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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal.

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Zur Verhandlung über das Sozialistengesetz.

beiden, was durch die Erklärung Bernaerts versprochen ist, ferner volkswirt¬
schaftliche Reformen, Schutz der Arbeit vor Ausbeutung durch das Kapital,
was in dieser Allgemeinheit möglich und gerecht, aber auch unmöglich und un¬
gerecht sein kaun, Kreditorganisation, Übernahme der Bergwerke durch den Staat,
was den Manchesternen ein Greuel sei" wird, Revision des Steuersystems,
endlich das allgemeine Wahlrecht, "Wenn die Negierung und die herrschenden
Kapitalisten, heißt es dann weiter, die Abstellung unsrer gerechten Beschwerden
verweigern und fortfahren, den Arbeiter als Paria zu behandeln, hat dieser
dann nicht das Recht, zu einem allgemeinen Streik seine Zuflucht zu nehmen?
Das Recht zur Koalition und Arbeitseinstellung besteht, und wir sind befugt,
es auf alle Industrien des Landes auszudehnen. Jedenfalls ist für die Arbeiter
die Stunde gekommen, zu zeigen, daß sie es fatt haben, sich als Lasttiere und
Kanonenfutter gebrauchen zu lassen," Der letzte Satz ist Phrase. Die Aus¬
dehnung des Streiks über alle Industrien Belgiens ist gesetzlich nicht verwehrt,
wird aber ohne Zwang nicht durchzusetzen sein, und Zwang kann selbstverständlich
nicht gestattet werden. Wir meinen, der Musterstaat Belgien wird am besten
thun, sich das deutsche Reich zum Muster zu nehmen und recht bald mit Ver¬
suchen zu beginnen, seine Arbeiter nach dem Beispiele der Bismarckschen Re¬
formen besser zu stellen. Sonst wird er über kurz oder lang wieder eine Gefahr
für die Nachbarn sein und vielleicht einmal als solche behandelt werden müssen.




Zur Verhandlung über das ^ozialistengesetz.

l
e große Schlacht im Reichstage über das Sozialistengesetz ist
geschlagen. Die gesunde Vernunft hat schließlich doch wieder
gesiegt; das Gesetz ist nach dreitägiger Verhandlung mit erheb¬
licher Mehrheit, die durch Zutritt eines Teils des Zentrums
sich bildete, angenommen worden. Die Vertreter der Sozial-
demvkmtie tobten und wüteten; zahlreiche Ordnungsrufe fielen auf ihre Häupter.
Herr Bebel ließ sich sogar hinreißen, den Königsmord anzupreisen für den
Fall, daß bei uns ähnliche Zustände wie in Rußland entstehen würden. Der
Reichskanzler beleuchtete in seiner am zweiten Tage gehaltenen Rede die damit
offen eingestandenen Ziele dieser Partei. Aber weder diese Äußerung des sozial-
demokratischen Führers noch alles übrige, was aus seinem und seiner Genossen
Munde kam, konnte uns überraschen. Es sind ja nur Konsequenzen ihrer
Lehren. Die Krone der Verhandlung gebührt in unsern Augen nicht ihnen,


Zur Verhandlung über das Sozialistengesetz.

beiden, was durch die Erklärung Bernaerts versprochen ist, ferner volkswirt¬
schaftliche Reformen, Schutz der Arbeit vor Ausbeutung durch das Kapital,
was in dieser Allgemeinheit möglich und gerecht, aber auch unmöglich und un¬
gerecht sein kaun, Kreditorganisation, Übernahme der Bergwerke durch den Staat,
was den Manchesternen ein Greuel sei» wird, Revision des Steuersystems,
endlich das allgemeine Wahlrecht, „Wenn die Negierung und die herrschenden
Kapitalisten, heißt es dann weiter, die Abstellung unsrer gerechten Beschwerden
verweigern und fortfahren, den Arbeiter als Paria zu behandeln, hat dieser
dann nicht das Recht, zu einem allgemeinen Streik seine Zuflucht zu nehmen?
Das Recht zur Koalition und Arbeitseinstellung besteht, und wir sind befugt,
es auf alle Industrien des Landes auszudehnen. Jedenfalls ist für die Arbeiter
die Stunde gekommen, zu zeigen, daß sie es fatt haben, sich als Lasttiere und
Kanonenfutter gebrauchen zu lassen," Der letzte Satz ist Phrase. Die Aus¬
dehnung des Streiks über alle Industrien Belgiens ist gesetzlich nicht verwehrt,
wird aber ohne Zwang nicht durchzusetzen sein, und Zwang kann selbstverständlich
nicht gestattet werden. Wir meinen, der Musterstaat Belgien wird am besten
thun, sich das deutsche Reich zum Muster zu nehmen und recht bald mit Ver¬
suchen zu beginnen, seine Arbeiter nach dem Beispiele der Bismarckschen Re¬
formen besser zu stellen. Sonst wird er über kurz oder lang wieder eine Gefahr
für die Nachbarn sein und vielleicht einmal als solche behandelt werden müssen.




