Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Zweites Vieteljahr.Maßgebliches und Unmaßgebliches Das Jnterpelliren. Der Reichskanzler hat dem Abgeordneten Enge" Richter Wäre in Deutschland die Parlamcntsschnle nicht 1849 geschlossen worden, so Da die gelehrten Herren, die vor fünfundzwanzig Jahren dem Dilettanten Maßgebliches und Unmaßgebliches Das Jnterpelliren. Der Reichskanzler hat dem Abgeordneten Enge» Richter Wäre in Deutschland die Parlamcntsschnle nicht 1849 geschlossen worden, so Da die gelehrten Herren, die vor fünfundzwanzig Jahren dem Dilettanten <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0629" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/207924"/> </div> </div> <div n="1"> <head> Maßgebliches und Unmaßgebliches</head><lb/> <div n="2"> <head> Das Jnterpelliren.</head> <p xml:id="ID_1741"> Der Reichskanzler hat dem Abgeordneten Enge» Richter<lb/> Gelegenheit verschafft, sich wieder einmal in voller Breite vor die bedrohte Parla¬<lb/> mentarische Freiheit zu stellen. Damit hat sich Herr v, Caprivi unleugbar ein<lb/> Verdienst erworben— um Herrn Richter. Denn da dieser dem altgewohnten<lb/> Tagewerk, das Reich vom Tyrannen Bismarck zu befreien, nicht mehr obliegen<lb/> kann, auch anderweitig gekränkt worden ist, müßte man um seine Gesundheit besorgt<lb/> sein, wenn ihm nicht dann und wann eine kleine Aufmunterung zukäme. Er zeigte<lb/> sich denn auch ganz als der Alte! er wahrte das Recht der Abgeordneten, zu<lb/> interpelliren, das gesetzlich gewährleistet ist und von niemand angefochten war; er<lb/> verbreitete sich über die Nützlichkeit dieses Rechtes, die von niemand bestritten wurde.<lb/> Nur der Wunsch war ausgesprochen worden, die Herren möchten, bevor sie sich in<lb/> auswärtige Angelegenheiten mischen, den Kanzler von der Absicht unterrichten. So<lb/> Ist es herkömmlich, in allen Ländern, die die parlamentarischen — hin hin! sagen<lb/> Nur Backsischjahre hinter sich haben. Nur Volksvertreter, die lieber die Inter¬<lb/> essen fremder Volker als die des eignen vertreten, und solche giebt es ja leider in<lb/> manchen Ländern, setzen sich über jene Regel des parlamentarischen Auslandes hinweg.</p><lb/> <p xml:id="ID_1742"> Wäre in Deutschland die Parlamcntsschnle nicht 1849 geschlossen worden, so<lb/> hätten Nur ebenfalls schon ein Schwnbenalter in dem Fach erreicht und wohl gewisse<lb/> Fuchsansichlen und Fnchsmaniereu abgestreift. Es ist billig, diesen Umstand zu be¬<lb/> rücksichtigen. Gleichwohl giebt es einen deutschen Reichstag, selbst ohne Hinzu-<lb/> rechnnng des norddeutschen und des Zollparlaments, schon so lange, daß die Er¬<lb/> örterung von Fragen des Komments eigentlich nicht mehr nötig sein sollte.<lb/> Interpellationen wie die des unverdient in Vergessenheit geratenen Abgeordneten<lb/> Piepmayer, der die übliche Formel! „Ist dem Herrn Minister dieser Vorfall be¬<lb/> kannt, und was denkt er zu thun u. f. w.?" mit der drnstischeu Schilderung ein¬<lb/> leitete, wie der Nachtwächter in Tripstrille einen Angeheiterten nicht mit der einem<lb/> freien Manne und UrWähler zukommenden Ehrerbietung behandelt habe, kommen<lb/> allerdings kaum mehr vor, doch danken wir das wahrscheinlich nur der weisen<lb/> Bestimmung, daß Interpellationen eine größere Anzahl Unterschriften haben müssen.<lb/> Denn nicht nur die Beneidenswerter, die sich jugendliche Unerfnhrenheit und Bor-<lb/> schnellheit im Urteil bis in das Greisenalter bewahrt haben, halten es heute noch<lb/> für des Volksvertreters erste Pflicht, die Männer der Regierung zu ärgern und in<lb/> Verlegenheit zu bringen, auch ein Nachwuchs bekennt sich stolz zu diesen Grund¬<lb/> sätzen von 1848. Und immer ist die auswärtige Politik das Feld, ans dem sich<lb/> der Dilettantismus am liebsten tummelt. Das erklärt sich leicht. Um über alles<lb/> Reden zu halten, ob man nun etwas davon versteht oder nicht, dazu gehört eine<lb/> Virtuosität, die sich nnr wenige anzueignen vermögen; in Sachen der Verwaltung,<lb/> der Gerichlspflege, des Unterrichts, der Landwirtschaft n. f. w. kann man sich gar<lb/> zu leicht Blößen gebe«, die von Sachverständigen rücksichtslos ausgebeutet zu werden<lb/> pflegen; aber in der äußern Politik ist bekanntlich fast jeder Zeitungsleser Fach¬<lb/> mann. Wir würden sagen: jeder ohne Ausnahme, wenn es nicht Minister des<lb/> Auswärtigen gäbe. Denen wird in der Regel durch vieljährige Studien und<lb/> praktische Beschäftigung in ihrem Fache und durch die Kenntnis der diplomatischen<lb/> Beziehungen jene frische, fröhliche Unbefangenheit geraubt, mit der die Herren Piep¬<lb/> mayer an die Besprechung der verwinkeltsten Fragen gehen, um sie spielend zu lösen.</p><lb/> <p xml:id="ID_1743" next="#ID_1744"> Da die gelehrten Herren, die vor fünfundzwanzig Jahren dem Dilettanten<lb/> Bismarck in so uneigennütziger Weise Unterricht in den Anfangsgründen der aus-</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0629]
