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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr.

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Die Naturforschervtt-Sammlung und das Gymnasium.

ihrer aus schwachen Frauen und Kindern bestehenden Familien sind so uner¬
träglich und so gebieterisch, daß der Kampf zwischen dem lebenden und dem
toten Kapital zu den ungleichsten der Welt gehört, und die Vertragsfreiheit,
mit der die nationalökonomische Theorie sich brüstet, ist eigentlich gar nicht
vorhanden. Wahrhaftig, unter solchen Umstanden ist es die Pflicht der Kirche,
die Armen, die Arbeiter, welche die gemeinsamen Reichtümer der Menschheit
aufgehäuft haben, in Schutz zu nehmen."

Man sieht, wie der gewaltige Strom, der die Kirche samt der bürgerlichen
Gesellschaft fortreißt, eine mehr und mehr demokratische Richtung einschlägt.
Seine Wogen schlagen bereits an die alten Mauern des Vatikans; sie finden
dort einen Papst, der für ihr Brausen ein empfängliches Ohr hat. Sein Heller
Geist hatte diese Fragen schon damals erfaßt, als er noch Erzbischof von
Perugia war, wo er in seinem Hirtenbriefe von 1877 schrieb: "Gegenüber diesen
von einer herzlosen Gier vor der Zeit verzehrten Menschen muß man sich fragen,
ob die Vertreter dieser unkirchlichen und gottlosen Zivilisation, anstatt uns weiter
zu bringen, uns nicht um mehrere Jahrhunderte zurückwerfen, indem sie uns
zu jenen jammervollen Zeiten zurückführen, wo die Sklaverei einen so großen
Teil der Menschheit zermalmte, wo ein Dichter voll tiefer Trauer ausrief: Das
menschliche Geschlecht lebt nur für einige wenige Bevorzugte" (Irumanum xg.uois
vivit Agnus).

Wer sollte sich nicht eingestehen, daß die katholische Kirche von dem Augen¬
blicke an, wo sie diese Anschauungen des vormaligen Kardinals Pecei und jetzigen
Papstes Leo XIII., des amerikanischen Kardinals Gibbons, des englischen
Kardinals Manning thatkräftig zur Geltung brächte, eine neue, kaum dagewesene
Macht erlangen würde? Denn sie würde sich auf die großen, ungezählten
Volksmassen in der ganzen zivilisirten Welt und auf die unwiderleglicher Lehren
des Evangeliums stützen.




Die Naturforscherversammlung und das Gymnasium.

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f^MWDrofessor Preyer aus Jena hat neulich im Kreise der in Wies¬
baden versammelten Naturforscher und Ärzte eine von allseitigem
Beifall begleitete Rede gehalten, die nicht verfehlen wird, in den
weitesten Kreisen Aufsehen zu erregen. Es war eine Philippika
gegen die humanistischen Bildungsanstalten Deutschlands von einer
nicht zu überbietendem Schärfe, ein Verdammungsurteil der dort bestehenden
Einrichtungen, wie es nicht schonungsloser gedacht werden kann. Die Miß->-">Li"-i>
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Grenzboten IV. 1887. 16
Die Naturforschervtt-Sammlung und das Gymnasium.

ihrer aus schwachen Frauen und Kindern bestehenden Familien sind so uner¬
träglich und so gebieterisch, daß der Kampf zwischen dem lebenden und dem
toten Kapital zu den ungleichsten der Welt gehört, und die Vertragsfreiheit,
mit der die nationalökonomische Theorie sich brüstet, ist eigentlich gar nicht
vorhanden. Wahrhaftig, unter solchen Umstanden ist es die Pflicht der Kirche,
die Armen, die Arbeiter, welche die gemeinsamen Reichtümer der Menschheit
aufgehäuft haben, in Schutz zu nehmen."

Man sieht, wie der gewaltige Strom, der die Kirche samt der bürgerlichen
Gesellschaft fortreißt, eine mehr und mehr demokratische Richtung einschlägt.
Seine Wogen schlagen bereits an die alten Mauern des Vatikans; sie finden
dort einen Papst, der für ihr Brausen ein empfängliches Ohr hat. Sein Heller
Geist hatte diese Fragen schon damals erfaßt, als er noch Erzbischof von
Perugia war, wo er in seinem Hirtenbriefe von 1877 schrieb: „Gegenüber diesen
von einer herzlosen Gier vor der Zeit verzehrten Menschen muß man sich fragen,
ob die Vertreter dieser unkirchlichen und gottlosen Zivilisation, anstatt uns weiter
zu bringen, uns nicht um mehrere Jahrhunderte zurückwerfen, indem sie uns
zu jenen jammervollen Zeiten zurückführen, wo die Sklaverei einen so großen
Teil der Menschheit zermalmte, wo ein Dichter voll tiefer Trauer ausrief: Das
menschliche Geschlecht lebt nur für einige wenige Bevorzugte" (Irumanum xg.uois
vivit Agnus).

