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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr.

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Die heilige Magdalena von Witscht.

gekauft; nun begann ein Graben, Schaufeln, Wühlen, Kcirrnen, dann ein Mauern.
Noch nie hatte Witscht eine solche Menge Volkes an einem Werke vereinigt ge¬
sehen. Und alles waren Fremde und keine bezahlten Arbeiter, sondern nur
freiwillige Gläubige. Alle süddeutschen Sprachen und Nationalitäten waren
vertreten: Franken, Pfälzer, Schwaben, Allemanncn. Es war ein solches
Sprachen-, wenigstens Dialektdurcheinander, daß man kein protestantischer Pastor
von Schilligstadt zu sein brauchte, um versucht zu werden, eine Anspielung auf
den babylonischen Turmbau zu machen. Auch war es die sprachliche Seite nicht
allein, welche dazu anreizen konnte. Das Interesse an der heiligen Madlene,
welches in Witscht mit der Zeit stark abgenommen hatte, wuchs plötzlich wieder
auf. Was wird nun werden? fragte sich Witscht wieder. Man wußte wohl,
daß das neue Zion oder auch das neue Jerusalem gebaut werden sollte. Denn
von der chiliastischen Terminologie hatte sich auch Oschwald nicht frei gemacht.
Nach einem, wie man annehmen darf, vom "Antiquar" gezeichneten und von
diesem als Oschwalds Werk herausgegebnen Plane, der, nebenbei bemerkt, auf¬
fallende Ähnlichkeit mit den Phalcmsterien des Saintsimonistischen Philosophen
Charles Fourier hatte, sollte die Stadt Gottes gebaut werden, zunächst aber
die Burg. Doch mit diesen Wörtern verbanden die guten Leute von Witscht
keine Vorstellungen und mußten sich einstweilen begnügen, Stein auf Stein fügen
zu sehen. Schon war der Bau in seinem Hauptkörper äußerlich so weit vor¬
geschritten, daß man die innerliche Ausschmückung und Ausstattung beginnen
konnte. Da sah Witscht Seltsamkeiten, die seine Bewohner mehr als alles da¬
gewesene in Erstaunen setzte. Elefanten, Affen, Kamele, Waschbären, selbst
eine Art Nhinvzerosse hatten die Witschtcr, die sich dreier Jahrmärkte erfreuen,
schon gesehen, aber noch keine Münchner Maler. Besonders so geniale wie die,
welche jetzt durch Vermittlung des "Antiquars" nach Witscht berufen waren,
um die Burg Zion, vulgo das Heilige-Madlene-Schlößle, mit heiligen Historien
auszumalen. Die Madlenenherrlichkeit war auf ihrem Gipfel.


6.

In der gleichen Zeit spann eine andre Frau, die gewiß nicht weniger fromm
war und kaum eines geringern Heiligkeitsruses sich erfreute, ebenso kühne und
große wie phantastische Weltplane, die merkwürdigerweise mit den Tausendjährigcn-
Reichsideen der heiligen Madlene von Witscht im wesentlichen auf eins hinaus¬
liefen. Dort wie hier handelte es sich um die kreuzritterliche Eroberung Europas,
zunächst des protestantischen durch einen katholischen Weltherrscher, mit dem
Titel eines Kaisers, der Wiederherstellung der höchste" Weltherrlichkeit des
Papstes und der Gründung eiuer neuen Ordnung der Dinge in der Welt, die
darin bestand, daß wieder Papst und Kaiser die Völker beherrschen und so die
zweipolige Achse bilden sollten, um welche die Welt sich drehen müßte. Das


Die heilige Magdalena von Witscht.

gekauft; nun begann ein Graben, Schaufeln, Wühlen, Kcirrnen, dann ein Mauern.
Noch nie hatte Witscht eine solche Menge Volkes an einem Werke vereinigt ge¬
sehen. Und alles waren Fremde und keine bezahlten Arbeiter, sondern nur
freiwillige Gläubige. Alle süddeutschen Sprachen und Nationalitäten waren
vertreten: Franken, Pfälzer, Schwaben, Allemanncn. Es war ein solches
Sprachen-, wenigstens Dialektdurcheinander, daß man kein protestantischer Pastor
von Schilligstadt zu sein brauchte, um versucht zu werden, eine Anspielung auf
den babylonischen Turmbau zu machen. Auch war es die sprachliche Seite nicht
allein, welche dazu anreizen konnte. Das Interesse an der heiligen Madlene,
welches in Witscht mit der Zeit stark abgenommen hatte, wuchs plötzlich wieder
auf. Was wird nun werden? fragte sich Witscht wieder. Man wußte wohl,
daß das neue Zion oder auch das neue Jerusalem gebaut werden sollte. Denn
von der chiliastischen Terminologie hatte sich auch Oschwald nicht frei gemacht.
Nach einem, wie man annehmen darf, vom „Antiquar" gezeichneten und von
diesem als Oschwalds Werk herausgegebnen Plane, der, nebenbei bemerkt, auf¬
fallende Ähnlichkeit mit den Phalcmsterien des Saintsimonistischen Philosophen
Charles Fourier hatte, sollte die Stadt Gottes gebaut werden, zunächst aber
die Burg. Doch mit diesen Wörtern verbanden die guten Leute von Witscht
keine Vorstellungen und mußten sich einstweilen begnügen, Stein auf Stein fügen
zu sehen. Schon war der Bau in seinem Hauptkörper äußerlich so weit vor¬
geschritten, daß man die innerliche Ausschmückung und Ausstattung beginnen
konnte. Da sah Witscht Seltsamkeiten, die seine Bewohner mehr als alles da¬
gewesene in Erstaunen setzte. Elefanten, Affen, Kamele, Waschbären, selbst
eine Art Nhinvzerosse hatten die Witschtcr, die sich dreier Jahrmärkte erfreuen,
schon gesehen, aber noch keine Münchner Maler. Besonders so geniale wie die,
welche jetzt durch Vermittlung des „Antiquars" nach Witscht berufen waren,
um die Burg Zion, vulgo das Heilige-Madlene-Schlößle, mit heiligen Historien
auszumalen. Die Madlenenherrlichkeit war auf ihrem Gipfel.


6.

In der gleichen Zeit spann eine andre Frau, die gewiß nicht weniger fromm
war und kaum eines geringern Heiligkeitsruses sich erfreute, ebenso kühne und
große wie phantastische Weltplane, die merkwürdigerweise mit den Tausendjährigcn-
Reichsideen der heiligen Madlene von Witscht im wesentlichen auf eins hinaus¬
liefen. Dort wie hier handelte es sich um die kreuzritterliche Eroberung Europas,
zunächst des protestantischen durch einen katholischen Weltherrscher, mit dem
Titel eines Kaisers, der Wiederherstellung der höchste» Weltherrlichkeit des
Papstes und der Gründung eiuer neuen Ordnung der Dinge in der Welt, die
darin bestand, daß wieder Papst und Kaiser die Völker beherrschen und so die
zweipolige Achse bilden sollten, um welche die Welt sich drehen müßte. Das


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200104/147>, abgerufen am 22.12.2024.