Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Zweites Vieteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite


Das deutsch-englische Abkommen

eher das deutsch-englische Abkommen sind uns aus den Kreisen
unsrer politischen Mitarbeiter drei Urteile zugegangen, die sich
gegenseitig ergänzen, insofern sich das eine auf den kolonial-
politischen, das andre auf den reinpolitischen Standpunkt stellt,
das dritte das überraschende Ereignis mit geschichtlichen Be¬
trachtungen begleitet. Im nachfolgenden bringen wir alle drei unverkürzt zum
Abdruck.'

1

Mit Recht ist von zahlreichen Zeitungsstimmeu hervorgehoben worden,
daß man das deutsch-englische Abkommen weder bloß von dem kolonialpvlitischen,
noch auch ausschließlich von dein allgemein politischen Standpunkte betrachten
dürfe, um zu einem richtigen Urteil über seinen Wert zu gelangen. Gleichwohl
thut Ulan zur Klärung der Sachlage gut, die beiden Gesichtspunkte zunächst zu
sondern und erst das abschließende Gesamturteil auf eine Verbindung der einseitigen
Erwägungen zu stützen. Beurteilen wir den Vertragsschluß lediglich vom kolonial-
politischen Gesichtspunkte, so gilt es zuvor, sich über zwei wichtige Grundsätze,
die als kritische Wertmesser zu dienen haben, klar zu werden. Wir beschränken
uns hier darauf, sie einfach als ausgemachte Wahrheiten hinzustellen. Der
erste Satz ist der, daß wir für unsre auf das festländische Afrika bezüglichen
Kolvnialbestrebungen möglichst ausgedehnte Flächen wünschen müssen, daß es
sehr kurzsichtig ist, zu hageln Wir haben dort schon Kolonien drei- oder vier¬
mal so groß wie Deutschland; verdauen wir diese erst und übersättigen wir
uns nicht den Magen mit neuem Landerwerb! Unsre junge Kolonialpolitik
ist in ausnehmenden Sinne Zukunftspolitik; sie muß in großem Stil angelegt
werden und für eine dauernde, breite Entfaltung unsrer überschüssigen wirt¬
schaftlichen Kräfte entsprechend große Räume eröffnen, oder sie wird ein dürftiges
Stückwerk bleiben. Der andre Grundsatz, den wir ebenfalls in rein "dogma¬
tischer" Form aufstellen, lautet: In absehbarer Zeit hängt das Aufblühen
unsrer meisten Kolonien weit mehr von der sofort einträglichen Ausbeutung
des bestehenden Handels, als von unsern "kultivntorischen" Anlagen ab. Die
letztern brauchen zu ihrer Entwicklung Zeit und können auch der Zahl nach




Das deutsch-englische Abkommen

eher das deutsch-englische Abkommen sind uns aus den Kreisen
unsrer politischen Mitarbeiter drei Urteile zugegangen, die sich
gegenseitig ergänzen, insofern sich das eine auf den kolonial-
politischen, das andre auf den reinpolitischen Standpunkt stellt,
das dritte das überraschende Ereignis mit geschichtlichen Be¬
trachtungen begleitet. Im nachfolgenden bringen wir alle drei unverkürzt zum
Abdruck.'

1

Mit Recht ist von zahlreichen Zeitungsstimmeu hervorgehoben worden,
daß man das deutsch-englische Abkommen weder bloß von dem kolonialpvlitischen,
noch auch ausschließlich von dein allgemein politischen Standpunkte betrachten
dürfe, um zu einem richtigen Urteil über seinen Wert zu gelangen. Gleichwohl
thut Ulan zur Klärung der Sachlage gut, die beiden Gesichtspunkte zunächst zu
sondern und erst das abschließende Gesamturteil auf eine Verbindung der einseitigen
Erwägungen zu stützen. Beurteilen wir den Vertragsschluß lediglich vom kolonial-
politischen Gesichtspunkte, so gilt es zuvor, sich über zwei wichtige Grundsätze,
die als kritische Wertmesser zu dienen haben, klar zu werden. Wir beschränken
uns hier darauf, sie einfach als ausgemachte Wahrheiten hinzustellen. Der
erste Satz ist der, daß wir für unsre auf das festländische Afrika bezüglichen
Kolvnialbestrebungen möglichst ausgedehnte Flächen wünschen müssen, daß es
sehr kurzsichtig ist, zu hageln Wir haben dort schon Kolonien drei- oder vier¬
mal so groß wie Deutschland; verdauen wir diese erst und übersättigen wir
uns nicht den Magen mit neuem Landerwerb! Unsre junge Kolonialpolitik
ist in ausnehmenden Sinne Zukunftspolitik; sie muß in großem Stil angelegt
werden und für eine dauernde, breite Entfaltung unsrer überschüssigen wirt¬
schaftlichen Kräfte entsprechend große Räume eröffnen, oder sie wird ein dürftiges
Stückwerk bleiben. Der andre Grundsatz, den wir ebenfalls in rein „dogma¬
tischer" Form aufstellen, lautet: In absehbarer Zeit hängt das Aufblühen
unsrer meisten Kolonien weit mehr von der sofort einträglichen Ausbeutung
des bestehenden Handels, als von unsern „kultivntorischen" Anlagen ab. Die
letztern brauchen zu ihrer Entwicklung Zeit und können auch der Zahl nach


