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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal.

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Die Überproduktion.

eher das Darniederliegen unsers Wirtschaftslebens auch auf in¬
dustriellem Gebiete wird heute von den verschiedensten Seiten Klage
geführt. Als Grund dieser traurigen Erscheinung bezeichnet man
in der Regel die "Überproduktion." Von andrer Seite wird dem
entgegengehalten: Wie kann die Überproduktion, d. h. die Erzeugung
von zu viel Gütern, eine wirtschaftliche Niederlage herbeiführen? Leben wir
doch von der Summe der erzeugten Güter; und je mehr Güter wir erzeugen,
umso besser müßten wir leben können. An diese Betrachtung knüpfen manche
dann eine Schlußfolgerung, die wir für eine seltsame Verirrung halten. Sie
meinen nämlich, daß, da die Überproduktion doch nicht der eigentliche Grund
unsrer wirtschaftlichen Leiden sein könne, dieser Grund in etwas anderm, nämlich
in der Einführung der Goldwährung, zu suchen sei. Wir sehen jedoch von dieser
Frage ganz ab. Hier wollen wir nur erörtern, inwiefern die Überproduktion
mit jenen wirtschaftlichen Leiden zusammenhängt. Wir werden sehen, daß die
Überproduktion, d. h. das Vorhandensein vieler zur Zeit unverkäuflichen Waaren,
nur die äußere Erscheinung ist, in welcher die Schwächen unsers Wirtschafts¬
lebens zu Tage treten.

Es ist vollkommen richtig, daß wir von der Summe der Güter leben, die
wir erzeugen. Das Geld spielte dabei nur die Rolle des Vermittlers für
deu Austausch dieser Güter. Hiernach ist es anch grundsätzlich richtig, daß,
je mehr Güter wir erzengen, wir umso besser leben können. Auch ist die
Fähigkeit der menschlichen Gesellschaft, Güter zu gebrauchen und zu verbrauchen,
so groß, daß nicht leicht zu viel Güter für den menschlichen Bedarf geschaffen
werden können. Vorausgesetzt wird dabei freilich, daß die Gütererzeugung ver-


Grenzbotcn II. 1886. 44


Die Überproduktion.

eher das Darniederliegen unsers Wirtschaftslebens auch auf in¬
dustriellem Gebiete wird heute von den verschiedensten Seiten Klage
geführt. Als Grund dieser traurigen Erscheinung bezeichnet man
in der Regel die „Überproduktion." Von andrer Seite wird dem
entgegengehalten: Wie kann die Überproduktion, d. h. die Erzeugung
von zu viel Gütern, eine wirtschaftliche Niederlage herbeiführen? Leben wir
doch von der Summe der erzeugten Güter; und je mehr Güter wir erzeugen,
umso besser müßten wir leben können. An diese Betrachtung knüpfen manche
dann eine Schlußfolgerung, die wir für eine seltsame Verirrung halten. Sie
meinen nämlich, daß, da die Überproduktion doch nicht der eigentliche Grund
unsrer wirtschaftlichen Leiden sein könne, dieser Grund in etwas anderm, nämlich
in der Einführung der Goldwährung, zu suchen sei. Wir sehen jedoch von dieser
Frage ganz ab. Hier wollen wir nur erörtern, inwiefern die Überproduktion
mit jenen wirtschaftlichen Leiden zusammenhängt. Wir werden sehen, daß die
Überproduktion, d. h. das Vorhandensein vieler zur Zeit unverkäuflichen Waaren,
nur die äußere Erscheinung ist, in welcher die Schwächen unsers Wirtschafts¬
lebens zu Tage treten.

Es ist vollkommen richtig, daß wir von der Summe der Güter leben, die
wir erzeugen. Das Geld spielte dabei nur die Rolle des Vermittlers für
deu Austausch dieser Güter. Hiernach ist es anch grundsätzlich richtig, daß,
je mehr Güter wir erzengen, wir umso besser leben können. Auch ist die
Fähigkeit der menschlichen Gesellschaft, Güter zu gebrauchen und zu verbrauchen,
so groß, daß nicht leicht zu viel Güter für den menschlichen Bedarf geschaffen
werden können. Vorausgesetzt wird dabei freilich, daß die Gütererzeugung ver-


Grenzbotcn II. 1886. 44
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[0353] [Abbildung] Die Überproduktion. eher das Darniederliegen unsers Wirtschaftslebens auch auf in¬ dustriellem Gebiete wird heute von den verschiedensten Seiten Klage geführt. Als Grund dieser traurigen Erscheinung bezeichnet man in der Regel die „Überproduktion." Von andrer Seite wird dem entgegengehalten: Wie kann die Überproduktion, d. h. die Erzeugung von zu viel Gütern, eine wirtschaftliche Niederlage herbeiführen? Leben wir doch von der Summe der erzeugten Güter; und je mehr Güter wir erzeugen, umso besser müßten wir leben können. An diese Betrachtung knüpfen manche dann eine Schlußfolgerung, die wir für eine seltsame Verirrung halten. Sie meinen nämlich, daß, da die Überproduktion doch nicht der eigentliche Grund unsrer wirtschaftlichen Leiden sein könne, dieser Grund in etwas anderm, nämlich in der Einführung der Goldwährung, zu suchen sei. Wir sehen jedoch von dieser Frage ganz ab. Hier wollen wir nur erörtern, inwiefern die Überproduktion mit jenen wirtschaftlichen Leiden zusammenhängt. Wir werden sehen, daß die Überproduktion, d. h. das Vorhandensein vieler zur Zeit unverkäuflichen Waaren, nur die äußere Erscheinung ist, in welcher die Schwächen unsers Wirtschafts¬ lebens zu Tage treten. Es ist vollkommen richtig, daß wir von der Summe der Güter leben, die wir erzeugen. Das Geld spielte dabei nur die Rolle des Vermittlers für deu Austausch dieser Güter. Hiernach ist es anch grundsätzlich richtig, daß, je mehr Güter wir erzengen, wir umso besser leben können. Auch ist die Fähigkeit der menschlichen Gesellschaft, Güter zu gebrauchen und zu verbrauchen, so groß, daß nicht leicht zu viel Güter für den menschlichen Bedarf geschaffen werden können. Vorausgesetzt wird dabei freilich, daß die Gütererzeugung ver- Grenzbotcn II. 1886. 44

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198065/353>, abgerufen am 27.12.2024.