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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal.

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Unsre Ariegervereine.

auf Schritt und Tritt die Wirkungen der Vernachlässigung der modernen Sprachen,
insbesondre des nachlässigen Unterrichts in der deutschen Sprache." "Ähnlich skan¬
dalös wie im Lateinischen -- berichtet der Kommissär von Debreczin und Hodmezö-
Vasarhely -- war die Unbewandertheit auch in der deutschen Sprache. Es scheint,
als verfolge die öffentliche Meinung diese am meisten."

Die Folgen von cilledem lassen nicht auf sich warten. Als Rückschlag
gegen die Magyarisirung entsteht eine solche Fülle von Erbitterung in den nicht¬
magyarischen Nationalitäten, daß ein friedliches Zusammenleben, ein einträchtiges
Zusammenarbeiten für gemeinsames Wohl, für die Segnungen der Bildung und
Gesittung sich beinahe in keinem Teil Ungarns mehr findet. Dahin hat der
neue Staatsgrundsatz geführt, daß man sich immer mehr entfernt hat von den
alten Grundlagen des ungarischen Staates, dem auch Deal noch seiner Zeit Aus¬
druck gegeben hat: deu andern Nationalitäten in Ungarn die Verhältnisse lieb
machen. Welch ein erschütterndes Bild hat gerade die Verwaltungsdebatte des
ungarischen Reichstages kürzlich geboten: überall wittern die Magyaren Ver¬
schwörung, überall läßt sich die wachsende Unzufriedenheit nicht mehr leugnen.
Aber statt umzukehren vou der verfehlten Bahn der Unterdrückung, steifen sie
sich auf das alte unheilvolle Wort: 0äurwt, nimm inötug-ut. Aber auch im
alten Nöttierreiche hat das Wort zu keinem guten Ende geführt.




Unsre Kriegervereine,

meer der Hand ist eine Sache groß und einflußreich geworden, die
anfangs wenig beachtet wurde: die deutschen Kriegervereine. Sie
bilden eine jener Nachwirkungen des deutsch-französischen Krieges,
die wir heute noch als "Nebenwirkungen" betrachten, die sich aber
in Zukunft vielleicht als bedeutsam und tiefgreifend herausstellen
werden, und sind überhaupt ein hochinteressantes Beispiel der Wege, welche
eine in den Gemütern vor sich gehende Umstimmung oder ein Entstehen gewisser
Gedankengänge annimmt, um diese neuen Ideen allmählich in weiten Kreisen
eines Volkes zur Herrschaft zu bringen. Der Bastiat, welcher über die Vorgänge
im Seelen- und Empfindungsleben der Menschen eine lesenswerte Schrift verfaßt
von dem, "was man sieht und was man nicht sieht," ist noch nicht gesunde";
aber daß sich gegenwärtig in unserm Volke Dinge vollziehen, die man "noch
nicht sieht" und die doch für ein künftiges Geschlecht von der höchsten Wichtigkeit
sein werden, das unterliegt für uns so wenig einem Zweifel, als daß man


Unsre Ariegervereine.

auf Schritt und Tritt die Wirkungen der Vernachlässigung der modernen Sprachen,
insbesondre des nachlässigen Unterrichts in der deutschen Sprache." „Ähnlich skan¬
dalös wie im Lateinischen — berichtet der Kommissär von Debreczin und Hodmezö-
Vasarhely — war die Unbewandertheit auch in der deutschen Sprache. Es scheint,
als verfolge die öffentliche Meinung diese am meisten."

Die Folgen von cilledem lassen nicht auf sich warten. Als Rückschlag
gegen die Magyarisirung entsteht eine solche Fülle von Erbitterung in den nicht¬
magyarischen Nationalitäten, daß ein friedliches Zusammenleben, ein einträchtiges
Zusammenarbeiten für gemeinsames Wohl, für die Segnungen der Bildung und
Gesittung sich beinahe in keinem Teil Ungarns mehr findet. Dahin hat der
neue Staatsgrundsatz geführt, daß man sich immer mehr entfernt hat von den
alten Grundlagen des ungarischen Staates, dem auch Deal noch seiner Zeit Aus¬
druck gegeben hat: deu andern Nationalitäten in Ungarn die Verhältnisse lieb
machen. Welch ein erschütterndes Bild hat gerade die Verwaltungsdebatte des
ungarischen Reichstages kürzlich geboten: überall wittern die Magyaren Ver¬
schwörung, überall läßt sich die wachsende Unzufriedenheit nicht mehr leugnen.
Aber statt umzukehren vou der verfehlten Bahn der Unterdrückung, steifen sie
sich auf das alte unheilvolle Wort: 0äurwt, nimm inötug-ut. Aber auch im
alten Nöttierreiche hat das Wort zu keinem guten Ende geführt.




