Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal.Aus der Chronik derer von Riffelshausen. Erzählung in zwei Büchern von Margarethe von Bülow. (Fortsetzung,) Aebeuunddreißigstes Aapitel. in Sonntcig Morgen rückten die erwarteten Trübenscer ein, Als Pfarrer Goldner auf die Kanzel stieg, warf er einen Seitenblick auf Er entäußerte sich dieser Jercmiaden mit großem Eifer und machte da¬ Die Bauern machten mürrische Gesichter. Sie meinten, der Herr Pfarrer Das Schimpfen abgerechnet, sprach Goldner mehr pathetisch als klar. Die GrenzbotmIV. 1886. 62
Aus der Chronik derer von Riffelshausen. Erzählung in zwei Büchern von Margarethe von Bülow. (Fortsetzung,) Aebeuunddreißigstes Aapitel. in Sonntcig Morgen rückten die erwarteten Trübenscer ein, Als Pfarrer Goldner auf die Kanzel stieg, warf er einen Seitenblick auf Er entäußerte sich dieser Jercmiaden mit großem Eifer und machte da¬ Die Bauern machten mürrische Gesichter. Sie meinten, der Herr Pfarrer Das Schimpfen abgerechnet, sprach Goldner mehr pathetisch als klar. Die GrenzbotmIV. 1886. 62
<TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0497" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/199851"/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> </div> <div n="1"> <head> Aus der Chronik derer von Riffelshausen.<lb/><note type="byline"> Erzählung in zwei Büchern von Margarethe von Bülow.</note> (Fortsetzung,) </head><lb/> <div n="2"> <head> Aebeuunddreißigstes Aapitel.</head><lb/> <p xml:id="ID_2087"> in Sonntcig Morgen rückten die erwarteten Trübenscer ein,<lb/> nämlich Frau von Schcfflingcn mit Sohn und Tochter. Frau<lb/> von Schefflingen ließ besonders über Baron Georg die Sonne<lb/> ihrer Gnade leuchten. Sie kommen nicht zu uns, sagte sie fast<lb/> schelmisch, wenn man also einmal mit Ihnen sprechen will, muß<lb/> man sich selbst auf den Weg machen, das wissen wir schon. Georg<lb/> fühlte sich natürlich außerordentlich geehrt, und die Nachbarn unterhielten sich<lb/> so lebhaft, daß man fast den rechten Zeitpunkt zum Kirchgang versäumte, und<lb/> auch wirklich erst in der Kirche anlangte, nachdem die fromme Gemeinde bereits<lb/> ein zwölfversiges Lied über die Tugend und den gottseliger Wandel abge¬<lb/> sungen hatte.</p><lb/> <p xml:id="ID_2088"> Als Pfarrer Goldner auf die Kanzel stieg, warf er einen Seitenblick auf<lb/> den herrschaftlichen Kirchenstuhl und nahm, da er mit der Besetzung zufrieden<lb/> war, keine weitere Notiz von den Gästen, sondern jammerte nach Herzens¬<lb/> bedürfnis über das neunzehnte Jahrhundert und die Verdorbenheit des jetzigen<lb/> Geschlechtes, insonderheit über die Sozialdemokraten, die in allen Schichten der<lb/> Gesellschaft wühlten.</p><lb/> <p xml:id="ID_2089"> Er entäußerte sich dieser Jercmiaden mit großem Eifer und machte da¬<lb/> zwischen kurze Pausen, in welchen er aus dem Hintergrunde seines im Rokoko-<lb/> geschmack verzierten Kauzelgchäuses die Versammlung zerschmetternd ansah.</p><lb/> <p xml:id="ID_2090"> Die Bauern machten mürrische Gesichter. Sie meinten, der Herr Pfarrer<lb/> Schimpfe immer, und glaubten unter dem immer wieder angeklagten neunzehnten<lb/> Jahrhundert mir sich selber verstehen zu müssen. Darum konnten sie auch den<lb/> armen, sorgengepeinigtcn Pfarrherrn nicht leiden.</p><lb/> <p xml:id="ID_2091" next="#ID_2092"> Das Schimpfen abgerechnet, sprach Goldner mehr pathetisch als klar. Die<lb/> Gedanken, die er zu Tage förderte, waren häufig paradox, und es gehörte</p><lb/> <fw type="sig" place="bottom"> GrenzbotmIV. 1886. 62</fw><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0497]
Aus der Chronik derer von Riffelshausen.
Erzählung in zwei Büchern von Margarethe von Bülow. (Fortsetzung,)
Aebeuunddreißigstes Aapitel.
in Sonntcig Morgen rückten die erwarteten Trübenscer ein,
nämlich Frau von Schcfflingcn mit Sohn und Tochter. Frau
von Schefflingen ließ besonders über Baron Georg die Sonne
ihrer Gnade leuchten. Sie kommen nicht zu uns, sagte sie fast
schelmisch, wenn man also einmal mit Ihnen sprechen will, muß
man sich selbst auf den Weg machen, das wissen wir schon. Georg
fühlte sich natürlich außerordentlich geehrt, und die Nachbarn unterhielten sich
so lebhaft, daß man fast den rechten Zeitpunkt zum Kirchgang versäumte, und
auch wirklich erst in der Kirche anlangte, nachdem die fromme Gemeinde bereits
ein zwölfversiges Lied über die Tugend und den gottseliger Wandel abge¬
sungen hatte.
Als Pfarrer Goldner auf die Kanzel stieg, warf er einen Seitenblick auf
den herrschaftlichen Kirchenstuhl und nahm, da er mit der Besetzung zufrieden
war, keine weitere Notiz von den Gästen, sondern jammerte nach Herzens¬
bedürfnis über das neunzehnte Jahrhundert und die Verdorbenheit des jetzigen
Geschlechtes, insonderheit über die Sozialdemokraten, die in allen Schichten der
Gesellschaft wühlten.
Er entäußerte sich dieser Jercmiaden mit großem Eifer und machte da¬
zwischen kurze Pausen, in welchen er aus dem Hintergrunde seines im Rokoko-
geschmack verzierten Kauzelgchäuses die Versammlung zerschmetternd ansah.
Die Bauern machten mürrische Gesichter. Sie meinten, der Herr Pfarrer
Schimpfe immer, und glaubten unter dem immer wieder angeklagten neunzehnten
Jahrhundert mir sich selber verstehen zu müssen. Darum konnten sie auch den
armen, sorgengepeinigtcn Pfarrherrn nicht leiden.
Das Schimpfen abgerechnet, sprach Goldner mehr pathetisch als klar. Die
Gedanken, die er zu Tage förderte, waren häufig paradox, und es gehörte
GrenzbotmIV. 1886. 62
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |