellung liegt, also<lb/> etwa in einer Übertreibung, einer Gehässigkeit, einer unverdienten Lobhudelei und<lb/> dergleichen, sondern in der Sache selbst, im Inhalt. Sollte es denn nicht möglich<lb/> sein, wenigstens aus unsrer Rechtssprache den llnsinn der „falschen Thatsachen"<lb/> wieder zu beseitigen?</p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> <fw type="sig" place="bottom"> Grenzbvwn til l.39079</fw><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0633]
Maßgebliches und Unmaßgebliches
Das ist nun nicht die Haydnsche Komposition. Diese ist vielmehr ein ganz
mvtettenartig durchgeführtes vierstimmiges Gesangstück (?-ciur) mit Klavierbegleitung.
Sie findet sich im achten Hefte der alten Ausgabe der Osuvros des .1. Ilu^dn, von
Breitkopf und Härtel und neuerdings auch in der Edition Peters Ur. 1354 (Haydn,
Vierstimmige Gesänge). Daß aber durch diese Komposition Haydus das Lied populär
geworden sei, ist ganz undenkbar. Ganz abgesehen davon, daß die Klavierbeglei¬
tung dabei unentbehrlich ist, ist auch die Komposition selbst so künstlich, daß sie
nur von musikalisch gebildeten Sängern, aber nimmermehr von einer durch den
Zufall zusammengeführten Gesellschaft gesungen werden kann.
Aber auch die oben wiedergegebene Melodie ist nicht populär geworden. Die
Melodie, nach der das Lied heilte noch gesungen wird, ist die, die R. Musiol und
O. v. Hase mit genügen Abweichungen von einander in der Neuen Zeitschrift für
Musik mitgeteilt haben, und mit der auch folgende mir bekannt gewordene Weise
ziemlich übereinstimmt:
[Abbildung]
Wo diese herstammt, bleibt noch nachzuweisen. So viel ist sicher, daß sie
mit der sentimentalen Umgestaltung des Textes, die jetzt verbreitet ist, zusammen¬
hängt (Haydn und die Melodie von 178K haben noch den echten Ebereschen Text).
Vielleicht ist sie, wie so viele Melodien, im Volismunde selbst ans Bestandteilen
andrer Melodien zusammengestellt wordeu. Die dritte und vierte Zeile wenigstens
erinnern auffällig an die beiden Zeilen aus dem „Landesvater": „Hort, ich sing'
d G rv as Lied der Lieder, Hort es, meine deutscheu Brüder."
Falsche Thatsache«. Im vorige» Hefte der Grenzboten fühlt sich der
Verfasser des vortrefflichen Aufsatzes „Zum Schutze der Wahrheit in der Presse"
gleich in der ersten Zeile veranlaßt, zu dem von ihm gebrauchten Ausdruck „Falsche
Thatsachen" eine entschuldigende Anmerkung zu machen; der Ausdruck, sagt er, sei
in der Juristensprache allgemein Mich, und es werde etwas bestimmtes darunter
verstanden. Ja wohl, in der Juristen- und, wie man auch hier wieder hinzufügen
kann, in -->- 'itungssprache. Beides ist ja immer so ziemlich dasselbe. Breite,
^u)unnji, ^-uuzengang, langatmige Umschreibung der einfachsten Begriffe (ganz ab¬
gesehen von wirklichen Sprachfehlern!) das ist es, was beide kennzeichnet. Auch in
der Tagespresse kann man täglich von ,,falsche»," von „erfundenen," von „erdichteten
Thatsachen" lesen! Als ob es nicht das Wesen der Thatsache wäre, daß sie eben
wahr ist, daß sie sich wirklich zugetragen hat, als ob eine „falsche Thatsache" nicht
der albernste Widerspruch in sich selbst wäre! Was die Herren Juristen und Zeitungs¬
schreiber sagen wollen, ist: eine „sachliche" oder eine „thatsächliche Unwahrheit."
d. h. eine Unwahrheit, die nicht bloß in der Form der Darstellung liegt, also
etwa in einer Übertreibung, einer Gehässigkeit, einer unverdienten Lobhudelei und
dergleichen, sondern in der Sache selbst, im Inhalt. Sollte es denn nicht möglich
sein, wenigstens aus unsrer Rechtssprache den llnsinn der „falschen Thatsachen"
wieder zu beseitigen?
Grenzbvwn til l.39079
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