Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Maßgebliches und Unmaßgebliches

Die einfache und edle Architektur des Denkmals ist in der Werkstätte des
Freiherrn von Hasenauer entworfen worden, aber nicht von diesem selbst, son¬
dern von dem tüchtigen Kovaez, der noch wenig bekannt ist lind auch diesmal
von den meisten Wiener Blättern nicht genannt wurde, da mau seine Arbeit
einfach uns die Rechnung Hasenauers setzte.




Maßgebliches und Unmaßgebliches

Zur "erziehlichen" Knabenhandarbeit. Am 1. Juni hat der Lcmdtngs-
abgcvrdnetc Freiherr von Schenckendarff, der bekanntlich mit unermüdlichem Eifer
für Schulreform wirkt, in der "Gesellschaft für Verbreitung von Volksbildung" in
Breslnu einen Vortrag gehalten, über: "Erziehliche Knabeuhnudarbeit, ein Mittel
zur Erziehung des Volkes zur Arbeit." Mehr und mehr, sagte er da u. a., werde
die Ansicht aufgegeben, es handle sich in der Erziehung vorwiegend nur darum, den
Geist zu Schulen, und das Kind mit Kenntnissen zu versehen. Die Üvuug in Hand¬
arbeiten, das fange mau an zu begreifen, gehöre notwendig mit zur Erziehung. Bei
ihr lerne das Kind auch sehe", auffassen, beobachten, was alles in uusern Schulen
vernachlässigt werde. "Die ganze Aufmerksamkeit wird heute deu innern Vorgängen
zugewandt, die Hausarbeit aber lenkt deu Blick nach außen, lockt den Geist gleich¬
sam spielend aus seiner Hohle heraus und öffnet ihm die reiche Welt der Erfah¬
rungen." So bilde sich Praktische Intelligenz und Erfahrnngswissen. "Nächstdem
findet der Thätigkeitstrieb seine Entwicklung; das Kind lernt sich selbst beschäftigen.
Kann es das, so ist es willig und folgsam, kann es das nicht, so ist es leicht launisch
und verfällt in Thorheiten. Heute wird der Schaffenstrieb im Laufe der Erziehung
so gut wie ertötet. Zur vollen Ausbildung gehört nicht nur Geistes-, Herzens¬
und Körperbildung, sondern auch Handbildung. Nur so erwächst ein ganzes Ge¬
schlecht. Der Mensch tritt geschickter, unisichtiger, anstelliger und praktischer ins
Leben ein. Die heutige Erziehung bildet vorwiegend nur das Wissen und den Ver¬
stand; so möchte jeder ein Gelehrter, Beamter oder andrer Kopfarbeiter werden,
das Kind sieht die Handarbeit als etwas Untergeordnetes an, und doch leben neun
Zehntel der Bevölkerung von der Arbeit der Hund jund das zehnte Zehntel von
der Arbeit der andern neun, hätte Herr von Schenckendorff hinzufügen können^.
Wird die Hand vom ersten Schuljahre und nicht wie hente vom Vierzehnten Jahre ab
geschult, so wird anch die allgemeine Geschicklichkeit im deutschen Volke steigen, viele
Talente und Anlagen werden zur Entwicklung kommen."

Vortrefflich, und der breitesten Ausführung, bis zum Umfange eines Buches,
wert! Nun gehört aber der Abgeordnete von Schenckendorff der nntiounlliberaleu
Partei an, und Kirchen- und Schnlaugelegeuheiten siud dasjenige Gebiet, auf dem
allein noch von einer "großen liberalen Partei" gesprochen werden kann, die vom
rechtesten Flügel der Freikonservativen über die Deutschfreisiunigen bis zur äußersten


Grenzbowl II 1889 72
Maßgebliches und Unmaßgebliches

Die einfache und edle Architektur des Denkmals ist in der Werkstätte des
Freiherrn von Hasenauer entworfen worden, aber nicht von diesem selbst, son¬
dern von dem tüchtigen Kovaez, der noch wenig bekannt ist lind auch diesmal
von den meisten Wiener Blättern nicht genannt wurde, da mau seine Arbeit
einfach uns die Rechnung Hasenauers setzte.