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0612" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/207907"/>
            <figure facs="http://media.dwds.de/dta/images/grenzboten_341851_207294/figures/grenzboten_341851_207294_207907_000.jpg"/><lb/>
          </div>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Das deutsch-englische Abkommen</head><lb/>
          <p xml:id="ID_1690"> eher das deutsch-englische Abkommen sind uns aus den Kreisen<lb/>
unsrer politischen Mitarbeiter drei Urteile zugegangen, die sich<lb/>
gegenseitig ergänzen, insofern sich das eine auf den kolonial-<lb/>
politischen, das andre auf den reinpolitischen Standpunkt stellt,<lb/>
das dritte das überraschende Ereignis mit geschichtlichen Be¬<lb/>
trachtungen begleitet. Im nachfolgenden bringen wir alle drei unverkürzt zum<lb/>
Abdruck.'</p><lb/>
          <div n="2">
            <head> 1</head><lb/>
            <p xml:id="ID_1691" next="#ID_1692"> Mit Recht ist von zahlreichen Zeitungsstimmeu hervorgehoben worden,<lb/>
daß man das deutsch-englische Abkommen weder bloß von dem kolonialpvlitischen,<lb/>
noch auch ausschließlich von dein allgemein politischen Standpunkte betrachten<lb/>
dürfe, um zu einem richtigen Urteil über seinen Wert zu gelangen. Gleichwohl<lb/>
thut Ulan zur Klärung der Sachlage gut, die beiden Gesichtspunkte zunächst zu<lb/>
sondern und erst das abschließende Gesamturteil auf eine Verbindung der einseitigen<lb/>
Erwägungen zu stützen. Beurteilen wir den Vertragsschluß lediglich vom kolonial-<lb/>
politischen Gesichtspunkte, so gilt es zuvor, sich über zwei wichtige Grundsätze,<lb/>
die als kritische Wertmesser zu dienen haben, klar zu werden. Wir beschränken<lb/>
uns hier darauf, sie einfach als ausgemachte Wahrheiten hinzustellen. Der<lb/>
erste Satz ist der, daß wir für unsre auf das festländische Afrika bezüglichen<lb/>
Kolvnialbestrebungen möglichst ausgedehnte Flächen wünschen müssen, daß es<lb/>
sehr kurzsichtig ist, zu hageln Wir haben dort schon Kolonien drei- oder vier¬<lb/>
mal so groß wie Deutschland; verdauen wir diese erst und übersättigen wir<lb/>
uns nicht den Magen mit neuem Landerwerb! Unsre junge Kolonialpolitik<lb/>
ist in ausnehmenden Sinne Zukunftspolitik; sie muß in großem Stil angelegt<lb/>
werden und für eine dauernde, breite Entfaltung unsrer überschüssigen wirt¬<lb/>
schaftlichen Kräfte entsprechend große Räume eröffnen, oder sie wird ein dürftiges<lb/>
Stückwerk bleiben. Der andre Grundsatz, den wir ebenfalls in rein &#x201E;dogma¬<lb/>
tischer" Form aufstellen, lautet: In absehbarer Zeit hängt das Aufblühen<lb/>
unsrer meisten Kolonien weit mehr von der sofort einträglichen Ausbeutung<lb/>
des bestehenden Handels, als von unsern &#x201E;kultivntorischen" Anlagen ab. Die<lb/>
letztern brauchen zu ihrer Entwicklung Zeit und können auch der Zahl nach</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0612] [Abbildung] Das deutsch-englische Abkommen eher das deutsch-englische Abkommen sind uns aus den Kreisen unsrer politischen Mitarbeiter drei Urteile zugegangen, die sich gegenseitig ergänzen, insofern sich das eine auf den kolonial- politischen, das andre auf den reinpolitischen Standpunkt stellt, das dritte das überraschende Ereignis mit geschichtlichen Be¬ trachtungen begleitet. Im nachfolgenden bringen wir alle drei unverkürzt zum Abdruck.' 1 Mit Recht ist von zahlreichen Zeitungsstimmeu hervorgehoben worden, daß man das deutsch-englische Abkommen weder bloß von dem kolonialpvlitischen, noch auch ausschließlich von dein allgemein politischen Standpunkte betrachten dürfe, um zu einem richtigen Urteil über seinen Wert zu gelangen. Gleichwohl thut Ulan zur Klärung der Sachlage gut, die beiden Gesichtspunkte zunächst zu sondern und erst das abschließende Gesamturteil auf eine Verbindung der einseitigen Erwägungen zu stützen. Beurteilen wir den Vertragsschluß lediglich vom kolonial- politischen Gesichtspunkte, so gilt es zuvor, sich über zwei wichtige Grundsätze, die als kritische Wertmesser zu dienen haben, klar zu werden. Wir beschränken uns hier darauf, sie einfach als ausgemachte Wahrheiten hinzustellen. Der erste Satz ist der, daß wir für unsre auf das festländische Afrika bezüglichen Kolvnialbestrebungen möglichst ausgedehnte Flächen wünschen müssen, daß es sehr kurzsichtig ist, zu hageln Wir haben dort schon Kolonien drei- oder vier¬ mal so groß wie Deutschland; verdauen wir diese erst und übersättigen wir uns nicht den Magen mit neuem Landerwerb! Unsre junge Kolonialpolitik ist in ausnehmenden Sinne Zukunftspolitik; sie muß in großem Stil angelegt werden und für eine dauernde, breite Entfaltung unsrer überschüssigen wirt¬ schaftlichen Kräfte entsprechend große Räume eröffnen, oder sie wird ein dürftiges Stückwerk bleiben. Der andre Grundsatz, den wir ebenfalls in rein „dogma¬ tischer" Form aufstellen, lautet: In absehbarer Zeit hängt das Aufblühen unsrer meisten Kolonien weit mehr von der sofort einträglichen Ausbeutung des bestehenden Handels, als von unsern „kultivntorischen" Anlagen ab. Die letztern brauchen zu ihrer Entwicklung Zeit und können auch der Zahl nach

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207294
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207294/612
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Zweites Vieteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207294/612>, abgerufen am 26.12.2024.