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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr.

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Studien zur englischen Litteratur der Gegenwart
von L. I- Groth

le man auch über die französische Litteratur der Gegenwart ur¬
teilen mag, die Thatsache kaun niemand leugnen, daß das litte¬
rarische Leben Frankreichs in einem auffallenden Gährungsprozesse
hin- und herwogt, daß die Gegensätze zwischen alten Überlieferungen
und neuen Strömungen immer mächtiger auf einander stoßen,
U"o daß uicht nur die Schriftsteller und die Künstler, sondern fast alle Schichten
^'r gebildeten Gesellschaft in Frankreich an den litterarischen Kämpfen teilnehmen,
^"v sich Gegensätze treffen und innere Bewegung herrscht, da wirkt auch zeugungs-
^'ästiges Leben; nud wo Neues, Eigenartiges geschaffen wird, da weilt der
Naturfreund gern, selbst wenn das Neue das Gepräge der Überstürzung
und Verzerrung trägt, und das Eigenartige oft seinen ästhetischen Grundsätzen
zuwiderläuft.

Kann mau ein ähnliches Urteil über die englische Litteratur der Gegenwart
"ussprechen? Wenn der Zustand und der Einfluß der litterarischen Kritik ein
^üißstab für das geistige Leben eines Volkes ist, so kann das heutige England
M dieser Beziehung gar nicht mit Frankreich verglichen werden. NottiinA is
worg vuriouK in recule I'reinen literature-, sagt das Athenäum, t-Inn elle
^M<zu ontkwxxmx c>5 g, sodool ol ^minx (in s litörsi^ ssnsv) sua vromisinA
^ti(Z8. Diese Ansicht wird niemand bestreiten; in England freilich ist das
Entstehen und Aufblühen einer kritischen Schule, die dem litterarischen Leben
Ziel "ut^ Richtung giebt, gar nicht denkbar. So gediegene Kunstrichter wie
^-auie, Scherer, Mvntvgnt, Brunetivre, Bvnrget, Faguet n. s. w., die lenkend
und fördernd ans das geistige Schaffen in Frankreich einwirken, hat die eng-
^sche Litteratur der Gegenwart nicht auszuweisen. Fast scheint es, als sei die
^e'gnug zu künsttheoretischen Untersuchungen nud litterarischichtlichen Arbeiten
über die neueste Zeit aus England nach Nordamerika übergesiedelt, denn die
wider Schriftsteller Edmund Clarence Stedmcm und Henry James, die in den
etzten Jahren auf diesem Gebiet unbestrittene Erfolge errungen haben und in
England als "Autoritäten" gelten, sind Amerikaner.

Die kräftige Entfaltung des nordamerikanischen Schrifttums, besonders im
^rflosseneu Jahrzehnt, das Zurücksinken des angelsächsischen Geistes nach dem




Studien zur englischen Litteratur der Gegenwart
von L. I- Groth

le man auch über die französische Litteratur der Gegenwart ur¬
teilen mag, die Thatsache kaun niemand leugnen, daß das litte¬
rarische Leben Frankreichs in einem auffallenden Gährungsprozesse
hin- und herwogt, daß die Gegensätze zwischen alten Überlieferungen
und neuen Strömungen immer mächtiger auf einander stoßen,
U"o daß uicht nur die Schriftsteller und die Künstler, sondern fast alle Schichten
^'r gebildeten Gesellschaft in Frankreich an den litterarischen Kämpfen teilnehmen,
^»v sich Gegensätze treffen und innere Bewegung herrscht, da wirkt auch zeugungs-
^'ästiges Leben; nud wo Neues, Eigenartiges geschaffen wird, da weilt der
Naturfreund gern, selbst wenn das Neue das Gepräge der Überstürzung
und Verzerrung trägt, und das Eigenartige oft seinen ästhetischen Grundsätzen
zuwiderläuft.