Maßgebliches und Unmaßgebliches

Zur „erziehlichen" Knabenhandarbeit. Am 1. Juni hat der Lcmdtngs-
abgcvrdnetc Freiherr von Schenckendarff, der bekanntlich mit unermüdlichem Eifer
für Schulreform wirkt, in der „Gesellschaft für Verbreitung von Volksbildung" in
Breslnu einen Vortrag gehalten, über: „Erziehliche Knabeuhnudarbeit, ein Mittel
zur Erziehung des Volkes zur Arbeit." Mehr und mehr, sagte er da u. a., werde
die Ansicht aufgegeben, es handle sich in der Erziehung vorwiegend nur darum, den
Geist zu Schulen, und das Kind mit Kenntnissen zu versehen. Die Üvuug in Hand¬
arbeiten, das fange mau an zu begreifen, gehöre notwendig mit zur Erziehung. Bei
ihr lerne das Kind auch sehe», auffassen, beobachten, was alles in uusern Schulen
vernachlässigt werde. „Die ganze Aufmerksamkeit wird heute deu innern Vorgängen
zugewandt, die Hausarbeit aber lenkt deu Blick nach außen, lockt den Geist gleich¬
sam spielend aus seiner Hohle heraus und öffnet ihm die reiche Welt der Erfah¬
rungen." So bilde sich Praktische Intelligenz und Erfahrnngswissen. „Nächstdem
findet der Thätigkeitstrieb seine Entwicklung; das Kind lernt sich selbst beschäftigen.
Kann es das, so ist es willig und folgsam, kann es das nicht, so ist es leicht launisch
und verfällt in Thorheiten. Heute wird der Schaffenstrieb im Laufe der Erziehung
so gut wie ertötet. Zur vollen Ausbildung gehört nicht nur Geistes-, Herzens¬
und Körperbildung, sondern auch Handbildung. Nur so erwächst ein ganzes Ge¬
schlecht. Der Mensch tritt geschickter, unisichtiger, anstelliger und praktischer ins
Leben ein. Die heutige Erziehung bildet vorwiegend nur das Wissen und den Ver¬
stand; so möchte jeder ein Gelehrter, Beamter oder andrer Kopfarbeiter werden,
das Kind sieht die Handarbeit als etwas Untergeordnetes an, und doch leben neun
Zehntel der Bevölkerung von der Arbeit der Hund jund das zehnte Zehntel von
der Arbeit der andern neun, hätte Herr von Schenckendorff hinzufügen können^.
Wird die Hand vom ersten Schuljahre und nicht wie hente vom Vierzehnten Jahre ab
geschult, so wird anch die allgemeine Geschicklichkeit im deutschen Volke steigen, viele
Talente und Anlagen werden zur Entwicklung kommen."

Vortrefflich, und der breitesten Ausführung, bis zum Umfange eines Buches,
wert! Nun gehört aber der Abgeordnete von Schenckendorff der nntiounlliberaleu
Partei an, und Kirchen- und Schnlaugelegeuheiten siud dasjenige Gebiet, auf dem
allein noch von einer „großen liberalen Partei" gesprochen werden kann, die vom
rechtesten Flügel der Freikonservativen über die Deutschfreisiunigen bis zur äußersten


