Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Die Liebhaberphotographie.

Aber wir suchen keinen Streit. Und da möchte ich Ihnen denn einen
friedlicheren Vorschlag machen. Sie halten etliche lebende Deutsche hoch, unter
andern Herrn Professor Hildebrand, den Sie persönlich in Leipzig gehört haben.
Vieles von dem, was Sie wissen, verdanken Sie diesem verehrungswürdigen
Manne. Versuchen Sie es noch einmal. Kommen Sie wieder, besuchen Sie
nochmals Leipzig und auch andre Universitäten, welche Sie wollen. Dann
wird Ihnen mit der Zeit für viele Dinge ein besseres Verständnis aufgehen,
und vieles werden Sie ganz anders beurteilen lernen. Und wenn Sie dann,
nach etwa zehn Jahren, uns wieder mit einem Buche über deutsche Litteratur
beschenken wollen, worin Sie getrost, aber ohne Haß und nationale Vorein¬
genommenheit, tadeln dürfen, werden Sie uns vielleicht eine Freude bereiten.

Aber wozu sage ich das Ihnen? Als ob Sie nicht viel besser wüßten,
worauf es ankommt:


Ls tairs -- ot xiooksr ksrmo se nur,
M'on no sait, puo 1'on ÄMrvNNS
Uoäostsmvnt. L'ost Is xlus für.
NMoodissW, mon vo.xii"imo.



Die Liebhaberphotographie.

n Amerika ist die Liebhaberphotographie bis zu einer Vollkommen¬
heit gediehen, daß bereits Notschreie dagegen zu ertönen an¬
fangen. Die Möglichkeit, überallhin seinen Apparat mitzunehmen
und mit Blitzesschnelle ein Bild auf die Platte zu bringen, wird
als Gefahr für die persönliche Freiheit amerikanischer Bürger an¬
gesehen. "Es kann jetzt niemand mehr nach einem Hunde treten oder einer
Dame über einen dornigen Heckenzaun helfen oder einem blinden Bettler einen
Stein in den Hut werfen, ohne Gefahr zu laufen, daß dieser Augenblick für
ewige Zeiten festgenagelt wird. Du ergreifst die Hand der Dame, um sie zu
stützen, wie sie ausgleitet. Da geht es "Schnapp!" hinter deinem Rücken, und
ehe du dich umdrehen kannst, ist dein Bild gemacht. Wie du dich dünkst, um
nach einem Stein zu greifen, hat er dich wieder und läuft dann weg mit seiner
storchbeinigen Maschine und seiner verleumderischen Platte unterm Arm. Die
Platten lügen, das ist noch das Schlimmste von allem. In dem betreffenden
Falle hältst du die Hand der Dame vielleicht zehn Sekunden lang; wenigerläßt
die Höflichkeit nicht zu. Auf der ruchlosen Trockenplatte jedoch, die den flüch¬
tigen Ausdruck des Augenblickes auffängt, siehst du aus, als ob du den ganzen


Die Liebhaberphotographie.

Aber wir suchen keinen Streit. Und da möchte ich Ihnen denn einen
friedlicheren Vorschlag machen. Sie halten etliche lebende Deutsche hoch, unter
andern Herrn Professor Hildebrand, den Sie persönlich in Leipzig gehört haben.
Vieles von dem, was Sie wissen, verdanken Sie diesem verehrungswürdigen
Manne. Versuchen Sie es noch einmal. Kommen Sie wieder, besuchen Sie
nochmals Leipzig und auch andre Universitäten, welche Sie wollen. Dann
wird Ihnen mit der Zeit für viele Dinge ein besseres Verständnis aufgehen,
und vieles werden Sie ganz anders beurteilen lernen. Und wenn Sie dann,
nach etwa zehn Jahren, uns wieder mit einem Buche über deutsche Litteratur
beschenken wollen, worin Sie getrost, aber ohne Haß und nationale Vorein¬
genommenheit, tadeln dürfen, werden Sie uns vielleicht eine Freude bereiten.

Aber wozu sage ich das Ihnen? Als ob Sie nicht viel besser wüßten,
worauf es ankommt:


Ls tairs — ot xiooksr ksrmo se nur,
M'on no sait, puo 1'on ÄMrvNNS
Uoäostsmvnt. L'ost Is xlus für.
NMoodissW, mon vo.xii»imo.



