Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr.Litteratur Kulturgeschichtliche Skizzen von O. Henne am Rhyn, Berlin, Allgemeiner Berein für deutsche Litteratur, 1889 Dieses Buch besteht aus elf Essays. Der erste, "Die Kultur, ihr Wesen, Litteratur Kulturgeschichtliche Skizzen von O. Henne am Rhyn, Berlin, Allgemeiner Berein für deutsche Litteratur, 1889 Dieses Buch besteht aus elf Essays. Der erste, „Die Kultur, ihr Wesen, <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0250" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/206895"/> </div> </div> <div n="1"> <head> Litteratur</head><lb/> <div n="2"> <head> Kulturgeschichtliche Skizzen von O. Henne am Rhyn, Berlin, Allgemeiner Berein<lb/> für deutsche Litteratur, 1889</head><lb/> <p xml:id="ID_698" next="#ID_699"> Dieses Buch besteht aus elf Essays. Der erste, „Die Kultur, ihr Wesen,<lb/> ihre Gesetze und ihre Formen," enthält die grundlegenden Gedanken. Der Verfasser<lb/> findet, daß die massenhafte Bücherei der Kulturgeschichte uns immer noch nicht Aar<lb/> gemacht hat, was die Kulturgeschichte eigentlich sei. Buckle habe die Erwartung<lb/> insofern getäuscht, als sein Werk unvollendet geblieben sei; ans dem Vorhandenen<lb/> könne man nicht erraten, wie das Ganze ausgefallen sein würde. Darwin gebe erst<lb/> recht keinen Aufschluß. Überhaupt sei mit dem Schlagworte der natürlichen Ent¬<lb/> wicklung nichts erklärt, denn den Naturgesetzen unterliege der Mensch eben nur „in<lb/> rein natürlicher Hinsicht"; der Geist sei von ihnen unabhängig. Daraus ergiebt<lb/> sich folgende Auffassung! „Wie die Naturwissenschaft das nach Naturgesetzen Ent¬<lb/> standene (,ne>,t,um), so behandelt die Kulturgeschichte das unabhängig von den<lb/> Naturgesetzen Geschaffene, Gepflegte, Gebildete'(Lnlwm). Die Kulturgeschichte ist<lb/> demnach die Darstellung der durch die Naturgesetze nicht erklärbaren großen und<lb/> wichtigen Ereignisse und Zustände im Dasein des Menschen, sie ist die Erzählung<lb/> dessen, was der Mensch vollbracht hat, ohne dazu durch die Natur angetrieben zu<lb/> sein, sie ist die „Geschichte" im höchsten, reinsten Sinne und Geiste." In den<lb/> folgenden Skizzen werden behandelt: die Rolle der Volker in der Kulturgeschichte,<lb/> der Mensch und die Steine, Pflanze» und Tiere im Dienste des Meuscheu, das<lb/> Eden der Antipoden (die Südseeinseln), die Art der Begrüßung bei verschiednen<lb/> Völkern. Die letzten fünf sind dem Aberglauben und der Religionsgeschichte ge¬<lb/> widmet. Die Darstellung des Buddhismus giebt dem Verfasser Gelegenheit zu<lb/> einer Polemik gegen E. von Hartmnnn, dessen pessimistischen Standpunkt er nicht<lb/> teilt, und der auch sachlich Unrichtiges über jene Religion behauptet haben soll.<lb/> Nach Anlage und Stoff gehört Heuues Buch in eine Klasse mit Herrmanns „Sein<lb/> und Werden." Es ist nicht so reich wie dieses an geistreichen Verknüpfungen und<lb/> neuen Thatsache» (nur der letzte Aufsatz über die neueste religiöse Bewegung in<lb/> Indien, erzählt Di»ge, die den meisten Lesern bisher unbekannt gewesen sein werden),<lb/> aber es liest sich angenehm und zeugt durchweg von gesunden Anschanungen. So<lb/> spricht er S. 193 von der Wiederbelebung des Aberglaubens durch den Spiritismus<lb/> und denen, die an dem Überhandnehmen dieser Thorheit die Schuld tragen. „Es<lb/> sind dies einerseits die Propheten des Materialismus, welche der Menschheit alles<lb/> Ideale rauben und ihr ganzes sauer erworbenes und mühsam fortgepflanztes Geistes¬<lb/> und Gemütsleben als einen bloßen Nervenprozeß darstellen möchten. Anderseits<lb/> sind es die Bannerträger der Orthodoxie, deren Bestreben dahin geht, den geistigen<lb/> Standpunkt der Meuscheu auf einer gewissen längst überwundenen Stufe fest zu<lb/> nageln. Weder das eine noch das andre Beginnen kann diejenigen befriedigen,<lb/> welche an ein Ideal glauben, und wenn es diesen daher um einer zugleich vernünftigen,</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0250]
