Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr.Gegen den Strom. Gesellschaft giebt; denn diese Gesellschaft kann nicht immer von vorn anfangen, Moritz Necker. Gegen den ^trou. meer diesem Titel giebt seit etwa drei Jahren eine "litterarisch¬ Bis jetzt sind sechzehn Hefte erschienen. Die Mehrzahl beschäftigt sich nicht Gegen den Strom. Gesellschaft giebt; denn diese Gesellschaft kann nicht immer von vorn anfangen, Moritz Necker. Gegen den ^trou. meer diesem Titel giebt seit etwa drei Jahren eine „litterarisch¬ Bis jetzt sind sechzehn Hefte erschienen. Die Mehrzahl beschäftigt sich nicht <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0240" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/203017"/> <fw type="header" place="top"> Gegen den Strom.</fw><lb/> <p xml:id="ID_785" prev="#ID_784"> Gesellschaft giebt; denn diese Gesellschaft kann nicht immer von vorn anfangen,<lb/> sie ist natürlicher- und notgedrungenerwcise gezwungen, mit dem geschichtlich<lb/> Gewordenen zu rechnen; sie kann nicht jeden Einzelnen auf Herz und Nieren<lb/> prüfen und muß zum Hilfsmittel greifen, ihn nach Herkunft und Stand nud<lb/> äußern Verdiensten zu beurteilen. Aber deshalb darf unser Vertrauen auf den<lb/> Wert, die Wahrheit und die Macht der Sittlichkeit nicht erschüttert werden.<lb/> Es ist verdienstlich, auf die Leiden der Menschheit hinzuweisen und zu deren<lb/> Heilung anzustacheln, allein es ist nicht der Beruf der Kunst, dies auf Kosten<lb/> der Wahrheit zu thun.</p><lb/> <note type="byline"> Moritz Necker.</note><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> </div> <div n="1"> <head> Gegen den ^trou.</head><lb/> <p xml:id="ID_786"> meer diesem Titel giebt seit etwa drei Jahren eine „litterarisch¬<lb/> künstlerische Gesellschaft" in Wien eine Reihe von Flugschriften<lb/> heraus, die alle die kleinen Laster und Schwächen, welche in der<lb/> Gegenwart im allgemeinen und insbesondre in Osterreich und in<lb/> Wien hervortreten, aufzudecken und zu geißeln die Absicht haben.<lb/> Gleich hier sei bemerkt, daß die Mitarbeiter, welche sich einige Zeit nach dem<lb/> Erscheinen ihrer Beiträge nennen, keineswegs das bilden, was man eine Clique<lb/> zu nennen pflegt. Mit Ausnahme der berechtigten Absicht, die wohl jedem<lb/> buchhändlerischen Unternehmen innewohnt, auf seine Kosten zu kommen, ver¬<lb/> bindet dieses hier kein eigennütziges Interesse. Es sind auch Journalisten dabei,<lb/> aber sie gehören dem ehrenwertesten Teile der Wiener Journalistik an.</p><lb/> <p xml:id="ID_787"> Bis jetzt sind sechzehn Hefte erschienen. Die Mehrzahl beschäftigt sich nicht<lb/> mit den breitern Schichten des Volkes, sondern mit den obersten Hunderttausend<lb/> der Gesellschaft im eigentlichen Sinne. Da wird ihre Bildung einer scharfen<lb/> Prüfung unterzogen (Die gebildete Welt, von Wengraf), ihre Lektüre und<lb/> ihr Kunstgeschmack kritisirt (Unsre Kunstpflege von Julius Deininger, Der<lb/> Roman, bei dem man sich langweilt, und Nach der Schablone von Gustav<lb/> Schwarzkopf, Moderne Kunstliebhaberei von Albert Jlg), das Vorrecht, daß sich<lb/> die Frauen innerhalb derselben anmaßen, zurückgewiesen (von Gustav Schwarz¬<lb/> kopf), der „Größenwahn" der Männer gegeißelt (von Wengraf) und unter dem<lb/> Schlagworte „Das Zeitalter der Deutlichkeit" werden die naturalistischen Be¬<lb/> strebungen der Gegenwart, insoweit sie im gesellschaftlichen Leben hervortreten,<lb/> geschildert und verurteilt.</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0240]
Gegen den Strom.
Gesellschaft giebt; denn diese Gesellschaft kann nicht immer von vorn anfangen,
sie ist natürlicher- und notgedrungenerwcise gezwungen, mit dem geschichtlich
Gewordenen zu rechnen; sie kann nicht jeden Einzelnen auf Herz und Nieren
prüfen und muß zum Hilfsmittel greifen, ihn nach Herkunft und Stand nud
äußern Verdiensten zu beurteilen. Aber deshalb darf unser Vertrauen auf den
Wert, die Wahrheit und die Macht der Sittlichkeit nicht erschüttert werden.
Es ist verdienstlich, auf die Leiden der Menschheit hinzuweisen und zu deren
Heilung anzustacheln, allein es ist nicht der Beruf der Kunst, dies auf Kosten
der Wahrheit zu thun.
Moritz Necker.
Gegen den ^trou.
meer diesem Titel giebt seit etwa drei Jahren eine „litterarisch¬
künstlerische Gesellschaft" in Wien eine Reihe von Flugschriften
heraus, die alle die kleinen Laster und Schwächen, welche in der
Gegenwart im allgemeinen und insbesondre in Osterreich und in
Wien hervortreten, aufzudecken und zu geißeln die Absicht haben.
Gleich hier sei bemerkt, daß die Mitarbeiter, welche sich einige Zeit nach dem
Erscheinen ihrer Beiträge nennen, keineswegs das bilden, was man eine Clique
zu nennen pflegt. Mit Ausnahme der berechtigten Absicht, die wohl jedem
buchhändlerischen Unternehmen innewohnt, auf seine Kosten zu kommen, ver¬
bindet dieses hier kein eigennütziges Interesse. Es sind auch Journalisten dabei,
aber sie gehören dem ehrenwertesten Teile der Wiener Journalistik an.
Bis jetzt sind sechzehn Hefte erschienen. Die Mehrzahl beschäftigt sich nicht
mit den breitern Schichten des Volkes, sondern mit den obersten Hunderttausend
der Gesellschaft im eigentlichen Sinne. Da wird ihre Bildung einer scharfen
Prüfung unterzogen (Die gebildete Welt, von Wengraf), ihre Lektüre und
ihr Kunstgeschmack kritisirt (Unsre Kunstpflege von Julius Deininger, Der
Roman, bei dem man sich langweilt, und Nach der Schablone von Gustav
Schwarzkopf, Moderne Kunstliebhaberei von Albert Jlg), das Vorrecht, daß sich
die Frauen innerhalb derselben anmaßen, zurückgewiesen (von Gustav Schwarz¬
kopf), der „Größenwahn" der Männer gegeißelt (von Wengraf) und unter dem
Schlagworte „Das Zeitalter der Deutlichkeit" werden die naturalistischen Be¬
strebungen der Gegenwart, insoweit sie im gesellschaftlichen Leben hervortreten,
geschildert und verurteilt.
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