Die Liebhaberphotographie.

n Amerika ist die Liebhaberphotographie bis zu einer Vollkommen¬
heit gediehen, daß bereits Notschreie dagegen zu ertönen an¬
fangen. Die Möglichkeit, überallhin seinen Apparat mitzunehmen
und mit Blitzesschnelle ein Bild auf die Platte zu bringen, wird
als Gefahr für die persönliche Freiheit amerikanischer Bürger an¬
gesehen. „Es kann jetzt niemand mehr nach einem Hunde treten oder einer
Dame über einen dornigen Heckenzaun helfen oder einem blinden Bettler einen
Stein in den Hut werfen, ohne Gefahr zu laufen, daß dieser Augenblick für
ewige Zeiten festgenagelt wird. Du ergreifst die Hand der Dame, um sie zu
stützen, wie sie ausgleitet. Da geht es »Schnapp!« hinter deinem Rücken, und
ehe du dich umdrehen kannst, ist dein Bild gemacht. Wie du dich dünkst, um
nach einem Stein zu greifen, hat er dich wieder und läuft dann weg mit seiner
storchbeinigen Maschine und seiner verleumderischen Platte unterm Arm. Die
Platten lügen, das ist noch das Schlimmste von allem. In dem betreffenden
Falle hältst du die Hand der Dame vielleicht zehn Sekunden lang; wenigerläßt
die Höflichkeit nicht zu. Auf der ruchlosen Trockenplatte jedoch, die den flüch¬
tigen Ausdruck des Augenblickes auffängt, siehst du aus, als ob du den ganzen


