Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Drittes Vierteljahr.Litteratur Daher die Redensart. Daß die Hunde unter dem Ofen lagen, kam nicht leicht Jedenfalls zeigen die Varianten in der Redeweise, daß es dem Sprachgeiste Litteratur Leben und Walten der Liebe. Von Sören Kierkegaard. Aus dem Dänischen über¬ Wenn jemand etwas Phänomenales, ganz Originelles, in unsrer Zeit wirklich Für die Redaktion verantwortlich: Johannes Grnnow in Leipzig Verlag von Fr. Wilh. Grnnow in Leipzig -- Druck von Carl Marquart in Leipzig Litteratur Daher die Redensart. Daß die Hunde unter dem Ofen lagen, kam nicht leicht Jedenfalls zeigen die Varianten in der Redeweise, daß es dem Sprachgeiste Litteratur Leben und Walten der Liebe. Von Sören Kierkegaard. Aus dem Dänischen über¬ Wenn jemand etwas Phänomenales, ganz Originelles, in unsrer Zeit wirklich Für die Redaktion verantwortlich: Johannes Grnnow in Leipzig Verlag von Fr. Wilh. Grnnow in Leipzig — Druck von Carl Marquart in Leipzig <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0488" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/208425"/> <fw type="header" place="top"> Litteratur</fw><lb/> <p xml:id="ID_1524" prev="#ID_1523"> Daher die Redensart. Daß die Hunde unter dem Ofen lagen, kam nicht leicht<lb/> vor. Denn wenn auch die alten Holzöfen oft Miste hatten, so waren diese doch nicht<lb/> fehr hoch; und einem Köter, der sich unter den Ofen gelegt hatte, würde das Feuer<lb/> dicht auf den Rücken gebrannt haben. Das kann selbst ein Hund nicht vertragen.</p><lb/> <p xml:id="ID_1525"> Jedenfalls zeigen die Varianten in der Redeweise, daß es dem Sprachgeiste<lb/> nicht widerstrebt, sich das Verhältnis des Hundes zum Ofen verschieden gestaltet<lb/> zu denken. Auch so viel scheint uns sicher, daß man mit der Erhebung eines<lb/> Streites darüber einen Hund weder vom, noch aus dem, noch hinterm Ofen her¬<lb/> vor lockt.</p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> </div> </div> <div n="1"> <head> Litteratur</head><lb/> <p xml:id="ID_1526"> Leben und Walten der Liebe. Von Sören Kierkegaard. Aus dem Dänischen über¬<lb/> setzt von Albert Dörner, Pfarrer. Zwei Teile in einem Bande. Leipzig, Fr. Richter, 1890</p><lb/> <p xml:id="ID_1527"> Wenn jemand etwas Phänomenales, ganz Originelles, in unsrer Zeit wirklich<lb/> noch nicht Dagewesenes lesen will, so greife er nach den Büchern Kierkegaards.<lb/> Oder findet man irgendwo sonst Bücher, in denen der Persönliche Gott, dessen<lb/> Daseinsunmöglichkeit ja seit hundert Jahren fast von allen Philosophen bewiesen<lb/> wird, den Mittelpunkt bildet, und deren philosophisch gebildeter Verfasser das<lb/> Christentum gerade so Predigt, wie noch hie und da ein Mütterlein in einem von<lb/> Touristen uoch uicht entdeckten Gebirgswinkel es glaubt? Das Christentum predigt,<lb/> uicht weil ihn sein Amt nötigt, oder aus Gewohnheit, oder aus Furcht vor den<lb/> Sozialdemokraten, sondern aus Herzensdrang und weils ihm sein Genüssen befiehlt?<lb/> Auch wer es nicht zu Kierkegaards lebendigem Glauben bringt, wird, wenn er ihn<lb/> liest, ehrfurchtsvoll sagen: Das ist ein wunderbarer Mensch und ein ganzer Mann!<lb/> In dem vorliegenden Buche tritt sein Grnndcharakterzug, die Traurigkeit, nicht so<lb/> grell hervor; ist doch auch der Gegenstand heiterer. Freilich, wer eine süßliche<lb/> Liebespredigt im Geschmack des vorigen Jahrhunderts erwartet, der wird das, ums<lb/> er zu lesen bekommt, nicht sehr heiter finden. So scharf wie möglich setzt<lb/> Kierkegaard der natürlichen Liebe, die selbstsüchtige Vorliebe sei, die selbstver¬<lb/> leugnende christliche Nächstenliebe entgegen, die keinen einzigen ausschließt. „Wir<lb/> wissen sehr gut, wo in unsrer Zeit das Unglück steckt: in den tändelnden und ein¬<lb/> schmeichelnden Svnulagsreden, dnrch die man das Christentum in eine Sinnes¬<lb/> täuschung und uus Christen in die Einbildung hineingeuarrt hat, wir seien auch<lb/> so Christen. Als das Christentum in die Welt kam, brauchte es uicht (obgleich es<lb/> das that) darauf aufmerksam zu machen, daß es der menschlichen Vernunft wider¬<lb/> strebte; denn das entdeckte die Welt leicht genug. Jetzt aber, wo ein gefallenes<lb/> Christentum mit der Vernunft eine Ehe eingegangen hat, jetzt muß das Christentum<lb/> vor allem selbst auf deu Anstoß Acht haben. Nur die Möglichkeit des Ärgernisses<lb/> (das Gegengift gegen den Schlaftrunk der Apologetik) ist imstande, den in Schlaf<lb/> versunkenen zu wecken, den Verzauberter zurückzurufen, sodaß das Christentum<lb/> wieder es selbst wird." Kann es in unsrer Zeit etwas Originelleres geben, als die<lb/> Bezeichnung Gift für die christliche Apologetik im Munde eines aufrichtigen Christen?</p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> <note type="byline"> Für die Redaktion verantwortlich: Johannes Grnnow in Leipzig<lb/> Verlag von Fr. Wilh. Grnnow in Leipzig — Druck von Carl Marquart in Leipzig</note><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0488]
Litteratur
Daher die Redensart. Daß die Hunde unter dem Ofen lagen, kam nicht leicht
vor. Denn wenn auch die alten Holzöfen oft Miste hatten, so waren diese doch nicht
fehr hoch; und einem Köter, der sich unter den Ofen gelegt hatte, würde das Feuer
dicht auf den Rücken gebrannt haben. Das kann selbst ein Hund nicht vertragen.
