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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Zweites Vieteljahr.

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Die deutsche Sprache in Österreich

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^TMer den fast seit einem halben Jahrhundert in Osterreich ans der
Tagesordnung stehenden nationalen Krakehl mit dem Blick des,
unbefangenen Beobachters verfolgt hat, dem kommt immer wieder
das Goethische Wort in den Sinn: "Vernunft wird Unsinn,
Wohlthat Plage." Wenn man sieht, wie heute die Dinge stehen,
und welche Früchte durch das heillose Treiben gezeitigt worden sind, darf man
mit Fug und Recht auch den zweiten Teil des Spruches "Weh dir, daß du
ein Enkel bist!" hinzusetzen. Man sollte denken, ein großes, aus den ver¬
schiedensten Nationalitäten zusammengesetztes Staatswesen, wie das österreichische,
bedürfe mit zwingender Notwendigkeit eines gemeinsamen, allen diesen Stämmen
zugänglichen lind geläufigen Verständigungsmittels, einer Reichs-, Amts- -oder
Verkehrssprache, gleichviel wie man den unentbehrlichen Behelf nennen will.
Daß dieses gemeinsame Verkehrsmittel, wie die Dinge nun einmal stehen, nur
die deutsche Sprache sein kann, was sie ja auch, wenigstens zur Zeit uoch,
thatsächlich ist, scheint so einleuchtend, daß es keines Wortes weiter bedarf.
Wunderbarerweise ist man aber seit Jahrzehnten eifrig und nicht ohne Erfolg
bestrebt, das Geltungsgebiet der deutschen Sprache in Österreich möglichst ein¬
zuengen, und dies geschieht in einer Zeit, wo einerseits durch die erstaunliche
Vervollkommnung der Verkehrsmittel die Völker einander örtlich immer näher
rücken, und anderseits das Darwinsche Wort vom Kampf ums Dasein längst
zur harten Wahrheit geworden ist. Auf allen Gebieten menschlicher Thätig¬
keit sehen wir heute einen Wettbewerb, von dein unsre Alten keine Ahnung
hatten, und fast überall übersteigt das Angebot bei weitem die Nachfrage.

Ich frage: Müßte unter solchen Umständen nicht die eifrigste Fürsorge
se'wohl der Familie wie des Staates darauf gerichtet sein, das heranwachsende
Geschlecht mit den besten Waffen für den spätern unvermeidlichen Kampf aus-


Grenzboten II 1890 67


Die deutsche Sprache in Österreich

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^TMer den fast seit einem halben Jahrhundert in Osterreich ans der
Tagesordnung stehenden nationalen Krakehl mit dem Blick des,
unbefangenen Beobachters verfolgt hat, dem kommt immer wieder
das Goethische Wort in den Sinn: „Vernunft wird Unsinn,
Wohlthat Plage." Wenn man sieht, wie heute die Dinge stehen,
und welche Früchte durch das heillose Treiben gezeitigt worden sind, darf man
mit Fug und Recht auch den zweiten Teil des Spruches „Weh dir, daß du
ein Enkel bist!" hinzusetzen. Man sollte denken, ein großes, aus den ver¬
schiedensten Nationalitäten zusammengesetztes Staatswesen, wie das österreichische,
bedürfe mit zwingender Notwendigkeit eines gemeinsamen, allen diesen Stämmen
zugänglichen lind geläufigen Verständigungsmittels, einer Reichs-, Amts- -oder
Verkehrssprache, gleichviel wie man den unentbehrlichen Behelf nennen will.
Daß dieses gemeinsame Verkehrsmittel, wie die Dinge nun einmal stehen, nur
die deutsche Sprache sein kann, was sie ja auch, wenigstens zur Zeit uoch,
thatsächlich ist, scheint so einleuchtend, daß es keines Wortes weiter bedarf.
Wunderbarerweise ist man aber seit Jahrzehnten eifrig und nicht ohne Erfolg
bestrebt, das Geltungsgebiet der deutschen Sprache in Österreich möglichst ein¬
zuengen, und dies geschieht in einer Zeit, wo einerseits durch die erstaunliche
Vervollkommnung der Verkehrsmittel die Völker einander örtlich immer näher
rücken, und anderseits das Darwinsche Wort vom Kampf ums Dasein längst
zur harten Wahrheit geworden ist. Auf allen Gebieten menschlicher Thätig¬
keit sehen wir heute einen Wettbewerb, von dein unsre Alten keine Ahnung
hatten, und fast überall übersteigt das Angebot bei weitem die Nachfrage.

Ich frage: Müßte unter solchen Umständen nicht die eifrigste Fürsorge
se'wohl der Familie wie des Staates darauf gerichtet sein, das heranwachsende
Geschlecht mit den besten Waffen für den spätern unvermeidlichen Kampf aus-


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[0537] [Abbildung] Die deutsche Sprache in Österreich vWML-.M» «-^ADWM ^TMer den fast seit einem halben Jahrhundert in Osterreich ans der Tagesordnung stehenden nationalen Krakehl mit dem Blick des, unbefangenen Beobachters verfolgt hat, dem kommt immer wieder das Goethische Wort in den Sinn: „Vernunft wird Unsinn, Wohlthat Plage." Wenn man sieht, wie heute die Dinge stehen, und welche Früchte durch das heillose Treiben gezeitigt worden sind, darf man mit Fug und Recht auch den zweiten Teil des Spruches „Weh dir, daß du ein Enkel bist!" hinzusetzen. Man sollte denken, ein großes, aus den ver¬ schiedensten Nationalitäten zusammengesetztes Staatswesen, wie das österreichische, bedürfe mit zwingender Notwendigkeit eines gemeinsamen, allen diesen Stämmen zugänglichen lind geläufigen Verständigungsmittels, einer Reichs-, Amts- -oder Verkehrssprache, gleichviel wie man den unentbehrlichen Behelf nennen will. Daß dieses gemeinsame Verkehrsmittel, wie die Dinge nun einmal stehen, nur die deutsche Sprache sein kann, was sie ja auch, wenigstens zur Zeit uoch, thatsächlich ist, scheint so einleuchtend, daß es keines Wortes weiter bedarf. Wunderbarerweise ist man aber seit Jahrzehnten eifrig und nicht ohne Erfolg bestrebt, das Geltungsgebiet der deutschen Sprache in Österreich möglichst ein¬ zuengen, und dies geschieht in einer Zeit, wo einerseits durch die erstaunliche Vervollkommnung der Verkehrsmittel die Völker einander örtlich immer näher rücken, und anderseits das Darwinsche Wort vom Kampf ums Dasein längst zur harten Wahrheit geworden ist. Auf allen Gebieten menschlicher Thätig¬ keit sehen wir heute einen Wettbewerb, von dein unsre Alten keine Ahnung hatten, und fast überall übersteigt das Angebot bei weitem die Nachfrage. Ich frage: Müßte unter solchen Umständen nicht die eifrigste Fürsorge se'wohl der Familie wie des Staates darauf gerichtet sein, das heranwachsende Geschlecht mit den besten Waffen für den spätern unvermeidlichen Kampf aus- Grenzboten II 1890 67

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Zweites Vieteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207294/537>, abgerufen am 26.12.2024.