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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr.

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Richard Wagners Feen.

or mehr als einem halben Jahrhundert, in den letzten Monaten
des Jahres 1833, verfertigte der junge, zwanzigjährige Richard
Wagner in Würzburg, wo er seine theatralische Laufbahn als
schlecht bezahlter Chordirektor begann, den Text zu einer umfang-
I reichen, dreiaktigen Oper und machte sich alsbald daran, ihn "nach
den Eindrücken Beethovens, Webers und Marschners auf sich" auch in Musik
zu setzen. Nachdem die ersten Hoffnungen, sie auf die Bühne zu bringen, ge¬
scheitert waren, hatte sie der junge Dichter zurückgelegt und über den neuen
Zielen und Entwürfen wohl halb vergessen. Im Jahre 1866 schenkte er sie
dem König Ludwig II. von Baiern, der den Wunsch hegte, die künstlerische Ent¬
wicklung seines verehrten "Meisters" von ihren Anfängen an kennen zu lernen,
und aus dem geheimen Gewahrsam, in den dieser sie verschloß, kam sie endlich
nach dem Tode des unglücklichen Fürsten wieder ans Tageslicht und, infolge
eigentümlicher Verhältnisse, auch an das gefährlichere Licht der Bühne. Am
29. Juni 1888 hat das Werk -- "Die Feen" betitelt -- auf dem Münchner
Hoftheater seine erste Aufführung erlebt.

Es kann kein Zweifel sein, daß Richard Wagner über diese letzte Wendung
im Geschicke seines Erstlings nicht absonderlich erbaut wäre. Er, der selbst den
sorgfältig ausgeführten, reifern Werken seiner ersten Entwicklungsperiode, ob¬
wohl sie seinen Ruhm begründet hatten, später nur noch wenig Teilnahme ent¬
gegenbrachte, er, der in dem Wunsche, seine Stellung in der Kunstgeschichte nur
durch das seiner eigensten Art entsprossene "Musikdrama" bezeichnet zu sehen
die "Opern," die seinen Zusammenhang mit der frühern Kunstübung bekunden,
nach Möglichkeit hintansetzte, würde jedenfalls bei Lebzeiten sich mit allen ihm
zu Gebote stehenden Mitteln gegen die Aufführung dieser "Jugendsünde" ge¬
wehrt haben. Das weiß alle Welt, und die Aufführung dieses unreifen Erst¬
lingswerkes bleibt daher auf alle Fälle eine arge Rücksichtslosigkeit gegen den
"Meister," den man angeblich dadurch ehren wollte. Dieser Vorwurf trifft
aber nicht die Leitung des Münchner Hoftheaters, die durch eine mustergiltige
Aufführung und glanzvolle Ausstattung das Unrecht einigermaßen gesühnt hat,
sondern die Familie Wagner, insbesondre Frau Cosima Wagner und deren
Bayreuther Berater, die, lange bevor München Ansprüche auf das Werk erhob,
dem Theaterdirektor Angelo Neumann das Recht zur Aufführung der vom Kom-




Richard Wagners Feen.

or mehr als einem halben Jahrhundert, in den letzten Monaten
des Jahres 1833, verfertigte der junge, zwanzigjährige Richard
Wagner in Würzburg, wo er seine theatralische Laufbahn als
schlecht bezahlter Chordirektor begann, den Text zu einer umfang-
I reichen, dreiaktigen Oper und machte sich alsbald daran, ihn „nach
den Eindrücken Beethovens, Webers und Marschners auf sich" auch in Musik
zu setzen. Nachdem die ersten Hoffnungen, sie auf die Bühne zu bringen, ge¬
scheitert waren, hatte sie der junge Dichter zurückgelegt und über den neuen
Zielen und Entwürfen wohl halb vergessen. Im Jahre 1866 schenkte er sie
dem König Ludwig II. von Baiern, der den Wunsch hegte, die künstlerische Ent¬
wicklung seines verehrten „Meisters" von ihren Anfängen an kennen zu lernen,
und aus dem geheimen Gewahrsam, in den dieser sie verschloß, kam sie endlich
nach dem Tode des unglücklichen Fürsten wieder ans Tageslicht und, infolge
eigentümlicher Verhältnisse, auch an das gefährlichere Licht der Bühne. Am
29. Juni 1888 hat das Werk — „Die Feen" betitelt — auf dem Münchner
Hoftheater seine erste Aufführung erlebt.

