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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr.

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Eine Fahrt in den Grient.
von Adam von Festenberg. (Fortsetzung.)
7. Die Derwische in Stambul.

ationalökonomische Eiferer und Staatsmänner mögen über das
Mönchtum den Stab brechen: ans das Gemüt eines naiven Volkes
wird es niemals seinen Eindruck verfehlen, wenn jemand den Gütern
des Daseins entsagt, sich von den Freuden der Welt zurückzieht
und sich ganz dem beschaulichen Leben im Dienste der Gottheit
weiht. Die vitg. eontsMMtiva, hat deshalb unter den christlichen Völkern des
Mittelalters als eine besonders geeignete Vorbereitung für die Seligkeit ge¬
golten, und nicht nur die theologischen Schriften des Mittelalters sind voll von
dem Preise dieses Lebens im Gegensatz zu der vio aotiv-t, auch die Maler haben
die erstere in unsterblichen Bildern verherrlicht, wie sie noch heute die Kirche zu
Assisi, die spanische Kapelle in Florenz oder den Campo Santo in Pisa zieren.
Das Mönchtum aber ist so alt, wie jede höhere Stufe der Religionsentwicklung,
und wenn ihm auch das Judentum keine formelle Aufnahme gegönnt hat, so
spielen doch die Einsiedler, wie der Prophet Ella selbst, im alten Testament eine
Rolle. Auch Mohammed hat vergebens die Mönche von dem Islam ausgeschlossen,
der religiöse Fanatismus und die glühende Phantasie der Araber war stärker als
sein Verbot, und so bildeten sich eine Reihe von Fakir- oder Derwischorden,
welche nicht bloß unser Interesse an arabischen Märchen erregen, sondern ans
die Entwicklung des Islams und auf die Geschicke des Reiches von großem Ein¬
fluß gewesen sind. Diesen Derwischen so weit näher zu treten, als es dem Fremden
gestattet ist, war natürlich unser Wunsch, und es bot sich die Gelegenheit hierzu
gleich, als wir von Brussa wieder nach Konstantinopel zurückgekehrt waren.




Eine Fahrt in den Grient.
von Adam von Festenberg. (Fortsetzung.)
7. Die Derwische in Stambul.

ationalökonomische Eiferer und Staatsmänner mögen über das
Mönchtum den Stab brechen: ans das Gemüt eines naiven Volkes
wird es niemals seinen Eindruck verfehlen, wenn jemand den Gütern
des Daseins entsagt, sich von den Freuden der Welt zurückzieht
und sich ganz dem beschaulichen Leben im Dienste der Gottheit
weiht. Die vitg. eontsMMtiva, hat deshalb unter den christlichen Völkern des
Mittelalters als eine besonders geeignete Vorbereitung für die Seligkeit ge¬
golten, und nicht nur die theologischen Schriften des Mittelalters sind voll von
dem Preise dieses Lebens im Gegensatz zu der vio aotiv-t, auch die Maler haben
die erstere in unsterblichen Bildern verherrlicht, wie sie noch heute die Kirche zu
Assisi, die spanische Kapelle in Florenz oder den Campo Santo in Pisa zieren.
Das Mönchtum aber ist so alt, wie jede höhere Stufe der Religionsentwicklung,
und wenn ihm auch das Judentum keine formelle Aufnahme gegönnt hat, so
spielen doch die Einsiedler, wie der Prophet Ella selbst, im alten Testament eine
Rolle. Auch Mohammed hat vergebens die Mönche von dem Islam ausgeschlossen,
der religiöse Fanatismus und die glühende Phantasie der Araber war stärker als
sein Verbot, und so bildeten sich eine Reihe von Fakir- oder Derwischorden,
welche nicht bloß unser Interesse an arabischen Märchen erregen, sondern ans
die Entwicklung des Islams und auf die Geschicke des Reiches von großem Ein¬
fluß gewesen sind. Diesen Derwischen so weit näher zu treten, als es dem Fremden
gestattet ist, war natürlich unser Wunsch, und es bot sich die Gelegenheit hierzu
gleich, als wir von Brussa wieder nach Konstantinopel zurückgekehrt waren.


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[0295] [Abbildung] Eine Fahrt in den Grient. von Adam von Festenberg. (Fortsetzung.) 7. Die Derwische in Stambul. ationalökonomische Eiferer und Staatsmänner mögen über das Mönchtum den Stab brechen: ans das Gemüt eines naiven Volkes wird es niemals seinen Eindruck verfehlen, wenn jemand den Gütern des Daseins entsagt, sich von den Freuden der Welt zurückzieht und sich ganz dem beschaulichen Leben im Dienste der Gottheit weiht. Die vitg. eontsMMtiva, hat deshalb unter den christlichen Völkern des Mittelalters als eine besonders geeignete Vorbereitung für die Seligkeit ge¬ golten, und nicht nur die theologischen Schriften des Mittelalters sind voll von dem Preise dieses Lebens im Gegensatz zu der vio aotiv-t, auch die Maler haben die erstere in unsterblichen Bildern verherrlicht, wie sie noch heute die Kirche zu Assisi, die spanische Kapelle in Florenz oder den Campo Santo in Pisa zieren. Das Mönchtum aber ist so alt, wie jede höhere Stufe der Religionsentwicklung, und wenn ihm auch das Judentum keine formelle Aufnahme gegönnt hat, so spielen doch die Einsiedler, wie der Prophet Ella selbst, im alten Testament eine Rolle. Auch Mohammed hat vergebens die Mönche von dem Islam ausgeschlossen, der religiöse Fanatismus und die glühende Phantasie der Araber war stärker als sein Verbot, und so bildeten sich eine Reihe von Fakir- oder Derwischorden, welche nicht bloß unser Interesse an arabischen Märchen erregen, sondern ans die Entwicklung des Islams und auf die Geschicke des Reiches von großem Ein¬ fluß gewesen sind. Diesen Derwischen so weit näher zu treten, als es dem Fremden gestattet ist, war natürlich unser Wunsch, und es bot sich die Gelegenheit hierzu gleich, als wir von Brussa wieder nach Konstantinopel zurückgekehrt waren.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_201428/295>, abgerufen am 03.07.2024.