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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr.

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Dichterfreundinnen.
von Franz Pfalz. S. Die Titanide.
(Fortsetzung.)

harlvtte blieb noch über ein Jahr in Mannheim. Von Zeit
zu Zeit erhielt sie einen Brief von Schiller und beantwortete
ihn mit der vollen Hingebung an den genialen Seeleufreuud,
dessen persönlichen Umgang sie schmerzlich vermißte. "Ich Wichte
nicht -- schreibt sie --, wie verlassen, wie einsam ich werden
würde, als Sie gingen! Das habe ich nicht auf einmal wissen sollen. . . .
Unsre Liebe gehört zu den Eigenschaften unsrer Seele, sie kann nur mit dieser
zerstört werden, die Ewigkeit ist ihr Ziel!" Und dann fügt sie, sich selbst
vergessend, hinzu: "Guter Schiller, wie sehr freue ich mich Ihrer jetzigen
Existenz, Ihr Dasein fließt unter der Sorge Ihrer Freunde dahin." Einen
vorübergehenden Ersatz fand sie im Verkehr mit Frau von Laroche, die den
Winter 1785--86 in Mannheim zubrachte. Unterdessen hatte ihr Schwager,
der Präsident vou Kalb, angefangen, die Ostheimscheu Güter zu verwalte".
Dies wäre vielleicht selbst für einen erprobten Geschäftsmann nicht ganz leicht
gewesen, der Präsident aber faßte noch dazu die Sache mit ungeschickter Hand
an. Zunächst spielte er das Familienoberhaupt und bevormundete ohne Zurück¬
haltung Bruder und Schwägerin. Der Major hatte in der Pfalz keine An¬
stellung erhalten, er blieb in französischen Diensten, und Charlotte mußte, damit
der Aufwand der Familie möglichst vereinfacht würde, mit ihrem Söhnchen das
Landgut Kalbsrieth in der Goldenen Ane, welches ihrem Schwiegervater gehörte,
zum Aufenthalte wählen. Hier fand sie eine reiche Büchersammlung, die ihr
in der ländlichen Einsamkeit Belehrung und Zerstreuung gewährte. Besonders
Herders Werke zogen sie an. Der edle und große Geist, der aus diesen
Schriften spricht, wirkte läuternd und klärend auf ihr Denken und Fühlen ein.
Von Kindheit auf hatte sie einen Hang zu religiöser Beschaulichkeit gehabt.
An hochgebildete und charakterfeste Geistliche, an alle, welche die Welt über¬
wunden hatten, hatte sie sich mit inniger Verehrung angeschlossen, aber es war ihr
frühzeitig ein mystischer Zug eingeimpft worden. Sie schwärmte gern in der
Sehnsucht nach einem von allen sittlichen Mängeln gereinigten Klosterleben,
das den Bedrängten eine Zuflucht böte. Da wirkte nun Herders protestantische
Frömmigkeit reinigend und ermutigend auf sie ein. Ihr energischer Geist war


Dichterfreundinnen.
von Franz Pfalz. S. Die Titanide.
(Fortsetzung.)

