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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr.

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Jugenderinnerungen.
von Ernst Willkomm. (Fortsetzung.)
3.

indem sind ganz unbedeutende Begebenheiten in der Regel
von weit größerer Wichtigkeit als die ungeheuersten weltge¬
schichtlichen Vorgänge. Was unmittelbar auf das Gemüt des
Kindes wirkt, was seine Phantasie in irgend welcher Weise be¬
schäftigt, was ihm sinnlich gewissermaßen faßbar nahe tritt,
das prägt sich seinem Gedächtnis unaustilgbar ein. Das dumpfe unterirdische
Drohnen, welches uns die Schlacht bei Bautzen verriet, habe ich nie wieder
vergessen; ich weiß sogar hente noch genau die Stelle anzugeben, wo ich mich
neben dem Vater auf die Erde legte, um dem unterirdischen Rollen zu lauschen.
Die Leipziger Schlachttage und was sich daran knüpfte, weiß ich nur vom
Hörensagen, und sie haben ebensowenig Eindruck auf mich gemacht wie die Ge¬
fangennahme des Königs Friedrich August, die doch in ganz Sachsen allgemeine
Bestürzung erregte und in der Bevölkerung eine recht bittere Stimmung hervor¬
rief. Erst die Rückkehr des Königs aus der Gefangenschaft, die uns eine Ab¬
bildung im Kalender versiimlichte, ward Anlaß zu Fragen und Antworten, welche
uns jene trüben Tage für Sachsen lebhaft zurückriefen und auch in die Seelen
der Kinder einen Tropfen Wermut kräuselten, dem sich ein Gefühl von Zorn
und ohnmächtiger Erbitterung beimischte.

Jenes Kalenderbild, an das meine Knabenerinnerungen nach der Rückkehr
ins Vaterhaus zuerst wieder anknüpfen, veranlaßt mich zu einigen Bemerkungen,
welche die damalige Auffassung der geschichtlichen Vorgänge scharf charakterisiren.
Man wird sich kaum wundern, wenn ich behaupte, das Volk im ganzen und




Jugenderinnerungen.
von Ernst Willkomm. (Fortsetzung.)
3.

indem sind ganz unbedeutende Begebenheiten in der Regel
von weit größerer Wichtigkeit als die ungeheuersten weltge¬
schichtlichen Vorgänge. Was unmittelbar auf das Gemüt des
Kindes wirkt, was seine Phantasie in irgend welcher Weise be¬
schäftigt, was ihm sinnlich gewissermaßen faßbar nahe tritt,
das prägt sich seinem Gedächtnis unaustilgbar ein. Das dumpfe unterirdische
Drohnen, welches uns die Schlacht bei Bautzen verriet, habe ich nie wieder
vergessen; ich weiß sogar hente noch genau die Stelle anzugeben, wo ich mich
neben dem Vater auf die Erde legte, um dem unterirdischen Rollen zu lauschen.
Die Leipziger Schlachttage und was sich daran knüpfte, weiß ich nur vom
Hörensagen, und sie haben ebensowenig Eindruck auf mich gemacht wie die Ge¬
fangennahme des Königs Friedrich August, die doch in ganz Sachsen allgemeine
Bestürzung erregte und in der Bevölkerung eine recht bittere Stimmung hervor¬
rief. Erst die Rückkehr des Königs aus der Gefangenschaft, die uns eine Ab¬
bildung im Kalender versiimlichte, ward Anlaß zu Fragen und Antworten, welche
uns jene trüben Tage für Sachsen lebhaft zurückriefen und auch in die Seelen
der Kinder einen Tropfen Wermut kräuselten, dem sich ein Gefühl von Zorn
und ohnmächtiger Erbitterung beimischte.

Jenes Kalenderbild, an das meine Knabenerinnerungen nach der Rückkehr
ins Vaterhaus zuerst wieder anknüpfen, veranlaßt mich zu einigen Bemerkungen,
welche die damalige Auffassung der geschichtlichen Vorgänge scharf charakterisiren.
Man wird sich kaum wundern, wenn ich behaupte, das Volk im ganzen und


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[0339] [Abbildung] Jugenderinnerungen. von Ernst Willkomm. (Fortsetzung.) 3. indem sind ganz unbedeutende Begebenheiten in der Regel von weit größerer Wichtigkeit als die ungeheuersten weltge¬ schichtlichen Vorgänge. Was unmittelbar auf das Gemüt des Kindes wirkt, was seine Phantasie in irgend welcher Weise be¬ schäftigt, was ihm sinnlich gewissermaßen faßbar nahe tritt, das prägt sich seinem Gedächtnis unaustilgbar ein. Das dumpfe unterirdische Drohnen, welches uns die Schlacht bei Bautzen verriet, habe ich nie wieder vergessen; ich weiß sogar hente noch genau die Stelle anzugeben, wo ich mich neben dem Vater auf die Erde legte, um dem unterirdischen Rollen zu lauschen. Die Leipziger Schlachttage und was sich daran knüpfte, weiß ich nur vom Hörensagen, und sie haben ebensowenig Eindruck auf mich gemacht wie die Ge¬ fangennahme des Königs Friedrich August, die doch in ganz Sachsen allgemeine Bestürzung erregte und in der Bevölkerung eine recht bittere Stimmung hervor¬ rief. Erst die Rückkehr des Königs aus der Gefangenschaft, die uns eine Ab¬ bildung im Kalender versiimlichte, ward Anlaß zu Fragen und Antworten, welche uns jene trüben Tage für Sachsen lebhaft zurückriefen und auch in die Seelen der Kinder einen Tropfen Wermut kräuselten, dem sich ein Gefühl von Zorn und ohnmächtiger Erbitterung beimischte. Jenes Kalenderbild, an das meine Knabenerinnerungen nach der Rückkehr ins Vaterhaus zuerst wieder anknüpfen, veranlaßt mich zu einigen Bemerkungen, welche die damalige Auffassung der geschichtlichen Vorgänge scharf charakterisiren. Man wird sich kaum wundern, wenn ich behaupte, das Volk im ganzen und

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200104/339>, abgerufen am 29.06.2024.