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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr.

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Erinnerungen aus Alt-Jena.

es möchte meine Leser in das alte Jena führen, das angesichts
der umgestaltenden Entwicklung des letzten Menschenalters bereits
der Geschichte angehört und doch in seiner Behaglichkeit und seiner
geräuschlosen Arbeitsamkeit den Anspruch erheben darf, nicht ganz
v ergesfen zu werden. Ich möchte es wieder erwecken in dem Sta¬
dium seines Daseins, in welchem es aufgeschreckt wird aus der Idylle seiner
Einsamkeit, und die Hochflut einer heftigen nationalen Bewegung die stillen
Ufer der Saale erreichte. Die Mehrzahl der Männer, die damals hier auf
der Höhe ihres Wirkens standen, ist inzwischen dahingegangen, ein neues Ge¬
schlecht seitdem in die Lücke eingetreten und arbeitet, selbst wieder in fortgesetzter
Erneuerung begriffen, eifrig im Dienste der Wissenschaft und der Nation. So
möge es denn gestattet sein, der entschwundnen Tage und der verblichenen Ge¬
stalten noch einmal zu gedenken. Ich fürchte nicht, auf diesem Wege die Leser
mit Mitteilungen von bloß örtlichen Interesse zu belästigen. Das kleine Jena
nimmt mit seiner Hochschule seit drei Jahrhunderten in den Abwandlungen
unsrer Kultur eine, wenn auch wechselnde, doch so sichtbare und charakteristische
Stellung ein, daß alles eher als eine solche Unterschätzung am Platze sein
möchte. Eine aus der Fülle des vorhandnen aktenmüßigen Materials geschrie¬
bene Geschichte der Stiftung Johann Friedrichs des Großmütigen würde dies
auch dem Blinden erkennbar machen. Sie trägt, was man keineswegs von jeder
deutschen Universität sagen kann, trotz oder dank der Kleinstaaterei, an welche
ihr nächstes Geschick geknüpft war, ein entschieden nationales Gepräge. Den
Höhepunkt erreichte sie bekanntlich in der Blütezeit unsrer nationalen Litteratur.
Ein Zeitalter des Niederganges ist freilich nicht ausgeblieben, aber auch diese
hängt mit der Umkehr unsrer allgemeinen Entwicklung eng zusammen, und der
vaterländische Grundzug ist doch niemals wieder verschwunden. Und so liegt
die Hoffnung nahe, das lebende Geschlecht werde auch für eine spätere, wenn
auch nicht glänzende Episode aus der Geschichte der Stadt und Hochschule des
alten Jena einige Aufmerksamkeit übrig haben.

Es war an einem freundlichen Oktobertage des Jahres 1847, als unser
Wagen von der Höhe des Landgrafenberges herab in das offne Mühlthal ein-


Grenzboten III. 1838. 27


Erinnerungen aus Alt-Jena.

es möchte meine Leser in das alte Jena führen, das angesichts
der umgestaltenden Entwicklung des letzten Menschenalters bereits
der Geschichte angehört und doch in seiner Behaglichkeit und seiner
geräuschlosen Arbeitsamkeit den Anspruch erheben darf, nicht ganz
v ergesfen zu werden. Ich möchte es wieder erwecken in dem Sta¬
dium seines Daseins, in welchem es aufgeschreckt wird aus der Idylle seiner
Einsamkeit, und die Hochflut einer heftigen nationalen Bewegung die stillen
Ufer der Saale erreichte. Die Mehrzahl der Männer, die damals hier auf
der Höhe ihres Wirkens standen, ist inzwischen dahingegangen, ein neues Ge¬
schlecht seitdem in die Lücke eingetreten und arbeitet, selbst wieder in fortgesetzter
Erneuerung begriffen, eifrig im Dienste der Wissenschaft und der Nation. So
möge es denn gestattet sein, der entschwundnen Tage und der verblichenen Ge¬
stalten noch einmal zu gedenken. Ich fürchte nicht, auf diesem Wege die Leser
mit Mitteilungen von bloß örtlichen Interesse zu belästigen. Das kleine Jena
nimmt mit seiner Hochschule seit drei Jahrhunderten in den Abwandlungen
unsrer Kultur eine, wenn auch wechselnde, doch so sichtbare und charakteristische
Stellung ein, daß alles eher als eine solche Unterschätzung am Platze sein
möchte. Eine aus der Fülle des vorhandnen aktenmüßigen Materials geschrie¬
bene Geschichte der Stiftung Johann Friedrichs des Großmütigen würde dies
auch dem Blinden erkennbar machen. Sie trägt, was man keineswegs von jeder
deutschen Universität sagen kann, trotz oder dank der Kleinstaaterei, an welche
ihr nächstes Geschick geknüpft war, ein entschieden nationales Gepräge. Den
Höhepunkt erreichte sie bekanntlich in der Blütezeit unsrer nationalen Litteratur.
Ein Zeitalter des Niederganges ist freilich nicht ausgeblieben, aber auch diese
hängt mit der Umkehr unsrer allgemeinen Entwicklung eng zusammen, und der
vaterländische Grundzug ist doch niemals wieder verschwunden. Und so liegt
die Hoffnung nahe, das lebende Geschlecht werde auch für eine spätere, wenn
auch nicht glänzende Episode aus der Geschichte der Stadt und Hochschule des
alten Jena einige Aufmerksamkeit übrig haben.