Litteratur
Kulturgeschichtliche Skizzen von O. Henne am Rhyn, Berlin, Allgemeiner Berein
für deutsche Litteratur, 1889
Dieses Buch besteht aus elf Essays. Der erste, „Die Kultur, ihr Wesen,
ihre Gesetze und ihre Formen," enthält die grundlegenden Gedanken. Der Verfasser
findet, daß die massenhafte Bücherei der Kulturgeschichte uns immer noch nicht Aar
gemacht hat, was die Kulturgeschichte eigentlich sei. Buckle habe die Erwartung
insofern getäuscht, als sein Werk unvollendet geblieben sei; ans dem Vorhandenen
könne man nicht erraten, wie das Ganze ausgefallen sein würde. Darwin gebe erst
recht keinen Aufschluß. Überhaupt sei mit dem Schlagworte der natürlichen Ent¬
wicklung nichts erklärt, denn den Naturgesetzen unterliege der Mensch eben nur „in
rein natürlicher Hinsicht"; der Geist sei von ihnen unabhängig. Daraus ergiebt
sich folgende Auffassung! „Wie die Naturwissenschaft das nach Naturgesetzen Ent¬
standene (,ne>,t,um), so behandelt die Kulturgeschichte das unabhängig von den
Naturgesetzen Geschaffene, Gepflegte, Gebildete'(Lnlwm). Die Kulturgeschichte ist
demnach die Darstellung der durch die Naturgesetze nicht erklärbaren großen und
wichtigen Ereignisse und Zustände im Dasein des Menschen, sie ist die Erzählung
dessen, was der Mensch vollbracht hat, ohne dazu durch die Natur angetrieben zu
sein, sie ist die „Geschichte" im höchsten, reinsten Sinne und Geiste." In den
folgenden Skizzen werden behandelt: die Rolle der Volker in der Kulturgeschichte,
der Mensch und die Steine, Pflanze» und Tiere im Dienste des Meuscheu, das
Eden der Antipoden (die Südseeinseln), die Art der Begrüßung bei verschiednen
Völkern. Die letzten fünf sind dem Aberglauben und der Religionsgeschichte ge¬
widmet. Die Darstellung des Buddhismus giebt dem Verfasser Gelegenheit zu
einer Polemik gegen E. von Hartmnnn, dessen pessimistischen Standpunkt er nicht
teilt, und der auch sachlich Unrichtiges über jene Religion behauptet haben soll.
Nach Anlage und Stoff gehört Heuues Buch in eine Klasse mit Herrmanns „Sein
und Werden." Es ist nicht so reich wie dieses an geistreichen Verknüpfungen und
neuen Thatsache» (nur der letzte Aufsatz über die neueste religiöse Bewegung in
Indien, erzählt Di»ge, die den meisten Lesern bisher unbekannt gewesen sein werden),
aber es liest sich angenehm und zeugt durchweg von gesunden Anschanungen. So
spricht er S. 193 von der Wiederbelebung des Aberglaubens durch den Spiritismus
und denen, die an dem Überhandnehmen dieser Thorheit die Schuld tragen. „Es
sind dies einerseits die Propheten des Materialismus, welche der Menschheit alles
Ideale rauben und ihr ganzes sauer erworbenes und mühsam fortgepflanztes Geistes¬
und Gemütsleben als einen bloßen Nervenprozeß darstellen möchten. Anderseits
sind es die Bannerträger der Orthodoxie, deren Bestreben dahin geht, den geistigen
Standpunkt der Meuscheu auf einer gewissen längst überwundenen Stufe fest zu
nageln. Weder das eine noch das andre Beginnen kann diejenigen befriedigen,
welche an ein Ideal glauben, und wenn es diesen daher um einer zugleich vernünftigen,
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