Maßgebliches und Unmaßgebliches
Das Jnterpelliren. Der Reichskanzler hat dem Abgeordneten Enge» Richter
Gelegenheit verschafft, sich wieder einmal in voller Breite vor die bedrohte Parla¬
mentarische Freiheit zu stellen. Damit hat sich Herr v, Caprivi unleugbar ein
Verdienst erworben— um Herrn Richter. Denn da dieser dem altgewohnten
Tagewerk, das Reich vom Tyrannen Bismarck zu befreien, nicht mehr obliegen
kann, auch anderweitig gekränkt worden ist, müßte man um seine Gesundheit besorgt
sein, wenn ihm nicht dann und wann eine kleine Aufmunterung zukäme. Er zeigte
sich denn auch ganz als der Alte! er wahrte das Recht der Abgeordneten, zu
interpelliren, das gesetzlich gewährleistet ist und von niemand angefochten war; er
verbreitete sich über die Nützlichkeit dieses Rechtes, die von niemand bestritten wurde.
Nur der Wunsch war ausgesprochen worden, die Herren möchten, bevor sie sich in
auswärtige Angelegenheiten mischen, den Kanzler von der Absicht unterrichten. So
Ist es herkömmlich, in allen Ländern, die die parlamentarischen — hin hin! sagen
Nur Backsischjahre hinter sich haben. Nur Volksvertreter, die lieber die Inter¬
essen fremder Volker als die des eignen vertreten, und solche giebt es ja leider in
manchen Ländern, setzen sich über jene Regel des parlamentarischen Auslandes hinweg.
Wäre in Deutschland die Parlamcntsschnle nicht 1849 geschlossen worden, so
hätten Nur ebenfalls schon ein Schwnbenalter in dem Fach erreicht und wohl gewisse
Fuchsansichlen und Fnchsmaniereu abgestreift. Es ist billig, diesen Umstand zu be¬
rücksichtigen. Gleichwohl giebt es einen deutschen Reichstag, selbst ohne Hinzu-
rechnnng des norddeutschen und des Zollparlaments, schon so lange, daß die Er¬
örterung von Fragen des Komments eigentlich nicht mehr nötig sein sollte.
Interpellationen wie die des unverdient in Vergessenheit geratenen Abgeordneten
Piepmayer, der die übliche Formel! „Ist dem Herrn Minister dieser Vorfall be¬
kannt, und was denkt er zu thun u. f. w.?" mit der drnstischeu Schilderung ein¬
leitete, wie der Nachtwächter in Tripstrille einen Angeheiterten nicht mit der einem
freien Manne und UrWähler zukommenden Ehrerbietung behandelt habe, kommen
allerdings kaum mehr vor, doch danken wir das wahrscheinlich nur der weisen
Bestimmung, daß Interpellationen eine größere Anzahl Unterschriften haben müssen.
Denn nicht nur die Beneidenswerter, die sich jugendliche Unerfnhrenheit und Bor-
schnellheit im Urteil bis in das Greisenalter bewahrt haben, halten es heute noch
für des Volksvertreters erste Pflicht, die Männer der Regierung zu ärgern und in
Verlegenheit zu bringen, auch ein Nachwuchs bekennt sich stolz zu diesen Grund¬
sätzen von 1848. Und immer ist die auswärtige Politik das Feld, ans dem sich
der Dilettantismus am liebsten tummelt. Das erklärt sich leicht. Um über alles
Reden zu halten, ob man nun etwas davon versteht oder nicht, dazu gehört eine
Virtuosität, die sich nnr wenige anzueignen vermögen; in Sachen der Verwaltung,
der Gerichlspflege, des Unterrichts, der Landwirtschaft n. f. w. kann man sich gar
zu leicht Blößen gebe«, die von Sachverständigen rücksichtslos ausgebeutet zu werden
pflegen; aber in der äußern Politik ist bekanntlich fast jeder Zeitungsleser Fach¬
mann. Wir würden sagen: jeder ohne Ausnahme, wenn es nicht Minister des
Auswärtigen gäbe. Denen wird in der Regel durch vieljährige Studien und
praktische Beschäftigung in ihrem Fache und durch die Kenntnis der diplomatischen
Beziehungen jene frische, fröhliche Unbefangenheit geraubt, mit der die Herren Piep¬
mayer an die Besprechung der verwinkeltsten Fragen gehen, um sie spielend zu lösen.
Da die gelehrten Herren, die vor fünfundzwanzig Jahren dem Dilettanten
Bismarck in so uneigennütziger Weise Unterricht in den Anfangsgründen der aus-
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