Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal.Der Gid vor Gericht. n einem "Die Meineidpest" überschriebenen Aufsatze, welchen Ur. 34 Zur Grundlage seiner Ausführung nimmt der Verfasser die von ihm als Gleichwohl kann man es der nun einmal vorliegenden Thatsache gegenüber, Der Gid vor Gericht. n einem „Die Meineidpest" überschriebenen Aufsatze, welchen Ur. 34 Zur Grundlage seiner Ausführung nimmt der Verfasser die von ihm als Gleichwohl kann man es der nun einmal vorliegenden Thatsache gegenüber, <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0015" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/199369"/> </div> <div n="1"> <head> Der Gid vor Gericht.</head><lb/> <p xml:id="ID_13"> n einem „Die Meineidpest" überschriebenen Aufsatze, welchen Ur. 34<lb/> und 35 dieser Zeitschrift gebracht haben, ist die Frage erörtert<lb/> worden, ob nicht durch die Art und Weise, wie man zur Zeit<lb/> von dem Eive bei Gericht Gebrauch macht, der Meineid wesentlich<lb/> gefordert werde. Der Verfasser jenes Aufsatzes glaubt diese Frage<lb/> bejahen zu müssen und gelangt dahin, daß den bestehenden gesetzlichen Vorschriften<lb/> gegenüber mehrfache Abänderungen sich empfehlen.</p><lb/> <p xml:id="ID_14"> Zur Grundlage seiner Ausführung nimmt der Verfasser die von ihm als<lb/> feststehend angesehene Thatsache, daß das Verbrechen des Meineids erheblich<lb/> zugenommen habe. Es ist das eine Frage, die schon längere Zeit die öffentliche<lb/> Meinung beschäftigt hat. Unzweifelhaft ist, daß im Laufe der letzten Jahrzehnte<lb/> die Verurteilungen wegen Meineids häufiger geworden sind. Und diese häufigen<lb/> Verurteilungen haben anch die natürliche Folge gehabt, daß weit öfter Anzeigen<lb/> wegen Meineids an die Strafbehörden gelangen. Hat eine Partei ihren Prozeß<lb/> in allen Instanzen verloren, so betrachtet sie es gewissermaßen als ihr letztes<lb/> Rechtsmittel, daß sie den Gegner wegen „Meineids" zur Anzeige bringt und<lb/> dadurch ihren Prozeß noch zu gewinnen hofft. Natürlich fährt sie in un¬<lb/> zähligen Fällen ab. Aber jede dieser Anzeigen vermehrt doch wieder die Zahl<lb/> der wegen Meineids eingeleiteten Untersuchungen. Die Frage nun, ob die<lb/> heute vorkommenden häufigen Verurteilungen wegen Meineids und die sich<lb/> daran anknüpfenden noch häufigeren Anzeigen eine Folge davon seien, daß<lb/> wirklich heute mehr Meineide geschworen werden, oder nur davon, daß heute<lb/> der Beweis des Meineids viel leichter angenommen wird als früher, das ist<lb/> eine Frage, die schwer zu beantworten ist. Der Verfasser dieses Aufsatzes, der<lb/> mit seinen persönlichen Erinnerungen auf eine lange Reihe von Jahren zurück¬<lb/> blickt, in welchen noch ein Strafprozeß in Übung war, der es mit dem Beweis<lb/> des Meineids weit schwerer nahm, kann seine persönliche Überzeugung nur<lb/> dahin aussprechen, daß früher Meineide nicht weniger geschworen wurden als<lb/> jetzt, wenn auch eine Verurteilung wegen dieses Vergehens weit schwieriger zu<lb/> erlangen und deshalb weit seltener war.</p><lb/> <p xml:id="ID_15"> Gleichwohl kann man es der nun einmal vorliegenden Thatsache gegenüber,<lb/> daß viele Meineide geschworen werden, für gerechtfertigt halten, die Frage zu<lb/> stellen: Ließen sich nicht Mittel finden, um diesem Übel zu steuern und auf eine<lb/> größere Heilighaltung des Eides hinzuwirken? Insofern kann man sich mit<lb/> der Tendenz des gedachten Aufsatzes wohl einverstanden erklären.</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0015]
Der Gid vor Gericht.
n einem „Die Meineidpest" überschriebenen Aufsatze, welchen Ur. 34
und 35 dieser Zeitschrift gebracht haben, ist die Frage erörtert
worden, ob nicht durch die Art und Weise, wie man zur Zeit
von dem Eive bei Gericht Gebrauch macht, der Meineid wesentlich
gefordert werde. Der Verfasser jenes Aufsatzes glaubt diese Frage
bejahen zu müssen und gelangt dahin, daß den bestehenden gesetzlichen Vorschriften
gegenüber mehrfache Abänderungen sich empfehlen.
Zur Grundlage seiner Ausführung nimmt der Verfasser die von ihm als
feststehend angesehene Thatsache, daß das Verbrechen des Meineids erheblich
zugenommen habe. Es ist das eine Frage, die schon längere Zeit die öffentliche
Meinung beschäftigt hat. Unzweifelhaft ist, daß im Laufe der letzten Jahrzehnte
die Verurteilungen wegen Meineids häufiger geworden sind. Und diese häufigen
Verurteilungen haben anch die natürliche Folge gehabt, daß weit öfter Anzeigen
wegen Meineids an die Strafbehörden gelangen. Hat eine Partei ihren Prozeß
in allen Instanzen verloren, so betrachtet sie es gewissermaßen als ihr letztes
Rechtsmittel, daß sie den Gegner wegen „Meineids" zur Anzeige bringt und
dadurch ihren Prozeß noch zu gewinnen hofft. Natürlich fährt sie in un¬
zähligen Fällen ab. Aber jede dieser Anzeigen vermehrt doch wieder die Zahl
der wegen Meineids eingeleiteten Untersuchungen. Die Frage nun, ob die
heute vorkommenden häufigen Verurteilungen wegen Meineids und die sich
daran anknüpfenden noch häufigeren Anzeigen eine Folge davon seien, daß
wirklich heute mehr Meineide geschworen werden, oder nur davon, daß heute
der Beweis des Meineids viel leichter angenommen wird als früher, das ist
eine Frage, die schwer zu beantworten ist. Der Verfasser dieses Aufsatzes, der
mit seinen persönlichen Erinnerungen auf eine lange Reihe von Jahren zurück¬
blickt, in welchen noch ein Strafprozeß in Übung war, der es mit dem Beweis
des Meineids weit schwerer nahm, kann seine persönliche Überzeugung nur
dahin aussprechen, daß früher Meineide nicht weniger geschworen wurden als
jetzt, wenn auch eine Verurteilung wegen dieses Vergehens weit schwieriger zu
erlangen und deshalb weit seltener war.
Gleichwohl kann man es der nun einmal vorliegenden Thatsache gegenüber,
daß viele Meineide geschworen werden, für gerechtfertigt halten, die Frage zu
stellen: Ließen sich nicht Mittel finden, um diesem Übel zu steuern und auf eine
größere Heilighaltung des Eides hinzuwirken? Insofern kann man sich mit
der Tendenz des gedachten Aufsatzes wohl einverstanden erklären.
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