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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr.

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Anzeugrubers Dorfgeschichten.

Tadelsworte über das richtige Ziel hinaus geschossen haben. Bei beiden ent¬
stammten sie jedoch einem edeln Triebe, durch den sie bewiesen haben, daß
sie ihrer Zeit vorausgeeilt waren. Auch über diesen Punkt kann uns nur die
Geschichte belehren, diesmal aber nicht die deutsche, sondern die römische, deren
Kulturarbeit von unsern Juristen aufgenommen und fortgesetzt worden ist.

(Schluß folgt.)




Anzengrubers Dorfgeschichten.

eit seinem zweiten Romane "Der Sternsteinhof" ist Ludwig
Anzengruber auch als Meister in der Erzählungskunst anerkannt.
Man darf nun nicht mehr wie vor mehreren Jahren beim Er¬
scheinen seines ersten Romanes "Der Schandfleck" sagen, daß er
ein Erzähler aus Verlegenheit sei, Erzähler deswegen, weil er
unter den ihm ungünstigen Wiener Theaterverhältnissen nicht als Dramatiker
fortschaffen könne und die entbehrungsvolle Feierzeit mit der Dichtung leicht
verwertbarer Kleinigkeiten ausfüllen müsse. Vielmehr muß mau auch in seinen
neuesten kleinern Erzählungen, die kürzlich erschienen sind: Wolken und Surr'--
schein, gesammelte Dorfgeschichten (Stuttgart und Berlin, Spemann, 1888), den
reifen, seiner Ziele sich bewußten, Form und Technik der Erzählung beherrschenden
Meister der Kunst anerkennen. Man wird von den dreizehn Geschichten dieses
Bandes die eine oder die andre persönlich vorziehen oder künstlerisch höher
schätzen, wie sie ja auch in der That von ebenso verschiednen Werte als ver-
schiedner Färbung sind, allein man wird vielleicht nur eine einzige der Ge¬
schichten ("Die Heimkehr") missen wollen, wenn man sich nicht etwa auf den
Standpunkt der höhern Töchterschule stellt. Von diesem Standpunkte aus wird
man freilich niemals zu Anzengruber gelangen.

Wie nicht anders zu erwarten ist, ist die Technik des Erzählers Anzen¬
gruber von der des Dramatikers wesentlich gebildet, unterstützt, gefördert worden.
Einzelne Stücke der neuen Sammlung unter ganz wie Dramenskizzen an. Der
vorwiegende Dialog hat auch in diesen Erzählungen einzig den dramatischen
Zweck, die Charaktere sich selbst offenbaren zu lassen. In jeder Geschichte beinahe
steigert sich die Spannung des Lesers bis zu einer großen, ausgeführten, schon
rein pantomimisch und stumm, für das Auge allein wirksamen Szene, ganz nach
Art eines Btthnenwerkes. Und auch hier in den Dorfgeschichten ist es Anzen¬
gruber ausschließlich um die Gestaltung der Charaktere, um die sorgfältige Moll-


Anzeugrubers Dorfgeschichten.

Tadelsworte über das richtige Ziel hinaus geschossen haben. Bei beiden ent¬
stammten sie jedoch einem edeln Triebe, durch den sie bewiesen haben, daß
sie ihrer Zeit vorausgeeilt waren. Auch über diesen Punkt kann uns nur die
Geschichte belehren, diesmal aber nicht die deutsche, sondern die römische, deren
Kulturarbeit von unsern Juristen aufgenommen und fortgesetzt worden ist.

(Schluß folgt.)




Anzengrubers Dorfgeschichten.

eit seinem zweiten Romane „Der Sternsteinhof" ist Ludwig
Anzengruber auch als Meister in der Erzählungskunst anerkannt.
Man darf nun nicht mehr wie vor mehreren Jahren beim Er¬
scheinen seines ersten Romanes „Der Schandfleck" sagen, daß er
ein Erzähler aus Verlegenheit sei, Erzähler deswegen, weil er
unter den ihm ungünstigen Wiener Theaterverhältnissen nicht als Dramatiker
fortschaffen könne und die entbehrungsvolle Feierzeit mit der Dichtung leicht
verwertbarer Kleinigkeiten ausfüllen müsse. Vielmehr muß mau auch in seinen
neuesten kleinern Erzählungen, die kürzlich erschienen sind: Wolken und Surr'--
schein, gesammelte Dorfgeschichten (Stuttgart und Berlin, Spemann, 1888), den
reifen, seiner Ziele sich bewußten, Form und Technik der Erzählung beherrschenden
Meister der Kunst anerkennen. Man wird von den dreizehn Geschichten dieses
Bandes die eine oder die andre persönlich vorziehen oder künstlerisch höher
schätzen, wie sie ja auch in der That von ebenso verschiednen Werte als ver-
schiedner Färbung sind, allein man wird vielleicht nur eine einzige der Ge¬
schichten („Die Heimkehr") missen wollen, wenn man sich nicht etwa auf den
Standpunkt der höhern Töchterschule stellt. Von diesem Standpunkte aus wird
man freilich niemals zu Anzengruber gelangen.

Wie nicht anders zu erwarten ist, ist die Technik des Erzählers Anzen¬
gruber von der des Dramatikers wesentlich gebildet, unterstützt, gefördert worden.
Einzelne Stücke der neuen Sammlung unter ganz wie Dramenskizzen an. Der
vorwiegende Dialog hat auch in diesen Erzählungen einzig den dramatischen
Zweck, die Charaktere sich selbst offenbaren zu lassen. In jeder Geschichte beinahe
steigert sich die Spannung des Lesers bis zu einer großen, ausgeführten, schon
rein pantomimisch und stumm, für das Auge allein wirksamen Szene, ganz nach
Art eines Btthnenwerkes. Und auch hier in den Dorfgeschichten ist es Anzen¬
gruber ausschließlich um die Gestaltung der Charaktere, um die sorgfältige Moll-


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[0328] Anzeugrubers Dorfgeschichten. Tadelsworte über das richtige Ziel hinaus geschossen haben. Bei beiden ent¬ stammten sie jedoch einem edeln Triebe, durch den sie bewiesen haben, daß sie ihrer Zeit vorausgeeilt waren. Auch über diesen Punkt kann uns nur die Geschichte belehren, diesmal aber nicht die deutsche, sondern die römische, deren Kulturarbeit von unsern Juristen aufgenommen und fortgesetzt worden ist. (Schluß folgt.) Anzengrubers Dorfgeschichten. eit seinem zweiten Romane „Der Sternsteinhof" ist Ludwig Anzengruber auch als Meister in der Erzählungskunst anerkannt. Man darf nun nicht mehr wie vor mehreren Jahren beim Er¬ scheinen seines ersten Romanes „Der Schandfleck" sagen, daß er ein Erzähler aus Verlegenheit sei, Erzähler deswegen, weil er unter den ihm ungünstigen Wiener Theaterverhältnissen nicht als Dramatiker fortschaffen könne und die entbehrungsvolle Feierzeit mit der Dichtung leicht verwertbarer Kleinigkeiten ausfüllen müsse. Vielmehr muß mau auch in seinen neuesten kleinern Erzählungen, die kürzlich erschienen sind: Wolken und Surr'-- schein, gesammelte Dorfgeschichten (Stuttgart und Berlin, Spemann, 1888), den reifen, seiner Ziele sich bewußten, Form und Technik der Erzählung beherrschenden Meister der Kunst anerkennen. Man wird von den dreizehn Geschichten dieses Bandes die eine oder die andre persönlich vorziehen oder künstlerisch höher schätzen, wie sie ja auch in der That von ebenso verschiednen Werte als ver- schiedner Färbung sind, allein man wird vielleicht nur eine einzige der Ge¬ schichten („Die Heimkehr") missen wollen, wenn man sich nicht etwa auf den Standpunkt der höhern Töchterschule stellt. Von diesem Standpunkte aus wird man freilich niemals zu Anzengruber gelangen. Wie nicht anders zu erwarten ist, ist die Technik des Erzählers Anzen¬ gruber von der des Dramatikers wesentlich gebildet, unterstützt, gefördert worden. Einzelne Stücke der neuen Sammlung unter ganz wie Dramenskizzen an. Der vorwiegende Dialog hat auch in diesen Erzählungen einzig den dramatischen Zweck, die Charaktere sich selbst offenbaren zu lassen. In jeder Geschichte beinahe steigert sich die Spannung des Lesers bis zu einer großen, ausgeführten, schon rein pantomimisch und stumm, für das Auge allein wirksamen Szene, ganz nach Art eines Btthnenwerkes. Und auch hier in den Dorfgeschichten ist es Anzen¬ gruber ausschließlich um die Gestaltung der Charaktere, um die sorgfältige Moll-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202776/328>, abgerufen am 01.09.2024.