Unsre Kriegervereine,

meer der Hand ist eine Sache groß und einflußreich geworden, die
anfangs wenig beachtet wurde: die deutschen Kriegervereine. Sie
bilden eine jener Nachwirkungen des deutsch-französischen Krieges,
die wir heute noch als „Nebenwirkungen" betrachten, die sich aber
in Zukunft vielleicht als bedeutsam und tiefgreifend herausstellen
werden, und sind überhaupt ein hochinteressantes Beispiel der Wege, welche
eine in den Gemütern vor sich gehende Umstimmung oder ein Entstehen gewisser
Gedankengänge annimmt, um diese neuen Ideen allmählich in weiten Kreisen
eines Volkes zur Herrschaft zu bringen. Der Bastiat, welcher über die Vorgänge
im Seelen- und Empfindungsleben der Menschen eine lesenswerte Schrift verfaßt
von dem, „was man sieht und was man nicht sieht," ist noch nicht gesunde»;
aber daß sich gegenwärtig in unserm Volke Dinge vollziehen, die man „noch
nicht sieht" und die doch für ein künftiges Geschlecht von der höchsten Wichtigkeit
sein werden, das unterliegt für uns so wenig einem Zweifel, als daß man


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[0066] Unsre Ariegervereine. auf Schritt und Tritt die Wirkungen der Vernachlässigung der modernen Sprachen, insbesondre des nachlässigen Unterrichts in der deutschen Sprache." „Ähnlich skan¬ dalös wie im Lateinischen — berichtet der Kommissär von Debreczin und Hodmezö- Vasarhely — war die Unbewandertheit auch in der deutschen Sprache. Es scheint, als verfolge die öffentliche Meinung diese am meisten." Die Folgen von cilledem lassen nicht auf sich warten. Als Rückschlag gegen die Magyarisirung entsteht eine solche Fülle von Erbitterung in den nicht¬ magyarischen Nationalitäten, daß ein friedliches Zusammenleben, ein einträchtiges Zusammenarbeiten für gemeinsames Wohl, für die Segnungen der Bildung und Gesittung sich beinahe in keinem Teil Ungarns mehr findet. Dahin hat der neue Staatsgrundsatz geführt, daß man sich immer mehr entfernt hat von den alten Grundlagen des ungarischen Staates, dem auch Deal noch seiner Zeit Aus¬ druck gegeben hat: deu andern Nationalitäten in Ungarn die Verhältnisse lieb machen. Welch ein erschütterndes Bild hat gerade die Verwaltungsdebatte des ungarischen Reichstages kürzlich geboten: überall wittern die Magyaren Ver¬ schwörung, überall läßt sich die wachsende Unzufriedenheit nicht mehr leugnen. Aber statt umzukehren vou der verfehlten Bahn der Unterdrückung, steifen sie sich auf das alte unheilvolle Wort: 0äurwt, nimm inötug-ut. Aber auch im alten Nöttierreiche hat das Wort zu keinem guten Ende geführt. Unsre Kriegervereine, meer der Hand ist eine Sache groß und einflußreich geworden, die anfangs wenig beachtet wurde: die deutschen Kriegervereine. Sie bilden eine jener Nachwirkungen des deutsch-französischen Krieges, die wir heute noch als „Nebenwirkungen" betrachten, die sich aber in Zukunft vielleicht als bedeutsam und tiefgreifend herausstellen werden, und sind überhaupt ein hochinteressantes Beispiel der Wege, welche eine in den Gemütern vor sich gehende Umstimmung oder ein Entstehen gewisser Gedankengänge annimmt, um diese neuen Ideen allmählich in weiten Kreisen eines Volkes zur Herrschaft zu bringen. Der Bastiat, welcher über die Vorgänge im Seelen- und Empfindungsleben der Menschen eine lesenswerte Schrift verfaßt von dem, „was man sieht und was man nicht sieht," ist noch nicht gesunde»; aber daß sich gegenwärtig in unserm Volke Dinge vollziehen, die man „noch nicht sieht" und die doch für ein künftiges Geschlecht von der höchsten Wichtigkeit sein werden, das unterliegt für uns so wenig einem Zweifel, als daß man

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198065/66>, abgerufen am 27.12.2024.