Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal.Notizen, oder doch es mit den Schreiern nicht verderben wollen, ein Symptom bleibt es Wahrnehmungen aus Oesterreich. Wahrend eines mehrivöchentlichen Notizen, oder doch es mit den Schreiern nicht verderben wollen, ein Symptom bleibt es Wahrnehmungen aus Oesterreich. Wahrend eines mehrivöchentlichen <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0052" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/198118"/> <fw type="header" place="top"> Notizen,</fw><lb/> <p xml:id="ID_153" prev="#ID_152"> oder doch es mit den Schreiern nicht verderben wollen, ein Symptom bleibt es<lb/> immer.</p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> </div> <div n="2"> <head> Wahrnehmungen aus Oesterreich.</head> <p xml:id="ID_154" next="#ID_155"> Wahrend eines mehrivöchentlichen<lb/> Aufenthaltes in verschiednen Provinzen („Kronländern") Oesterreichs habe ich jede<lb/> Gelegenheit benutzt, mich über die Stimmung der deutscheu Bevölkerung zu unter-<lb/> richten. Die dortigen Verhältnisse zu verstehen, ist ja für uns außerordentlich<lb/> schwer, und was uns darüber die Zeitungen vermitteln, gewöhnlich ganz lückenhaft<lb/> und überdies parteiisch gefärbt. Aber wenn ich bei dem Ueberschreiten der Grenze<lb/> mich meiner Unkenntnis schämte, so bringe ich jetzt den Eindruck mit zurück, daß<lb/> man im Durchschnitt jenseits über Deutschland nicht viel besser unterrichtet ist.<lb/> Sehr häufig begegnete ich der Meinung, daß wir nur auf den günstigen Augen¬<lb/> blick warten, um die früher zum deutschen Bunde gehörigen Teile Oesterreichs mit<lb/> dem Reiche zu vereinigen; besonders scharfsichtige versicherten, wohl zu wissen, daß<lb/> „der Bismarck den Taaffe" nur unterstütze, weil dieser ihm bei seinen Plänen in<lb/> die - Hände arbeite. Der Einwand, daß die Neichsregierung weder die Stärkung<lb/> der katholischen noch der nichtdeutschen Elemente anstreben könne, wollte selten ver¬<lb/> fangen. Den letztem Punkt betreffend hieß es regelmäßig: Preußen werde mit den<lb/> Tschechen, Slowenen u. s. w. schon fertig werden, und was die „Klerikalen" be¬<lb/> treffe, so bildeten diese ja in Oesterreich selbst eine Minderheit, welche nur in<lb/> Betracht komme, solange sie Schutz von oben genieße. Die Redner waren fast<lb/> ausnahmslos Katholiken, gehörten aber zu der großen indifferenten oder freigeistigen<lb/> Mehrheit, welche weder für die Macht des Papsttums und des Klerus, noch für<lb/> die Stellung, welche beide einer protestantischen Regierung gegenüber behaupten,<lb/> das rechte Verständnis zeigen. Männer in reiferen Jahren erklärten sich größten¬<lb/> teils für Gegner der innern Politik Deutschlands, weil dieselbe nicht liberal sei;<lb/> dagegen äußerten mehrere Besorgnisse wegen der Hinneigung der Jngend, sowohl<lb/> der studirenden wie der kaufmännischen ?c., zu Deutschland. Bei solcher Gelegen¬<lb/> heit hörte ich mehrmals die bekannten Klagen über die Abnahme des „Idealismus."<lb/> Das führte naturgemäß zur Besprechung der neuen Schutzwehren gegen das Ein¬<lb/> dringen des deutschen Geistes, der Entfernung „deutsch-nationaler" Bücher ans den<lb/> Schulbibliotheken, der Weigerung, Professoren aus Deutschland zu berufen u. a. in.<lb/> Meine Frage, ob mit Berufenen üble Erfahrungen gemacht worden seien, wurde<lb/> von allen, mit denen ich darüber gesprochen habe, auch festen „schwarzgelben,"<lb/> entschieden verneint. Im Gegenteile wurde einzelnen nachgesagt, dnß sie sich über¬<lb/> eifrig in spezifisch-österreichische Gesinnung hineingearbeitet hätte,:. Darin sei man<lb/> früher viel freierer Anschauung gewesen, noch Graf Thu», ein tschechischer Aristokrat,<lb/> habe den jetzigen Geheimrat Bonitz zur Organisirung des höhern Schulwesens aus<lb/> Preußen berufen, und weder diese noch ähnliche Maßregeln zu bereuen Ursache<lb/> gehabt. Woher denn die angeblichen Sympathien der Jngend mit Deutschland<lb/> stammten? Darauf wurde mir von mehreren Seiten eine Erklärung, welche durch<lb/> meine eignen Wahrnehmungen bestätigt worden ist. Meine Reise fiel in die Zeit<lb/> der aufregenden Eisenbahndebatten im Reichsrate, und in der Besprechung dieser<lb/> Vorgänge und ihrer Veranlassung kam eine Bitterkeit, teilweise ein pessimistischer<lb/> Hohn zu Tage, welche den Unbeteiligten erschrecken mußten. Man erzählte Dinge,<lb/> die ich nicht nacherzählen würde, auch wenn sie vollständig beglaubigt wären. Was<lb/> Wunder, wenn die Jugend, welche noch rascher und lebhafter fühlt, deren Nechts-<lb/> und Wahrhcitsgcfühl noch nicht dnrch das Leben gedämpft ist, noch härter urteilt,<lb/> und zwar nicht allein (wie gewöhnlich die ältern) über die Regierung und deren</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0052]
Notizen,
oder doch es mit den Schreiern nicht verderben wollen, ein Symptom bleibt es
immer.