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0188" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/202965"/>
            <fw type="header" place="top"> Die Liebhaberphotographie.</fw><lb/>
            <p xml:id="ID_609"> Aber wir suchen keinen Streit. Und da möchte ich Ihnen denn einen<lb/>
friedlicheren Vorschlag machen. Sie halten etliche lebende Deutsche hoch, unter<lb/>
andern Herrn Professor Hildebrand, den Sie persönlich in Leipzig gehört haben.<lb/>
Vieles von dem, was Sie wissen, verdanken Sie diesem verehrungswürdigen<lb/>
Manne. Versuchen Sie es noch einmal. Kommen Sie wieder, besuchen Sie<lb/>
nochmals Leipzig und auch andre Universitäten, welche Sie wollen. Dann<lb/>
wird Ihnen mit der Zeit für viele Dinge ein besseres Verständnis aufgehen,<lb/>
und vieles werden Sie ganz anders beurteilen lernen. Und wenn Sie dann,<lb/>
nach etwa zehn Jahren, uns wieder mit einem Buche über deutsche Litteratur<lb/>
beschenken wollen, worin Sie getrost, aber ohne Haß und nationale Vorein¬<lb/>
genommenheit, tadeln dürfen, werden Sie uns vielleicht eine Freude bereiten.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_610"> Aber wozu sage ich das Ihnen? Als ob Sie nicht viel besser wüßten,<lb/>
worauf es ankommt:</p><lb/>
            <quote>
              <lg xml:id="POEMID_42" type="poem">
                <l> Ls tairs &#x2014; ot xiooksr ksrmo se nur,<lb/>
M'on no sait, puo 1'on ÄMrvNNS<lb/>
Uoäostsmvnt.  L'ost Is xlus für.<lb/>
NMoodissW, mon vo.xii»imo.</l>
              </lg>
            </quote><lb/>
            <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
          </div>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Die Liebhaberphotographie.</head><lb/>
          <p xml:id="ID_611" next="#ID_612"> n Amerika ist die Liebhaberphotographie bis zu einer Vollkommen¬<lb/>
heit gediehen, daß bereits Notschreie dagegen zu ertönen an¬<lb/>
fangen. Die Möglichkeit, überallhin seinen Apparat mitzunehmen<lb/>
und mit Blitzesschnelle ein Bild auf die Platte zu bringen, wird<lb/>
als Gefahr für die persönliche Freiheit amerikanischer Bürger an¬<lb/>
gesehen. &#x201E;Es kann jetzt niemand mehr nach einem Hunde treten oder einer<lb/>
Dame über einen dornigen Heckenzaun helfen oder einem blinden Bettler einen<lb/>
Stein in den Hut werfen, ohne Gefahr zu laufen, daß dieser Augenblick für<lb/>
ewige Zeiten festgenagelt wird. Du ergreifst die Hand der Dame, um sie zu<lb/>
stützen, wie sie ausgleitet. Da geht es »Schnapp!« hinter deinem Rücken, und<lb/>
ehe du dich umdrehen kannst, ist dein Bild gemacht. Wie du dich dünkst, um<lb/>
nach einem Stein zu greifen, hat er dich wieder und läuft dann weg mit seiner<lb/>
storchbeinigen Maschine und seiner verleumderischen Platte unterm Arm. Die<lb/>
Platten lügen, das ist noch das Schlimmste von allem. In dem betreffenden<lb/>
Falle hältst du die Hand der Dame vielleicht zehn Sekunden lang; wenigerläßt<lb/>
die Höflichkeit nicht zu. Auf der ruchlosen Trockenplatte jedoch, die den flüch¬<lb/>
tigen Ausdruck des Augenblickes auffängt, siehst du aus, als ob du den ganzen</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0188] Die Liebhaberphotographie. Aber wir suchen keinen Streit. Und da möchte ich Ihnen denn einen friedlicheren Vorschlag machen. Sie halten etliche lebende Deutsche hoch, unter andern Herrn Professor Hildebrand, den Sie persönlich in Leipzig gehört haben. Vieles von dem, was Sie wissen, verdanken Sie diesem verehrungswürdigen Manne. Versuchen Sie es noch einmal. Kommen Sie wieder, besuchen Sie nochmals Leipzig und auch andre Universitäten, welche Sie wollen. Dann wird Ihnen mit der Zeit für viele Dinge ein besseres Verständnis aufgehen, und vieles werden Sie ganz anders beurteilen lernen. Und wenn Sie dann, nach etwa zehn Jahren, uns wieder mit einem Buche über deutsche Litteratur beschenken wollen, worin Sie getrost, aber ohne Haß und nationale Vorein¬ genommenheit, tadeln dürfen, werden Sie uns vielleicht eine Freude bereiten. Aber wozu sage ich das Ihnen? Als ob Sie nicht viel besser wüßten, worauf es ankommt: Ls tairs — ot xiooksr ksrmo se nur, M'on no sait, puo 1'on ÄMrvNNS Uoäostsmvnt. L'ost Is xlus für. NMoodissW, mon vo.xii»imo. Die Liebhaberphotographie. n Amerika ist die Liebhaberphotographie bis zu einer Vollkommen¬ heit gediehen, daß bereits Notschreie dagegen zu ertönen an¬ fangen. Die Möglichkeit, überallhin seinen Apparat mitzunehmen und mit Blitzesschnelle ein Bild auf die Platte zu bringen, wird als Gefahr für die persönliche Freiheit amerikanischer Bürger an¬ gesehen. „Es kann jetzt niemand mehr nach einem Hunde treten oder einer Dame über einen dornigen Heckenzaun helfen oder einem blinden Bettler einen Stein in den Hut werfen, ohne Gefahr zu laufen, daß dieser Augenblick für ewige Zeiten festgenagelt wird. Du ergreifst die Hand der Dame, um sie zu stützen, wie sie ausgleitet. Da geht es »Schnapp!« hinter deinem Rücken, und ehe du dich umdrehen kannst, ist dein Bild gemacht. Wie du dich dünkst, um nach einem Stein zu greifen, hat er dich wieder und läuft dann weg mit seiner storchbeinigen Maschine und seiner verleumderischen Platte unterm Arm. Die Platten lügen, das ist noch das Schlimmste von allem. In dem betreffenden Falle hältst du die Hand der Dame vielleicht zehn Sekunden lang; wenigerläßt die Höflichkeit nicht zu. Auf der ruchlosen Trockenplatte jedoch, die den flüch¬ tigen Ausdruck des Augenblickes auffängt, siehst du aus, als ob du den ganzen

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202776
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202776/188
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202776/188>, abgerufen am 27.07.2024.