Es kann kein Zweifel sein, daß Richard Wagner über diese letzte Wendung
im Geschicke seines Erstlings nicht absonderlich erbaut wäre. Er, der selbst den
sorgfältig ausgeführten, reifern Werken seiner ersten Entwicklungsperiode, ob¬
wohl sie seinen Ruhm begründet hatten, später nur noch wenig Teilnahme ent¬
gegenbrachte, er, der in dem Wunsche, seine Stellung in der Kunstgeschichte nur
durch das seiner eigensten Art entsprossene „Musikdrama" bezeichnet zu sehen
die „Opern," die seinen Zusammenhang mit der frühern Kunstübung bekunden,
nach Möglichkeit hintansetzte, würde jedenfalls bei Lebzeiten sich mit allen ihm
zu Gebote stehenden Mitteln gegen die Aufführung dieser „Jugendsünde" ge¬
wehrt haben. Das weiß alle Welt, und die Aufführung dieses unreifen Erst¬
lingswerkes bleibt daher auf alle Fälle eine arge Rücksichtslosigkeit gegen den
„Meister," den man angeblich dadurch ehren wollte. Dieser Vorwurf trifft
aber nicht die Leitung des Münchner Hoftheaters, die durch eine mustergiltige
Aufführung und glanzvolle Ausstattung das Unrecht einigermaßen gesühnt hat,
sondern die Familie Wagner, insbesondre Frau Cosima Wagner und deren
Bayreuther Berater, die, lange bevor München Ansprüche auf das Werk erhob,
dem Theaterdirektor Angelo Neumann das Recht zur Aufführung der vom Kom-


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[0270] [Abbildung] Richard Wagners Feen. or mehr als einem halben Jahrhundert, in den letzten Monaten des Jahres 1833, verfertigte der junge, zwanzigjährige Richard Wagner in Würzburg, wo er seine theatralische Laufbahn als schlecht bezahlter Chordirektor begann, den Text zu einer umfang- I reichen, dreiaktigen Oper und machte sich alsbald daran, ihn „nach den Eindrücken Beethovens, Webers und Marschners auf sich" auch in Musik zu setzen. Nachdem die ersten Hoffnungen, sie auf die Bühne zu bringen, ge¬ scheitert waren, hatte sie der junge Dichter zurückgelegt und über den neuen Zielen und Entwürfen wohl halb vergessen. Im Jahre 1866 schenkte er sie dem König Ludwig II. von Baiern, der den Wunsch hegte, die künstlerische Ent¬ wicklung seines verehrten „Meisters" von ihren Anfängen an kennen zu lernen, und aus dem geheimen Gewahrsam, in den dieser sie verschloß, kam sie endlich nach dem Tode des unglücklichen Fürsten wieder ans Tageslicht und, infolge eigentümlicher Verhältnisse, auch an das gefährlichere Licht der Bühne. Am 29. Juni 1888 hat das Werk — „Die Feen" betitelt — auf dem Münchner Hoftheater seine erste Aufführung erlebt. Es kann kein Zweifel sein, daß Richard Wagner über diese letzte Wendung im Geschicke seines Erstlings nicht absonderlich erbaut wäre. Er, der selbst den sorgfältig ausgeführten, reifern Werken seiner ersten Entwicklungsperiode, ob¬ wohl sie seinen Ruhm begründet hatten, später nur noch wenig Teilnahme ent¬ gegenbrachte, er, der in dem Wunsche, seine Stellung in der Kunstgeschichte nur durch das seiner eigensten Art entsprossene „Musikdrama" bezeichnet zu sehen die „Opern," die seinen Zusammenhang mit der frühern Kunstübung bekunden, nach Möglichkeit hintansetzte, würde jedenfalls bei Lebzeiten sich mit allen ihm zu Gebote stehenden Mitteln gegen die Aufführung dieser „Jugendsünde" ge¬ wehrt haben. Das weiß alle Welt, und die Aufführung dieses unreifen Erst¬ lingswerkes bleibt daher auf alle Fälle eine arge Rücksichtslosigkeit gegen den „Meister," den man angeblich dadurch ehren wollte. Dieser Vorwurf trifft aber nicht die Leitung des Münchner Hoftheaters, die durch eine mustergiltige Aufführung und glanzvolle Ausstattung das Unrecht einigermaßen gesühnt hat, sondern die Familie Wagner, insbesondre Frau Cosima Wagner und deren Bayreuther Berater, die, lange bevor München Ansprüche auf das Werk erhob, dem Theaterdirektor Angelo Neumann das Recht zur Aufführung der vom Kom-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_289122/270>, abgerufen am 22.07.2024.