Wer sollte sich nicht eingestehen, daß die katholische Kirche von dem Augen¬
blicke an, wo sie diese Anschauungen des vormaligen Kardinals Pecei und jetzigen
Papstes Leo XIII., des amerikanischen Kardinals Gibbons, des englischen
Kardinals Manning thatkräftig zur Geltung brächte, eine neue, kaum dagewesene
Macht erlangen würde? Denn sie würde sich auf die großen, ungezählten
Volksmassen in der ganzen zivilisirten Welt und auf die unwiderleglicher Lehren
des Evangeliums stützen.




Die Naturforscherversammlung und das Gymnasium.

AM
f^MWDrofessor Preyer aus Jena hat neulich im Kreise der in Wies¬
baden versammelten Naturforscher und Ärzte eine von allseitigem
Beifall begleitete Rede gehalten, die nicht verfehlen wird, in den
weitesten Kreisen Aufsehen zu erregen. Es war eine Philippika
gegen die humanistischen Bildungsanstalten Deutschlands von einer
nicht zu überbietendem Schärfe, ein Verdammungsurteil der dort bestehenden
Einrichtungen, wie es nicht schonungsloser gedacht werden kann. Die Miß->-»>Li«-i>
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Grenzboten IV. 1887. 16
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[0129] Die Naturforschervtt-Sammlung und das Gymnasium. ihrer aus schwachen Frauen und Kindern bestehenden Familien sind so uner¬ träglich und so gebieterisch, daß der Kampf zwischen dem lebenden und dem toten Kapital zu den ungleichsten der Welt gehört, und die Vertragsfreiheit, mit der die nationalökonomische Theorie sich brüstet, ist eigentlich gar nicht vorhanden. Wahrhaftig, unter solchen Umstanden ist es die Pflicht der Kirche, die Armen, die Arbeiter, welche die gemeinsamen Reichtümer der Menschheit aufgehäuft haben, in Schutz zu nehmen." Man sieht, wie der gewaltige Strom, der die Kirche samt der bürgerlichen Gesellschaft fortreißt, eine mehr und mehr demokratische Richtung einschlägt. Seine Wogen schlagen bereits an die alten Mauern des Vatikans; sie finden dort einen Papst, der für ihr Brausen ein empfängliches Ohr hat. Sein Heller Geist hatte diese Fragen schon damals erfaßt, als er noch Erzbischof von Perugia war, wo er in seinem Hirtenbriefe von 1877 schrieb: „Gegenüber diesen von einer herzlosen Gier vor der Zeit verzehrten Menschen muß man sich fragen, ob die Vertreter dieser unkirchlichen und gottlosen Zivilisation, anstatt uns weiter zu bringen, uns nicht um mehrere Jahrhunderte zurückwerfen, indem sie uns zu jenen jammervollen Zeiten zurückführen, wo die Sklaverei einen so großen Teil der Menschheit zermalmte, wo ein Dichter voll tiefer Trauer ausrief: Das menschliche Geschlecht lebt nur für einige wenige Bevorzugte" (Irumanum xg.uois vivit Agnus). Wer sollte sich nicht eingestehen, daß die katholische Kirche von dem Augen¬ blicke an, wo sie diese Anschauungen des vormaligen Kardinals Pecei und jetzigen Papstes Leo XIII., des amerikanischen Kardinals Gibbons, des englischen Kardinals Manning thatkräftig zur Geltung brächte, eine neue, kaum dagewesene Macht erlangen würde? Denn sie würde sich auf die großen, ungezählten Volksmassen in der ganzen zivilisirten Welt und auf die unwiderleglicher Lehren des Evangeliums stützen. Die Naturforscherversammlung und das Gymnasium. AM f^MWDrofessor Preyer aus Jena hat neulich im Kreise der in Wies¬ baden versammelten Naturforscher und Ärzte eine von allseitigem Beifall begleitete Rede gehalten, die nicht verfehlen wird, in den weitesten Kreisen Aufsehen zu erregen. Es war eine Philippika gegen die humanistischen Bildungsanstalten Deutschlands von einer nicht zu überbietendem Schärfe, ein Verdammungsurteil der dort bestehenden Einrichtungen, wie es nicht schonungsloser gedacht werden kann. Die Miß->-»>Li«-i> 6Mi Grenzboten IV. 1887. 16

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_201428/129>, abgerufen am 22.07.2024.