Grenzbowl II 1889 72
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0577" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/205308"/>
          <fw type="header" place="top"> Maßgebliches und Unmaßgebliches</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1618"> Die einfache und edle Architektur des Denkmals ist in der Werkstätte des<lb/>
Freiherrn von Hasenauer entworfen worden, aber nicht von diesem selbst, son¬<lb/>
dern von dem tüchtigen Kovaez, der noch wenig bekannt ist lind auch diesmal<lb/>
von den meisten Wiener Blättern nicht genannt wurde, da mau seine Arbeit<lb/>
einfach uns die Rechnung Hasenauers setzte.</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Maßgebliches und Unmaßgebliches</head><lb/>
          <p xml:id="ID_1619"> Zur &#x201E;erziehlichen" Knabenhandarbeit. Am 1. Juni hat der Lcmdtngs-<lb/>
abgcvrdnetc Freiherr von Schenckendarff, der bekanntlich mit unermüdlichem Eifer<lb/>
für Schulreform wirkt, in der &#x201E;Gesellschaft für Verbreitung von Volksbildung" in<lb/>
Breslnu einen Vortrag gehalten, über: &#x201E;Erziehliche Knabeuhnudarbeit, ein Mittel<lb/>
zur Erziehung des Volkes zur Arbeit." Mehr und mehr, sagte er da u. a., werde<lb/>
die Ansicht aufgegeben, es handle sich in der Erziehung vorwiegend nur darum, den<lb/>
Geist zu Schulen, und das Kind mit Kenntnissen zu versehen. Die Üvuug in Hand¬<lb/>
arbeiten, das fange mau an zu begreifen, gehöre notwendig mit zur Erziehung. Bei<lb/>
ihr lerne das Kind auch sehe», auffassen, beobachten, was alles in uusern Schulen<lb/>
vernachlässigt werde. &#x201E;Die ganze Aufmerksamkeit wird heute deu innern Vorgängen<lb/>
zugewandt, die Hausarbeit aber lenkt deu Blick nach außen, lockt den Geist gleich¬<lb/>
sam spielend aus seiner Hohle heraus und öffnet ihm die reiche Welt der Erfah¬<lb/>
rungen." So bilde sich Praktische Intelligenz und Erfahrnngswissen. &#x201E;Nächstdem<lb/>
findet der Thätigkeitstrieb seine Entwicklung; das Kind lernt sich selbst beschäftigen.<lb/>
Kann es das, so ist es willig und folgsam, kann es das nicht, so ist es leicht launisch<lb/>
und verfällt in Thorheiten. Heute wird der Schaffenstrieb im Laufe der Erziehung<lb/>
so gut wie ertötet. Zur vollen Ausbildung gehört nicht nur Geistes-, Herzens¬<lb/>
und Körperbildung, sondern auch Handbildung. Nur so erwächst ein ganzes Ge¬<lb/>
schlecht. Der Mensch tritt geschickter, unisichtiger, anstelliger und praktischer ins<lb/>
Leben ein. Die heutige Erziehung bildet vorwiegend nur das Wissen und den Ver¬<lb/>
stand; so möchte jeder ein Gelehrter, Beamter oder andrer Kopfarbeiter werden,<lb/>
das Kind sieht die Handarbeit als etwas Untergeordnetes an, und doch leben neun<lb/>
Zehntel der Bevölkerung von der Arbeit der Hund jund das zehnte Zehntel von<lb/>
der Arbeit der andern neun, hätte Herr von Schenckendorff hinzufügen können^.<lb/>
Wird die Hand vom ersten Schuljahre und nicht wie hente vom Vierzehnten Jahre ab<lb/>
geschult, so wird anch die allgemeine Geschicklichkeit im deutschen Volke steigen, viele<lb/>
Talente und Anlagen werden zur Entwicklung kommen."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1620" next="#ID_1621"> Vortrefflich, und der breitesten Ausführung, bis zum Umfange eines Buches,<lb/>
wert! Nun gehört aber der Abgeordnete von Schenckendorff der nntiounlliberaleu<lb/>
Partei an, und Kirchen- und Schnlaugelegeuheiten siud dasjenige Gebiet, auf dem<lb/>
allein noch von einer &#x201E;großen liberalen Partei" gesprochen werden kann, die vom<lb/>