Es war an einem freundlichen Oktobertage des Jahres 1847, als unser
Wagen von der Höhe des Landgrafenberges herab in das offne Mühlthal ein-


Grenzboten III. 1838. 27
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[0217] [Abbildung] Erinnerungen aus Alt-Jena. es möchte meine Leser in das alte Jena führen, das angesichts der umgestaltenden Entwicklung des letzten Menschenalters bereits der Geschichte angehört und doch in seiner Behaglichkeit und seiner geräuschlosen Arbeitsamkeit den Anspruch erheben darf, nicht ganz v ergesfen zu werden. Ich möchte es wieder erwecken in dem Sta¬ dium seines Daseins, in welchem es aufgeschreckt wird aus der Idylle seiner Einsamkeit, und die Hochflut einer heftigen nationalen Bewegung die stillen Ufer der Saale erreichte. Die Mehrzahl der Männer, die damals hier auf der Höhe ihres Wirkens standen, ist inzwischen dahingegangen, ein neues Ge¬ schlecht seitdem in die Lücke eingetreten und arbeitet, selbst wieder in fortgesetzter Erneuerung begriffen, eifrig im Dienste der Wissenschaft und der Nation. So möge es denn gestattet sein, der entschwundnen Tage und der verblichenen Ge¬ stalten noch einmal zu gedenken. Ich fürchte nicht, auf diesem Wege die Leser mit Mitteilungen von bloß örtlichen Interesse zu belästigen. Das kleine Jena nimmt mit seiner Hochschule seit drei Jahrhunderten in den Abwandlungen unsrer Kultur eine, wenn auch wechselnde, doch so sichtbare und charakteristische Stellung ein, daß alles eher als eine solche Unterschätzung am Platze sein möchte. Eine aus der Fülle des vorhandnen aktenmüßigen Materials geschrie¬ bene Geschichte der Stiftung Johann Friedrichs des Großmütigen würde dies auch dem Blinden erkennbar machen. Sie trägt, was man keineswegs von jeder deutschen Universität sagen kann, trotz oder dank der Kleinstaaterei, an welche ihr nächstes Geschick geknüpft war, ein entschieden nationales Gepräge. Den Höhepunkt erreichte sie bekanntlich in der Blütezeit unsrer nationalen Litteratur. Ein Zeitalter des Niederganges ist freilich nicht ausgeblieben, aber auch diese hängt mit der Umkehr unsrer allgemeinen Entwicklung eng zusammen, und der vaterländische Grundzug ist doch niemals wieder verschwunden. Und so liegt die Hoffnung nahe, das lebende Geschlecht werde auch für eine spätere, wenn auch nicht glänzende Episode aus der Geschichte der Stadt und Hochschule des alten Jena einige Aufmerksamkeit übrig haben. Es war an einem freundlichen Oktobertage des Jahres 1847, als unser Wagen von der Höhe des Landgrafenberges herab in das offne Mühlthal ein- Grenzboten III. 1838. 27

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_289122/217>, abgerufen am 22.07.2024.