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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr.

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Litteratur

ihnen zu helfen. Da erwidert ihm Volker: "Saht Ihr wohl je zur Sühne so
viele Helden kommen mit anfgebnndnem Helme und die Schwerter in der Hund"?
Darin liegt doch ausgesprochen, daß, wenn Rüdiger eine Aussöhnung der Vur-
gunden mit Etzel beabsichtigte, er nach der Sitte der Zeit ohne Helm und Schwert
hätte erscheinen müssen


Alfred Bähnisch


Litteratur

Berliner Neudrucke. Erste Serie. Band 3 und 4. Nikolaus Penckers wohlklingende
Puncte und drei Singspiele Christinn Reuters. Herausgegeben von Georg Elliuger.
Musen und Grazien in der Mnrk (Gedichte vou F. W. A. Schmidt). Herausgegeben 'vou
Ludwig Geiger. Berlin, Gebr. Puckel, 1889

Die Fortsetzung des hier bereits angezeigten Unternehmens bringt in "Schmidt
von WerneuchenS" Gedichten eine gewiß vielfach willkommne Gabe. Durch Goethes
bekanntes Gedicht, das mich hier zum Stichwort für ihn dient, zum "Vetter
Michel" der Poesie geworden, ist er für die Gebildeten nicht mehr als ein selt¬
samer Kauz, für die Litleratnrgelehrten, die durch die Urteile der Romantiker be¬
stimmt sind, ein schlechter Versemacher. Die wenigsten wissen, daß kein Geringerer
als Jnkob Grimm für ihn lebhaft Partei gegen diese Urteile ergriffen und ihn
beim deutschen Wörterbuch vielfach benutzt hat. Es hat jedenfalls schlechtere Dichter
in Deutschland gegeben und solche, die sich mehr darauf einbildeten, als der biedere
märkische Landpastor. Seine nur zu flüssigen Äerse, deren meist sehr häuslich und
bürgerlich solide Vorwürfe und nur allzu bekannter sandiger Landschaftshinter¬
grund in einem abenteuerlichem Gegensatz zu ihrem überzeugten Odenschwung und
gesuchten Wortschmuck stehen, entbehren für uus freilich nicht des unfreiwilligen Humors.
Aber ebensowenig eines wenn auch nicht urträftigeu, so doch immerhin innigen
Behagens. Die ganze gesammelte Daseinslust einer eng umfriedeten, aber in ihren:
Kreise sich seelenvergnügt um sich selbst drehenden Existenz ist hier "auf Strophen
abgezogen."

Weniger Gutes läßt sich von der erslnngeführten Erneuerung sagen aus der
Zeit der Hochblüte deutscher Znnfllilteratur und ihrem damals auch poetisch sandigsten
Winkel. Als Belege ehrenfester alter Stadtpoesie der gegenwärtigen Reichshaupt-
stadt haben die Gelegenheitsgedichte des poetisch paukenden Stadtrichters, als Er¬
zeugnisse des Verfassers des "Schelmuffsky" und durch ihre Verwendung am jungen
preußischen Königshofe die drei Singspiele Interesse. ' Wer jedoch für die "Idee"
des Philistertums schwärmt, kann hier geheilt werden.




Für die Redaktion verantwortlich: Johannes Grunvw in Leipzig
Verlag von Fr. Wilh. Grunow in Leipzig -- Druck vou Carl Marquart in Leipzig
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ihnen zu helfen. Da erwidert ihm Volker: „Saht Ihr wohl je zur Sühne so
viele Helden kommen mit anfgebnndnem Helme und die Schwerter in der Hund"?
Darin liegt doch ausgesprochen, daß, wenn Rüdiger eine Aussöhnung der Vur-
gunden mit Etzel beabsichtigte, er nach der Sitte der Zeit ohne Helm und Schwert
hätte erscheinen müssen


Alfred Bähnisch


Litteratur

Berliner Neudrucke. Erste Serie. Band 3 und 4. Nikolaus Penckers wohlklingende
Puncte und drei Singspiele Christinn Reuters. Herausgegeben von Georg Elliuger.
Musen und Grazien in der Mnrk (Gedichte vou F. W. A. Schmidt). Herausgegeben 'vou
Ludwig Geiger. Berlin, Gebr. Puckel, 1889