harlvtte blieb noch über ein Jahr in Mannheim. Von Zeit
zu Zeit erhielt sie einen Brief von Schiller und beantwortete
ihn mit der vollen Hingebung an den genialen Seeleufreuud,
dessen persönlichen Umgang sie schmerzlich vermißte. „Ich Wichte
nicht — schreibt sie —, wie verlassen, wie einsam ich werden
würde, als Sie gingen! Das habe ich nicht auf einmal wissen sollen. . . .
Unsre Liebe gehört zu den Eigenschaften unsrer Seele, sie kann nur mit dieser
zerstört werden, die Ewigkeit ist ihr Ziel!" Und dann fügt sie, sich selbst
vergessend, hinzu: „Guter Schiller, wie sehr freue ich mich Ihrer jetzigen
Existenz, Ihr Dasein fließt unter der Sorge Ihrer Freunde dahin." Einen
vorübergehenden Ersatz fand sie im Verkehr mit Frau von Laroche, die den
Winter 1785—86 in Mannheim zubrachte. Unterdessen hatte ihr Schwager,
der Präsident vou Kalb, angefangen, die Ostheimscheu Güter zu verwalte».
Dies wäre vielleicht selbst für einen erprobten Geschäftsmann nicht ganz leicht
gewesen, der Präsident aber faßte noch dazu die Sache mit ungeschickter Hand
an. Zunächst spielte er das Familienoberhaupt und bevormundete ohne Zurück¬
haltung Bruder und Schwägerin. Der Major hatte in der Pfalz keine An¬
stellung erhalten, er blieb in französischen Diensten, und Charlotte mußte, damit
der Aufwand der Familie möglichst vereinfacht würde, mit ihrem Söhnchen das
Landgut Kalbsrieth in der Goldenen Ane, welches ihrem Schwiegervater gehörte,
zum Aufenthalte wählen. Hier fand sie eine reiche Büchersammlung, die ihr
in der ländlichen Einsamkeit Belehrung und Zerstreuung gewährte. Besonders
Herders Werke zogen sie an. Der edle und große Geist, der aus diesen
Schriften spricht, wirkte läuternd und klärend auf ihr Denken und Fühlen ein.
Von Kindheit auf hatte sie einen Hang zu religiöser Beschaulichkeit gehabt.
An hochgebildete und charakterfeste Geistliche, an alle, welche die Welt über¬
wunden hatten, hatte sie sich mit inniger Verehrung angeschlossen, aber es war ihr
frühzeitig ein mystischer Zug eingeimpft worden. Sie schwärmte gern in der
Sehnsucht nach einem von allen sittlichen Mängeln gereinigten Klosterleben,
das den Bedrängten eine Zuflucht böte. Da wirkte nun Herders protestantische
Frömmigkeit reinigend und ermutigend auf sie ein. Ihr energischer Geist war


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[0228] Dichterfreundinnen. von Franz Pfalz. S. Die Titanide. (Fortsetzung.) harlvtte blieb noch über ein Jahr in Mannheim. Von Zeit zu Zeit erhielt sie einen Brief von Schiller und beantwortete ihn mit der vollen Hingebung an den genialen Seeleufreuud, dessen persönlichen Umgang sie schmerzlich vermißte. „Ich Wichte nicht — schreibt sie —, wie verlassen, wie einsam ich werden würde, als Sie gingen! Das habe ich nicht auf einmal wissen sollen. . . . Unsre Liebe gehört zu den Eigenschaften unsrer Seele, sie kann nur mit dieser zerstört werden, die Ewigkeit ist ihr Ziel!" Und dann fügt sie, sich selbst vergessend, hinzu: „Guter Schiller, wie sehr freue ich mich Ihrer jetzigen Existenz, Ihr Dasein fließt unter der Sorge Ihrer Freunde dahin." Einen vorübergehenden Ersatz fand sie im Verkehr mit Frau von Laroche, die den Winter 1785—86 in Mannheim zubrachte. Unterdessen hatte ihr Schwager, der Präsident vou Kalb, angefangen, die Ostheimscheu Güter zu verwalte». Dies wäre vielleicht selbst für einen erprobten Geschäftsmann nicht ganz leicht gewesen, der Präsident aber faßte noch dazu die Sache mit ungeschickter Hand an. Zunächst spielte er das Familienoberhaupt und bevormundete ohne Zurück¬ haltung Bruder und Schwägerin. Der Major hatte in der Pfalz keine An¬ stellung erhalten, er blieb in französischen Diensten, und Charlotte mußte, damit der Aufwand der Familie möglichst vereinfacht würde, mit ihrem Söhnchen das Landgut Kalbsrieth in der Goldenen Ane, welches ihrem Schwiegervater gehörte, zum Aufenthalte wählen. Hier fand sie eine reiche Büchersammlung, die ihr in der ländlichen Einsamkeit Belehrung und Zerstreuung gewährte. Besonders Herders Werke zogen sie an. Der edle und große Geist, der aus diesen Schriften spricht, wirkte läuternd und klärend auf ihr Denken und Fühlen ein. Von Kindheit auf hatte sie einen Hang zu religiöser Beschaulichkeit gehabt. An hochgebildete und charakterfeste Geistliche, an alle, welche die Welt über¬ wunden hatten, hatte sie sich mit inniger Verehrung angeschlossen, aber es war ihr frühzeitig ein mystischer Zug eingeimpft worden. Sie schwärmte gern in der Sehnsucht nach einem von allen sittlichen Mängeln gereinigten Klosterleben, das den Bedrängten eine Zuflucht böte. Da wirkte nun Herders protestantische Frömmigkeit reinigend und ermutigend auf sie ein. Ihr energischer Geist war

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200778/228>, abgerufen am 22.07.2024.