Zur Verhandlung über das ^ozialistengesetz.

l
e große Schlacht im Reichstage über das Sozialistengesetz ist
geschlagen. Die gesunde Vernunft hat schließlich doch wieder
gesiegt; das Gesetz ist nach dreitägiger Verhandlung mit erheb¬
licher Mehrheit, die durch Zutritt eines Teils des Zentrums
sich bildete, angenommen worden. Die Vertreter der Sozial-
demvkmtie tobten und wüteten; zahlreiche Ordnungsrufe fielen auf ihre Häupter.
Herr Bebel ließ sich sogar hinreißen, den Königsmord anzupreisen für den
Fall, daß bei uns ähnliche Zustände wie in Rußland entstehen würden. Der
Reichskanzler beleuchtete in seiner am zweiten Tage gehaltenen Rede die damit
offen eingestandenen Ziele dieser Partei. Aber weder diese Äußerung des sozial-
demokratischen Führers noch alles übrige, was aus seinem und seiner Genossen
Munde kam, konnte uns überraschen. Es sind ja nur Konsequenzen ihrer
Lehren. Die Krone der Verhandlung gebührt in unsern Augen nicht ihnen,


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[0090] Zur Verhandlung über das Sozialistengesetz. beiden, was durch die Erklärung Bernaerts versprochen ist, ferner volkswirt¬ schaftliche Reformen, Schutz der Arbeit vor Ausbeutung durch das Kapital, was in dieser Allgemeinheit möglich und gerecht, aber auch unmöglich und un¬ gerecht sein kaun, Kreditorganisation, Übernahme der Bergwerke durch den Staat, was den Manchesternen ein Greuel sei» wird, Revision des Steuersystems, endlich das allgemeine Wahlrecht, „Wenn die Negierung und die herrschenden Kapitalisten, heißt es dann weiter, die Abstellung unsrer gerechten Beschwerden verweigern und fortfahren, den Arbeiter als Paria zu behandeln, hat dieser dann nicht das Recht, zu einem allgemeinen Streik seine Zuflucht zu nehmen? Das Recht zur Koalition und Arbeitseinstellung besteht, und wir sind befugt, es auf alle Industrien des Landes auszudehnen. Jedenfalls ist für die Arbeiter die Stunde gekommen, zu zeigen, daß sie es fatt haben, sich als Lasttiere und Kanonenfutter gebrauchen zu lassen," Der letzte Satz ist Phrase. Die Aus¬ dehnung des Streiks über alle Industrien Belgiens ist gesetzlich nicht verwehrt, wird aber ohne Zwang nicht durchzusetzen sein, und Zwang kann selbstverständlich nicht gestattet werden. Wir meinen, der Musterstaat Belgien wird am besten thun, sich das deutsche Reich zum Muster zu nehmen und recht bald mit Ver¬ suchen zu beginnen, seine Arbeiter nach dem Beispiele der Bismarckschen Re¬ formen besser zu stellen. Sonst wird er über kurz oder lang wieder eine Gefahr für die Nachbarn sein und vielleicht einmal als solche behandelt werden müssen. Zur Verhandlung über das ^ozialistengesetz. l e große Schlacht im Reichstage über das Sozialistengesetz ist geschlagen. Die gesunde Vernunft hat schließlich doch wieder gesiegt; das Gesetz ist nach dreitägiger Verhandlung mit erheb¬ licher Mehrheit, die durch Zutritt eines Teils des Zentrums sich bildete, angenommen worden. Die Vertreter der Sozial- demvkmtie tobten und wüteten; zahlreiche Ordnungsrufe fielen auf ihre Häupter. Herr Bebel ließ sich sogar hinreißen, den Königsmord anzupreisen für den Fall, daß bei uns ähnliche Zustände wie in Rußland entstehen würden. Der Reichskanzler beleuchtete in seiner am zweiten Tage gehaltenen Rede die damit offen eingestandenen Ziele dieser Partei. Aber weder diese Äußerung des sozial- demokratischen Führers noch alles übrige, was aus seinem und seiner Genossen Munde kam, konnte uns überraschen. Es sind ja nur Konsequenzen ihrer Lehren. Die Krone der Verhandlung gebührt in unsern Augen nicht ihnen,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198065/90>, abgerufen am 27.12.2024.