Die Fortsetzung des hier bereits angezeigten Unternehmens bringt in „Schmidt
von WerneuchenS" Gedichten eine gewiß vielfach willkommne Gabe. Durch Goethes
bekanntes Gedicht, das mich hier zum Stichwort für ihn dient, zum „Vetter
Michel" der Poesie geworden, ist er für die Gebildeten nicht mehr als ein selt¬
samer Kauz, für die Litleratnrgelehrten, die durch die Urteile der Romantiker be¬
stimmt sind, ein schlechter Versemacher. Die wenigsten wissen, daß kein Geringerer
als Jnkob Grimm für ihn lebhaft Partei gegen diese Urteile ergriffen und ihn
beim deutschen Wörterbuch vielfach benutzt hat. Es hat jedenfalls schlechtere Dichter
in Deutschland gegeben und solche, die sich mehr darauf einbildeten, als der biedere
märkische Landpastor. Seine nur zu flüssigen Äerse, deren meist sehr häuslich und
bürgerlich solide Vorwürfe und nur allzu bekannter sandiger Landschaftshinter¬
grund in einem abenteuerlichem Gegensatz zu ihrem überzeugten Odenschwung und
gesuchten Wortschmuck stehen, entbehren für uus freilich nicht des unfreiwilligen Humors.
Aber ebensowenig eines wenn auch nicht urträftigeu, so doch immerhin innigen
Behagens. Die ganze gesammelte Daseinslust einer eng umfriedeten, aber in ihren:
Kreise sich seelenvergnügt um sich selbst drehenden Existenz ist hier „auf Strophen
abgezogen."

Weniger Gutes läßt sich von der erslnngeführten Erneuerung sagen aus der
Zeit der Hochblüte deutscher Znnfllilteratur und ihrem damals auch poetisch sandigsten
Winkel. Als Belege ehrenfester alter Stadtpoesie der gegenwärtigen Reichshaupt-
stadt haben die Gelegenheitsgedichte des poetisch paukenden Stadtrichters, als Er¬
zeugnisse des Verfassers des „Schelmuffsky" und durch ihre Verwendung am jungen
preußischen Königshofe die drei Singspiele Interesse. ' Wer jedoch für die „Idee"
des Philistertums schwärmt, kann hier geheilt werden.




Für die Redaktion verantwortlich: Johannes Grunvw in Leipzig
Verlag von Fr. Wilh. Grunow in Leipzig — Druck vou Carl Marquart in Leipzig
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[0064] Litteratur ihnen zu helfen. Da erwidert ihm Volker: „Saht Ihr wohl je zur Sühne so viele Helden kommen mit anfgebnndnem Helme und die Schwerter in der Hund"? Darin liegt doch ausgesprochen, daß, wenn Rüdiger eine Aussöhnung der Vur- gunden mit Etzel beabsichtigte, er nach der Sitte der Zeit ohne Helm und Schwert hätte erscheinen müssen Alfred Bähnisch Litteratur Berliner Neudrucke. Erste Serie. Band 3 und 4. Nikolaus Penckers wohlklingende Puncte und drei Singspiele Christinn Reuters. Herausgegeben von Georg Elliuger. Musen und Grazien in der Mnrk (Gedichte vou F. W. A. Schmidt). Herausgegeben 'vou Ludwig Geiger. Berlin, Gebr. Puckel, 1889 Die Fortsetzung des hier bereits angezeigten Unternehmens bringt in „Schmidt von WerneuchenS" Gedichten eine gewiß vielfach willkommne Gabe. Durch Goethes bekanntes Gedicht, das mich hier zum Stichwort für ihn dient, zum „Vetter Michel" der Poesie geworden, ist er für die Gebildeten nicht mehr als ein selt¬ samer Kauz, für die Litleratnrgelehrten, die durch die Urteile der Romantiker be¬ stimmt sind, ein schlechter Versemacher. Die wenigsten wissen, daß kein Geringerer als Jnkob Grimm für ihn lebhaft Partei gegen diese Urteile ergriffen und ihn beim deutschen Wörterbuch vielfach benutzt hat. Es hat jedenfalls schlechtere Dichter in Deutschland gegeben und solche, die sich mehr darauf einbildeten, als der biedere märkische Landpastor. Seine nur zu flüssigen Äerse, deren meist sehr häuslich und bürgerlich solide Vorwürfe und nur allzu bekannter sandiger Landschaftshinter¬ grund in einem abenteuerlichem Gegensatz zu ihrem überzeugten Odenschwung und gesuchten Wortschmuck stehen, entbehren für uus freilich nicht des unfreiwilligen Humors. Aber ebensowenig eines wenn auch nicht urträftigeu, so doch immerhin innigen Behagens. Die ganze gesammelte Daseinslust einer eng umfriedeten, aber in ihren: Kreise sich seelenvergnügt um sich selbst drehenden Existenz ist hier „auf Strophen abgezogen." Weniger Gutes läßt sich von der erslnngeführten Erneuerung sagen aus der Zeit der Hochblüte deutscher Znnfllilteratur und ihrem damals auch poetisch sandigsten Winkel. Als Belege ehrenfester alter Stadtpoesie der gegenwärtigen Reichshaupt- stadt haben die Gelegenheitsgedichte des poetisch paukenden Stadtrichters, als Er¬ zeugnisse des Verfassers des „Schelmuffsky" und durch ihre Verwendung am jungen preußischen Königshofe die drei Singspiele Interesse. ' Wer jedoch für die „Idee" des Philistertums schwärmt, kann hier geheilt werden. Für die Redaktion verantwortlich: Johannes Grunvw in Leipzig Verlag von Fr. Wilh. Grunow in Leipzig — Druck vou Carl Marquart in Leipzig

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_205998/64>, abgerufen am 23.06.2024.