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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Zweites Vierteljahr.

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Das alte Dorf in deutscher Landschaft und sein Lüde

städtischen Ansiedlnngsweise der damaligen Italiener die Dörfer der Deutsche"
so klein waren, daß sie sich wie ein Einzelhof allen Gelegenheiten des Geländes
anpassen und sie aufsuchen konnten.*) Und selbst bei den Slawen scheint die
Neigung zu engerm Zusammenleben stärker entwickelt gewesen zu sein. Wenigstens
finden wir in ihrer alten Heimat nirgends Einzelhvfe, und zu einer Zeit, wo
bei uns infolge der verwüstenden Einfälle der Ungarn die ersten Anfänge
städtischen Wesens um die schützenden Burgen zusammenschössen, blühten bei
unsern wendischen Nachbarn bereits Handelsplätze wie Innre, Stettin und andre
mehr. Nur der Deutsche fühlt sich heimisch und behaglich im wilden Walde
und vermißt sich, sein Blockhaus in der Einsamkeit, fern von menschlichen
Spuren zu banen; dein Romanen und Slawen wird es unheimlich in der
pfadlosen Wildnis, wo die Gebilde seiner leichter erregten Phantasie nicht ein
entsprechendes Gegengewicht finden in der Selbständigkeit des Bewußtseins und
einem frischen, trotzigen Wagemut.

Wenn wir nun versuchen, das nlle deutsche Dorf im einzelnen ans seine
kennzeichnenden und unterscheidenden Eigentümlichkeiten zu prüfen, so sind es
besonders folgende.

1

Erstens die Unregelmäßigkeit und Vielgestaltigkeit. Das deutsche Dorf
ist unregelmäßig wie die Natur selbst, deren erstes Gesetz und Kennzeichen
gegenüber der Kultur eben die Unregelmäßigkeit ist, eben der Umstand, daß
kein Naturgegenstand vollständig dem andern gleicht, etwa wie ein Ziegelstein
dem andern. Die Unregelmäßigkeit des deutschen Dorfes zeigt sich schon in
seiner Anlage. Das deutsche Dorf keimt in Bezug auf die Anordnung seiner
Höfe kein Gesetz als das der planlosesten Willkür. "Nur durch Zufall,
bemerkt Meitzen^) sehr richtig, bildet ein durchlaufender Landweg eine immer
noch unregelmäßig bleibende Straße. Die meisten Gehöfte münden in kleine,
winklichte Sack- und Nebengäßchen und sind mir mit Schwierigkeit der Wagen¬
fahrt zugänglich." Dies gilt allerdings nnr von den alten deutschen Dörfern
im engern Sinne, nämlich von denen, die in ihrer Gründung etwa vor den
Anfang unsers Jahrtausends hinaufreichen. Aber diese Urdorfer bilden in dem
alten deutscheu Gebiet zwischen Elbe, Rhein und Alpen bei weitem die große
Masse. Anders verhält es sich mit den erst später den Wenden abgenommenen
und zum Teil mit neuen Siedlern besetzten Gebieten im Osten, wo umgekehrt
das "Haufendorf," wie man sehr bezeichnend das altdeutsche Dorf genannt hat,




*) Die Einzelhöfe finden sich bei uns als regelmäßige und alle Form des Anbaues außer
in den Hochgebirgen, wo die Örilichkeit einen Zwang ausübt, nnr in dem allen westfälischen
Sachsenlande nördlich von der Lippe,
**) A, Weihen, Das deutsche Haus in seinen volkstümlichen Farmer. Berlin, 1882.
Das alte Dorf in deutscher Landschaft und sein Lüde

städtischen Ansiedlnngsweise der damaligen Italiener die Dörfer der Deutsche»
so klein waren, daß sie sich wie ein Einzelhof allen Gelegenheiten des Geländes
anpassen und sie aufsuchen konnten.*) Und selbst bei den Slawen scheint die
Neigung zu engerm Zusammenleben stärker entwickelt gewesen zu sein. Wenigstens
finden wir in ihrer alten Heimat nirgends Einzelhvfe, und zu einer Zeit, wo
bei uns infolge der verwüstenden Einfälle der Ungarn die ersten Anfänge
städtischen Wesens um die schützenden Burgen zusammenschössen, blühten bei
unsern wendischen Nachbarn bereits Handelsplätze wie Innre, Stettin und andre
mehr. Nur der Deutsche fühlt sich heimisch und behaglich im wilden Walde
und vermißt sich, sein Blockhaus in der Einsamkeit, fern von menschlichen
Spuren zu banen; dein Romanen und Slawen wird es unheimlich in der
pfadlosen Wildnis, wo die Gebilde seiner leichter erregten Phantasie nicht ein
entsprechendes Gegengewicht finden in der Selbständigkeit des Bewußtseins und
einem frischen, trotzigen Wagemut.

Wenn wir nun versuchen, das nlle deutsche Dorf im einzelnen ans seine
kennzeichnenden und unterscheidenden Eigentümlichkeiten zu prüfen, so sind es
besonders folgende.

