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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr.

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Wiener volksstiicke

Mitleid, zur Liebe zu seinen Arbeitern, denen er nun endlich Wohnungen
bauen läßt.

Die gar zu sichtbare Tendenz in dieser Entwicklung einer interessanten
Charaktergestalt verdirbt ihren dichterischen Wert. In der Hand eines prosai¬
schen Mannes wird selbst das Körnchen Gold zu Messing.


in. N.


Wiener Oolksstücke

n Wien sind jetzt zwei Bühnen, aus denen das Volksstück
gepflegt wird: das Josefstädter und das Karlthcnter in der
Leopoldstadt. Das Josefstädter steht unter der Leitung eines
gewissen Giesrau, dem Karltheater steht der bekannte Komiker
Karl Blasel vor, der vorm Jahre das Josefstädter Theater inne¬
hatte. Dem Namen Blasel wohnt in Wien unstreitig eine große Zugkraft
inne, aber es hat sich doch in diesem Winter gezeigt, daß er allein nicht
imstande ist, volle Häuser zu machen, es müssen doch auch sonst noch gute
Schauspieler nud wenigstens leidliche Stücke dazu kommen. An beiden hat
es aber im Karltheater gefehlt. Dagegen erfreut sich das Josefstädter Theater
immer guten. Besuchs, obwohl Giesrau dem größeren Publikum kaum dem
Namen nach bekannt ist. Aber er hat es verstanden, gute Kräfte heranzuziehen,
und er bietet im gauzen doch eine bessere Kost als Blasel.

Das große Zugstück des vorigen Jahres -- es wurde etwa zweihuudcrtmnl
im Josefstädter Theater aufgeführt --, die "Gigerln vou Wien" -- erscheint
jetzt nur selten noch auf den Brettern: jedermann hat sie gesehen, viele sogar
zweimal. Wie wir hören, konnten sich die "Gigerln" auf fremden Bühnen
-- in Deutschland und selbst in den deutsch österreichischen Provinzen -- den
Beifall nicht erringen, der ihnen in Wien so reichlich gespendet wurde, hie
und da sind sie sogar durchgefallen. - Das ist leicht begreiflich, nicht etwa
deshalb, weil das Stück zum größten Teil in der Wienerischen Mundart
geschrieben ist, sondern weil die drolligsten Gestalten dem Wiener Vorstadtleben
entnommen und darum auch nur wieder hier verständlich sind. Die Helden
freilich -- die Gigerln -- sind kein Erzeugnis des Wiener Bodens, sie stammen
aus Paris, chaben sich rasch in allen europäischen Großstädten eingebürgert,
wohl überall eine gewisse Lvkalfarbe angenommen, aber immer gewisse gemein-


Wiener volksstiicke

Mitleid, zur Liebe zu seinen Arbeitern, denen er nun endlich Wohnungen
bauen läßt.

Die gar zu sichtbare Tendenz in dieser Entwicklung einer interessanten
Charaktergestalt verdirbt ihren dichterischen Wert. In der Hand eines prosai¬
schen Mannes wird selbst das Körnchen Gold zu Messing.


in. N.


Wiener Oolksstücke

n Wien sind jetzt zwei Bühnen, aus denen das Volksstück
gepflegt wird: das Josefstädter und das Karlthcnter in der
Leopoldstadt. Das Josefstädter steht unter der Leitung eines
gewissen Giesrau, dem Karltheater steht der bekannte Komiker
Karl Blasel vor, der vorm Jahre das Josefstädter Theater inne¬
hatte. Dem Namen Blasel wohnt in Wien unstreitig eine große Zugkraft
inne, aber es hat sich doch in diesem Winter gezeigt, daß er allein nicht
imstande ist, volle Häuser zu machen, es müssen doch auch sonst noch gute
Schauspieler nud wenigstens leidliche Stücke dazu kommen. An beiden hat
es aber im Karltheater gefehlt. Dagegen erfreut sich das Josefstädter Theater
immer guten. Besuchs, obwohl Giesrau dem größeren Publikum kaum dem
Namen nach bekannt ist. Aber er hat es verstanden, gute Kräfte heranzuziehen,
und er bietet im gauzen doch eine bessere Kost als Blasel.