Kann mau ein ähnliches Urteil über die englische Litteratur der Gegenwart
"ussprechen? Wenn der Zustand und der Einfluß der litterarischen Kritik ein
^üißstab für das geistige Leben eines Volkes ist, so kann das heutige England
M dieser Beziehung gar nicht mit Frankreich verglichen werden. NottiinA is
worg vuriouK in recule I'reinen literature-, sagt das Athenäum, t-Inn elle
^M<zu ontkwxxmx c>5 g, sodool ol ^minx (in s litörsi^ ssnsv) sua vromisinA
^ti(Z8. Diese Ansicht wird niemand bestreiten; in England freilich ist das
Entstehen und Aufblühen einer kritischen Schule, die dem litterarischen Leben
Ziel »ut^ Richtung giebt, gar nicht denkbar. So gediegene Kunstrichter wie
^-auie, Scherer, Mvntvgnt, Brunetivre, Bvnrget, Faguet n. s. w., die lenkend
und fördernd ans das geistige Schaffen in Frankreich einwirken, hat die eng-
^sche Litteratur der Gegenwart nicht auszuweisen. Fast scheint es, als sei die
^e'gnug zu künsttheoretischen Untersuchungen nud litterarischichtlichen Arbeiten
über die neueste Zeit aus England nach Nordamerika übergesiedelt, denn die
wider Schriftsteller Edmund Clarence Stedmcm und Henry James, die in den
etzten Jahren auf diesem Gebiet unbestrittene Erfolge errungen haben und in
England als „Autoritäten" gelten, sind Amerikaner.

Die kräftige Entfaltung des nordamerikanischen Schrifttums, besonders im
^rflosseneu Jahrzehnt, das Zurücksinken des angelsächsischen Geistes nach dem


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[0135] [Abbildung] Studien zur englischen Litteratur der Gegenwart von L. I- Groth le man auch über die französische Litteratur der Gegenwart ur¬ teilen mag, die Thatsache kaun niemand leugnen, daß das litte¬ rarische Leben Frankreichs in einem auffallenden Gährungsprozesse hin- und herwogt, daß die Gegensätze zwischen alten Überlieferungen und neuen Strömungen immer mächtiger auf einander stoßen, U"o daß uicht nur die Schriftsteller und die Künstler, sondern fast alle Schichten ^'r gebildeten Gesellschaft in Frankreich an den litterarischen Kämpfen teilnehmen, ^»v sich Gegensätze treffen und innere Bewegung herrscht, da wirkt auch zeugungs- ^'ästiges Leben; nud wo Neues, Eigenartiges geschaffen wird, da weilt der Naturfreund gern, selbst wenn das Neue das Gepräge der Überstürzung und Verzerrung trägt, und das Eigenartige oft seinen ästhetischen Grundsätzen zuwiderläuft. Kann mau ein ähnliches Urteil über die englische Litteratur der Gegenwart "ussprechen? Wenn der Zustand und der Einfluß der litterarischen Kritik ein ^üißstab für das geistige Leben eines Volkes ist, so kann das heutige England M dieser Beziehung gar nicht mit Frankreich verglichen werden. NottiinA is worg vuriouK in recule I'reinen literature-, sagt das Athenäum, t-Inn elle ^M<zu ontkwxxmx c>5 g, sodool ol ^minx (in s litörsi^ ssnsv) sua vromisinA ^ti(Z8. Diese Ansicht wird niemand bestreiten; in England freilich ist das Entstehen und Aufblühen einer kritischen Schule, die dem litterarischen Leben Ziel »ut^ Richtung giebt, gar nicht denkbar. So gediegene Kunstrichter wie ^-auie, Scherer, Mvntvgnt, Brunetivre, Bvnrget, Faguet n. s. w., die lenkend und fördernd ans das geistige Schaffen in Frankreich einwirken, hat die eng- ^sche Litteratur der Gegenwart nicht auszuweisen. Fast scheint es, als sei die ^e'gnug zu künsttheoretischen Untersuchungen nud litterarischichtlichen Arbeiten über die neueste Zeit aus England nach Nordamerika übergesiedelt, denn die wider Schriftsteller Edmund Clarence Stedmcm und Henry James, die in den etzten Jahren auf diesem Gebiet unbestrittene Erfolge errungen haben und in England als „Autoritäten" gelten, sind Amerikaner. Die kräftige Entfaltung des nordamerikanischen Schrifttums, besonders im ^rflosseneu Jahrzehnt, das Zurücksinken des angelsächsischen Geistes nach dem

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_206644/135>, abgerufen am 22.07.2024.