rechtesten Flügel der Freikonservativen über die Deutschfreisiunigen bis zur äußersten</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> Grenzbowl II 1889 72</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0577] Maßgebliches und Unmaßgebliches Die einfache und edle Architektur des Denkmals ist in der Werkstätte des Freiherrn von Hasenauer entworfen worden, aber nicht von diesem selbst, son¬ dern von dem tüchtigen Kovaez, der noch wenig bekannt ist lind auch diesmal von den meisten Wiener Blättern nicht genannt wurde, da mau seine Arbeit einfach uns die Rechnung Hasenauers setzte. Maßgebliches und Unmaßgebliches Zur „erziehlichen" Knabenhandarbeit. Am 1. Juni hat der Lcmdtngs- abgcvrdnetc Freiherr von Schenckendarff, der bekanntlich mit unermüdlichem Eifer für Schulreform wirkt, in der „Gesellschaft für Verbreitung von Volksbildung" in Breslnu einen Vortrag gehalten, über: „Erziehliche Knabeuhnudarbeit, ein Mittel zur Erziehung des Volkes zur Arbeit." Mehr und mehr, sagte er da u. a., werde die Ansicht aufgegeben, es handle sich in der Erziehung vorwiegend nur darum, den Geist zu Schulen, und das Kind mit Kenntnissen zu versehen. Die Üvuug in Hand¬ arbeiten, das fange mau an zu begreifen, gehöre notwendig mit zur Erziehung. Bei ihr lerne das Kind auch sehe», auffassen, beobachten, was alles in uusern Schulen vernachlässigt werde. „Die ganze Aufmerksamkeit wird heute deu innern Vorgängen zugewandt, die Hausarbeit aber lenkt deu Blick nach außen, lockt den Geist gleich¬ sam spielend aus seiner Hohle heraus und öffnet ihm die reiche Welt der Erfah¬ rungen." So bilde sich Praktische Intelligenz und Erfahrnngswissen. „Nächstdem findet der Thätigkeitstrieb seine Entwicklung; das Kind lernt sich selbst beschäftigen. Kann es das, so ist es willig und folgsam, kann es das nicht, so ist es leicht launisch und verfällt in Thorheiten. Heute wird der Schaffenstrieb im Laufe der Erziehung so gut wie ertötet. Zur vollen Ausbildung gehört nicht nur Geistes-, Herzens¬ und Körperbildung, sondern auch Handbildung. Nur so erwächst ein ganzes Ge¬ schlecht. Der Mensch tritt geschickter, unisichtiger, anstelliger und praktischer ins Leben ein. Die heutige Erziehung bildet vorwiegend nur das Wissen und den Ver¬ stand; so möchte jeder ein Gelehrter, Beamter oder andrer Kopfarbeiter werden, das Kind sieht die Handarbeit als etwas Untergeordnetes an, und doch leben neun Zehntel der Bevölkerung von der Arbeit der Hund jund das zehnte Zehntel von der Arbeit der andern neun, hätte Herr von Schenckendorff hinzufügen können^. Wird die Hand vom ersten Schuljahre und nicht wie hente vom Vierzehnten Jahre ab geschult, so wird anch die allgemeine Geschicklichkeit im deutschen Volke steigen, viele Talente und Anlagen werden zur Entwicklung kommen." Vortrefflich, und der breitesten Ausführung, bis zum Umfange eines Buches, wert! Nun gehört aber der Abgeordnete von Schenckendorff der nntiounlliberaleu Partei an, und Kirchen- und Schnlaugelegeuheiten siud dasjenige Gebiet, auf dem allein noch von einer „großen liberalen Partei" gesprochen werden kann, die vom rechtesten Flügel der Freikonservativen über die Deutschfreisiunigen bis zur äußersten Grenzbowl II 1889 72

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_204730
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_204730/577
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_204730/577>, abgerufen am 05.02.2025.