Wahrnehmungen aus Oesterreich. Wahrend eines mehrivöchentlichen
Aufenthaltes in verschiednen Provinzen („Kronländern") Oesterreichs habe ich jede
Gelegenheit benutzt, mich über die Stimmung der deutscheu Bevölkerung zu unter-
richten. Die dortigen Verhältnisse zu verstehen, ist ja für uns außerordentlich
schwer, und was uns darüber die Zeitungen vermitteln, gewöhnlich ganz lückenhaft
und überdies parteiisch gefärbt. Aber wenn ich bei dem Ueberschreiten der Grenze
mich meiner Unkenntnis schämte, so bringe ich jetzt den Eindruck mit zurück, daß
man im Durchschnitt jenseits über Deutschland nicht viel besser unterrichtet ist.
Sehr häufig begegnete ich der Meinung, daß wir nur auf den günstigen Augen¬
blick warten, um die früher zum deutschen Bunde gehörigen Teile Oesterreichs mit
dem Reiche zu vereinigen; besonders scharfsichtige versicherten, wohl zu wissen, daß
„der Bismarck den Taaffe" nur unterstütze, weil dieser ihm bei seinen Plänen in
die - Hände arbeite. Der Einwand, daß die Neichsregierung weder die Stärkung
der katholischen noch der nichtdeutschen Elemente anstreben könne, wollte selten ver¬
fangen. Den letztem Punkt betreffend hieß es regelmäßig: Preußen werde mit den
Tschechen, Slowenen u. s. w. schon fertig werden, und was die „Klerikalen" be¬
treffe, so bildeten diese ja in Oesterreich selbst eine Minderheit, welche nur in
Betracht komme, solange sie Schutz von oben genieße. Die Redner waren fast
ausnahmslos Katholiken, gehörten aber zu der großen indifferenten oder freigeistigen
Mehrheit, welche weder für die Macht des Papsttums und des Klerus, noch für
die Stellung, welche beide einer protestantischen Regierung gegenüber behaupten,
das rechte Verständnis zeigen. Männer in reiferen Jahren erklärten sich größten¬
teils für Gegner der innern Politik Deutschlands, weil dieselbe nicht liberal sei;
dagegen äußerten mehrere Besorgnisse wegen der Hinneigung der Jngend, sowohl
der studirenden wie der kaufmännischen ?c., zu Deutschland. Bei solcher Gelegen¬
heit hörte ich mehrmals die bekannten Klagen über die Abnahme des „Idealismus."
Das führte naturgemäß zur Besprechung der neuen Schutzwehren gegen das Ein¬
dringen des deutschen Geistes, der Entfernung „deutsch-nationaler" Bücher ans den
Schulbibliotheken, der Weigerung, Professoren aus Deutschland zu berufen u. a. in.
Meine Frage, ob mit Berufenen üble Erfahrungen gemacht worden seien, wurde
von allen, mit denen ich darüber gesprochen habe, auch festen „schwarzgelben,"
entschieden verneint. Im Gegenteile wurde einzelnen nachgesagt, dnß sie sich über¬
eifrig in spezifisch-österreichische Gesinnung hineingearbeitet hätte,:. Darin sei man
früher viel freierer Anschauung gewesen, noch Graf Thu», ein tschechischer Aristokrat,
habe den jetzigen Geheimrat Bonitz zur Organisirung des höhern Schulwesens aus
Preußen berufen, und weder diese noch ähnliche Maßregeln zu bereuen Ursache
gehabt. Woher denn die angeblichen Sympathien der Jngend mit Deutschland
stammten? Darauf wurde mir von mehreren Seiten eine Erklärung, welche durch
meine eignen Wahrnehmungen bestätigt worden ist. Meine Reise fiel in die Zeit
der aufregenden Eisenbahndebatten im Reichsrate, und in der Besprechung dieser
Vorgänge und ihrer Veranlassung kam eine Bitterkeit, teilweise ein pessimistischer
Hohn zu Tage, welche den Unbeteiligten erschrecken mußten. Man erzählte Dinge,
die ich nicht nacherzählen würde, auch wenn sie vollständig beglaubigt wären. Was
Wunder, wenn die Jugend, welche noch rascher und lebhafter fühlt, deren Nechts-
und Wahrhcitsgcfühl noch nicht dnrch das Leben gedämpft ist, noch härter urteilt,
und zwar nicht allein (wie gewöhnlich die ältern) über die Regierung und deren
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