1

Erstens die Unregelmäßigkeit und Vielgestaltigkeit. Das deutsche Dorf
ist unregelmäßig wie die Natur selbst, deren erstes Gesetz und Kennzeichen
gegenüber der Kultur eben die Unregelmäßigkeit ist, eben der Umstand, daß
kein Naturgegenstand vollständig dem andern gleicht, etwa wie ein Ziegelstein
dem andern. Die Unregelmäßigkeit des deutschen Dorfes zeigt sich schon in
seiner Anlage. Das deutsche Dorf keimt in Bezug auf die Anordnung seiner
Höfe kein Gesetz als das der planlosesten Willkür. „Nur durch Zufall,
bemerkt Meitzen^) sehr richtig, bildet ein durchlaufender Landweg eine immer
noch unregelmäßig bleibende Straße. Die meisten Gehöfte münden in kleine,
winklichte Sack- und Nebengäßchen und sind mir mit Schwierigkeit der Wagen¬
fahrt zugänglich." Dies gilt allerdings nnr von den alten deutschen Dörfern
im engern Sinne, nämlich von denen, die in ihrer Gründung etwa vor den
Anfang unsers Jahrtausends hinaufreichen. Aber diese Urdorfer bilden in dem
alten deutscheu Gebiet zwischen Elbe, Rhein und Alpen bei weitem die große
Masse. Anders verhält es sich mit den erst später den Wenden abgenommenen
und zum Teil mit neuen Siedlern besetzten Gebieten im Osten, wo umgekehrt
das „Haufendorf," wie man sehr bezeichnend das altdeutsche Dorf genannt hat,




*) Die Einzelhöfe finden sich bei uns als regelmäßige und alle Form des Anbaues außer
in den Hochgebirgen, wo die Örilichkeit einen Zwang ausübt, nnr in dem allen westfälischen
Sachsenlande nördlich von der Lippe,
**) A, Weihen, Das deutsche Haus in seinen volkstümlichen Farmer. Berlin, 1882.
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[0266] Das alte Dorf in deutscher Landschaft und sein Lüde städtischen Ansiedlnngsweise der damaligen Italiener die Dörfer der Deutsche» so klein waren, daß sie sich wie ein Einzelhof allen Gelegenheiten des Geländes anpassen und sie aufsuchen konnten.*) Und selbst bei den Slawen scheint die Neigung zu engerm Zusammenleben stärker entwickelt gewesen zu sein. Wenigstens finden wir in ihrer alten Heimat nirgends Einzelhvfe, und zu einer Zeit, wo bei uns infolge der verwüstenden Einfälle der Ungarn die ersten Anfänge städtischen Wesens um die schützenden Burgen zusammenschössen, blühten bei unsern wendischen Nachbarn bereits Handelsplätze wie Innre, Stettin und andre mehr. Nur der Deutsche fühlt sich heimisch und behaglich im wilden Walde und vermißt sich, sein Blockhaus in der Einsamkeit, fern von menschlichen Spuren zu banen; dein Romanen und Slawen wird es unheimlich in der pfadlosen Wildnis, wo die Gebilde seiner leichter erregten Phantasie nicht ein entsprechendes Gegengewicht finden in der Selbständigkeit des Bewußtseins und einem frischen, trotzigen Wagemut. Wenn wir nun versuchen, das nlle deutsche Dorf im einzelnen ans seine kennzeichnenden und unterscheidenden Eigentümlichkeiten zu prüfen, so sind es besonders folgende. 1 Erstens die Unregelmäßigkeit und Vielgestaltigkeit. Das deutsche Dorf ist unregelmäßig wie die Natur selbst, deren erstes Gesetz und Kennzeichen gegenüber der Kultur eben die Unregelmäßigkeit ist, eben der Umstand, daß kein Naturgegenstand vollständig dem andern gleicht, etwa wie ein Ziegelstein dem andern. Die Unregelmäßigkeit des deutschen Dorfes zeigt sich schon in seiner Anlage. Das deutsche Dorf keimt in Bezug auf die Anordnung seiner Höfe kein Gesetz als das der planlosesten Willkür. „Nur durch Zufall, bemerkt Meitzen^) sehr richtig, bildet ein durchlaufender Landweg eine immer noch unregelmäßig bleibende Straße. Die meisten Gehöfte münden in kleine, winklichte Sack- und Nebengäßchen und sind mir mit Schwierigkeit der Wagen¬ fahrt zugänglich." Dies gilt allerdings nnr von den alten deutschen Dörfern im engern Sinne, nämlich von denen, die in ihrer Gründung etwa vor den Anfang unsers Jahrtausends hinaufreichen. Aber diese Urdorfer bilden in dem alten deutscheu Gebiet zwischen Elbe, Rhein und Alpen bei weitem die große Masse. Anders verhält es sich mit den erst später den Wenden abgenommenen und zum Teil mit neuen Siedlern besetzten Gebieten im Osten, wo umgekehrt das „Haufendorf," wie man sehr bezeichnend das altdeutsche Dorf genannt hat, *) Die Einzelhöfe finden sich bei uns als regelmäßige und alle Form des Anbaues außer in den Hochgebirgen, wo die Örilichkeit einen Zwang ausübt, nnr in dem allen westfälischen Sachsenlande nördlich von der Lippe, **) A, Weihen, Das deutsche Haus in seinen volkstümlichen Farmer. Berlin, 1882.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_204730/266>, abgerufen am 05.02.2025.