Jedenfalls zeigen die Varianten in der Redeweise, daß es dem Sprachgeiste
nicht widerstrebt, sich das Verhältnis des Hundes zum Ofen verschieden gestaltet
zu denken. Auch so viel scheint uns sicher, daß man mit der Erhebung eines
Streites darüber einen Hund weder vom, noch aus dem, noch hinterm Ofen her¬
vor lockt.
Litteratur
Leben und Walten der Liebe. Von Sören Kierkegaard. Aus dem Dänischen über¬
setzt von Albert Dörner, Pfarrer. Zwei Teile in einem Bande. Leipzig, Fr. Richter, 1890
Wenn jemand etwas Phänomenales, ganz Originelles, in unsrer Zeit wirklich
noch nicht Dagewesenes lesen will, so greife er nach den Büchern Kierkegaards.
Oder findet man irgendwo sonst Bücher, in denen der Persönliche Gott, dessen
Daseinsunmöglichkeit ja seit hundert Jahren fast von allen Philosophen bewiesen
wird, den Mittelpunkt bildet, und deren philosophisch gebildeter Verfasser das
Christentum gerade so Predigt, wie noch hie und da ein Mütterlein in einem von
Touristen uoch uicht entdeckten Gebirgswinkel es glaubt? Das Christentum predigt,
uicht weil ihn sein Amt nötigt, oder aus Gewohnheit, oder aus Furcht vor den
Sozialdemokraten, sondern aus Herzensdrang und weils ihm sein Genüssen befiehlt?
Auch wer es nicht zu Kierkegaards lebendigem Glauben bringt, wird, wenn er ihn
liest, ehrfurchtsvoll sagen: Das ist ein wunderbarer Mensch und ein ganzer Mann!
In dem vorliegenden Buche tritt sein Grnndcharakterzug, die Traurigkeit, nicht so
grell hervor; ist doch auch der Gegenstand heiterer. Freilich, wer eine süßliche
Liebespredigt im Geschmack des vorigen Jahrhunderts erwartet, der wird das, ums
er zu lesen bekommt, nicht sehr heiter finden. So scharf wie möglich setzt
Kierkegaard der natürlichen Liebe, die selbstsüchtige Vorliebe sei, die selbstver¬
leugnende christliche Nächstenliebe entgegen, die keinen einzigen ausschließt. „Wir
wissen sehr gut, wo in unsrer Zeit das Unglück steckt: in den tändelnden und ein¬
schmeichelnden Svnulagsreden, dnrch die man das Christentum in eine Sinnes¬
täuschung und uus Christen in die Einbildung hineingeuarrt hat, wir seien auch
so Christen. Als das Christentum in die Welt kam, brauchte es uicht (obgleich es
das that) darauf aufmerksam zu machen, daß es der menschlichen Vernunft wider¬
strebte; denn das entdeckte die Welt leicht genug. Jetzt aber, wo ein gefallenes
Christentum mit der Vernunft eine Ehe eingegangen hat, jetzt muß das Christentum
vor allem selbst auf deu Anstoß Acht haben. Nur die Möglichkeit des Ärgernisses
(das Gegengift gegen den Schlaftrunk der Apologetik) ist imstande, den in Schlaf
versunkenen zu wecken, den Verzauberter zurückzurufen, sodaß das Christentum
wieder es selbst wird." Kann es in unsrer Zeit etwas Originelleres geben, als die
Bezeichnung Gift für die christliche Apologetik im Munde eines aufrichtigen Christen?
Für die Redaktion verantwortlich: Johannes Grnnow in Leipzig
Verlag von Fr. Wilh. Grnnow in Leipzig — Druck von Carl Marquart in Leipzig
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