Das große Zugstück des vorigen Jahres — es wurde etwa zweihuudcrtmnl
im Josefstädter Theater aufgeführt —, die „Gigerln vou Wien" — erscheint
jetzt nur selten noch auf den Brettern: jedermann hat sie gesehen, viele sogar
zweimal. Wie wir hören, konnten sich die „Gigerln" auf fremden Bühnen
— in Deutschland und selbst in den deutsch österreichischen Provinzen — den
Beifall nicht erringen, der ihnen in Wien so reichlich gespendet wurde, hie
und da sind sie sogar durchgefallen. - Das ist leicht begreiflich, nicht etwa
deshalb, weil das Stück zum größten Teil in der Wienerischen Mundart
geschrieben ist, sondern weil die drolligsten Gestalten dem Wiener Vorstadtleben
entnommen und darum auch nur wieder hier verständlich sind. Die Helden
freilich — die Gigerln — sind kein Erzeugnis des Wiener Bodens, sie stammen
aus Paris, chaben sich rasch in allen europäischen Großstädten eingebürgert,
wohl überall eine gewisse Lvkalfarbe angenommen, aber immer gewisse gemein-


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[0570] Wiener volksstiicke Mitleid, zur Liebe zu seinen Arbeitern, denen er nun endlich Wohnungen bauen läßt. Die gar zu sichtbare Tendenz in dieser Entwicklung einer interessanten Charaktergestalt verdirbt ihren dichterischen Wert. In der Hand eines prosai¬ schen Mannes wird selbst das Körnchen Gold zu Messing. in. N. Wiener Oolksstücke n Wien sind jetzt zwei Bühnen, aus denen das Volksstück gepflegt wird: das Josefstädter und das Karlthcnter in der Leopoldstadt. Das Josefstädter steht unter der Leitung eines gewissen Giesrau, dem Karltheater steht der bekannte Komiker Karl Blasel vor, der vorm Jahre das Josefstädter Theater inne¬ hatte. Dem Namen Blasel wohnt in Wien unstreitig eine große Zugkraft inne, aber es hat sich doch in diesem Winter gezeigt, daß er allein nicht imstande ist, volle Häuser zu machen, es müssen doch auch sonst noch gute Schauspieler nud wenigstens leidliche Stücke dazu kommen. An beiden hat es aber im Karltheater gefehlt. Dagegen erfreut sich das Josefstädter Theater immer guten. Besuchs, obwohl Giesrau dem größeren Publikum kaum dem Namen nach bekannt ist. Aber er hat es verstanden, gute Kräfte heranzuziehen, und er bietet im gauzen doch eine bessere Kost als Blasel. Das große Zugstück des vorigen Jahres — es wurde etwa zweihuudcrtmnl im Josefstädter Theater aufgeführt —, die „Gigerln vou Wien" — erscheint jetzt nur selten noch auf den Brettern: jedermann hat sie gesehen, viele sogar zweimal. Wie wir hören, konnten sich die „Gigerln" auf fremden Bühnen — in Deutschland und selbst in den deutsch österreichischen Provinzen — den Beifall nicht erringen, der ihnen in Wien so reichlich gespendet wurde, hie und da sind sie sogar durchgefallen. - Das ist leicht begreiflich, nicht etwa deshalb, weil das Stück zum größten Teil in der Wienerischen Mundart geschrieben ist, sondern weil die drolligsten Gestalten dem Wiener Vorstadtleben entnommen und darum auch nur wieder hier verständlich sind. Die Helden freilich — die Gigerln — sind kein Erzeugnis des Wiener Bodens, sie stammen aus Paris, chaben sich rasch in allen europäischen Großstädten eingebürgert, wohl überall eine gewisse Lvkalfarbe angenommen, aber immer gewisse gemein-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_206644/570>, abgerufen am 23.07.2024.