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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Viertes Quartal.

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Die beabsichtigten Änderungen und Ergänzungen des Gerichtsverfassungsgesetzes in.

soll hier nicht verteidigt oder gar angepriesen werden. Auf ökonomischem Ge¬
biete, in allen Fragen, wo ein Konflikt von Berufsinteressen zu Tage tritt, würden
die Vertreter der Berufsklassen, getreu ihrem Mandat, für die Sache ihrer
Kommittenten in derselben Weise einzutreten haben, wie dies heute vonseiten der
Vertreter der einzelnen Parteien geschieht. Ein derartiges Verfahren würde
aber nicht ausschließen, daß in der Beratung solcher Angelegenheiten, die von
dem Gewicht materieller Interessen nicht direkt oder nicht überwiegend beein¬
flußt sind, ein höherer Standpunkt eingenommen wird und die Rücksicht auf
das Gemeinwohl, die Nationalehre, die internationale Machtstellung u. s. w. die
Entscheidung bestimmt.

Die Vorzüge, welche die Berufsklasseuwahl mit freier Ausübung des pas¬
siven Wahlrechtes vor dem jetzt geltenden System geographisch abgegrenzter
Wahlgenvssenschaften auszeichnen, werden indessen kaum imstande sein, die Ab¬
schaffung des jetzigen Systems zu rechtfertigen, wenn sich nicht mit dieser Neue¬
rung eine andre, gleichwichtige leicht verbinden ließe.




Die beabsichtigten Änderungen und Ergänzungen
des Gerichtsverfassungsgesetzes und der Strafprozeßordnung.
von Otto Gerland.

nterm 9. Mai d. I. hat der Reichskanzler dem Reichstage den
Entwurf eines Gesetzes, Änderungen und Ergänzungen des Gerichts-
verfassuugsgesetzes und der Strafprozeßordnung betreffend, vor¬
gelegt (Stenographische Berichte, Session 1884/85, Anlage 399).
Dieser Entwurf ist zwar wegen des bald darauf erfolgten Schlusses
des Reichstages nicht mehr zur Erledigung gekommen, wird aber jedenfalls bei
der Dringlichkeit der Sache in gleicher oder veränderter Gestalt den nächstem
Reichstag beschäftigen, und es dürfte deshalb zweckmäßig sein, ihn nach seinem
wesentlichsten Inhalte hier mit einigen Worten zu besprechen.

Die Strafprozeßordnung vom 1. Februar 1877 hat schou bald nach ihrer
Einführung, wie die Begründung des hier besprochnen Entwurfs zugiebt, viel¬
fach eine ungünstige Beurteilung erfahren, ja nicht wenige ihrer Vorschriften
sind sowohl in den .Kreisen der Fachmänner wie in Laienkreisen lebhaft an¬
gefochten worden. Namentlich wurde sehr energisch die Wiedereinführung des


Die beabsichtigten Änderungen und Ergänzungen des Gerichtsverfassungsgesetzes in.

soll hier nicht verteidigt oder gar angepriesen werden. Auf ökonomischem Ge¬
biete, in allen Fragen, wo ein Konflikt von Berufsinteressen zu Tage tritt, würden
die Vertreter der Berufsklassen, getreu ihrem Mandat, für die Sache ihrer
Kommittenten in derselben Weise einzutreten haben, wie dies heute vonseiten der
Vertreter der einzelnen Parteien geschieht. Ein derartiges Verfahren würde
aber nicht ausschließen, daß in der Beratung solcher Angelegenheiten, die von
dem Gewicht materieller Interessen nicht direkt oder nicht überwiegend beein¬
flußt sind, ein höherer Standpunkt eingenommen wird und die Rücksicht auf
das Gemeinwohl, die Nationalehre, die internationale Machtstellung u. s. w. die
Entscheidung bestimmt.

Die Vorzüge, welche die Berufsklasseuwahl mit freier Ausübung des pas¬
siven Wahlrechtes vor dem jetzt geltenden System geographisch abgegrenzter
Wahlgenvssenschaften auszeichnen, werden indessen kaum imstande sein, die Ab¬
schaffung des jetzigen Systems zu rechtfertigen, wenn sich nicht mit dieser Neue¬
rung eine andre, gleichwichtige leicht verbinden ließe.




Die beabsichtigten Änderungen und Ergänzungen
des Gerichtsverfassungsgesetzes und der Strafprozeßordnung.
von Otto Gerland.

nterm 9. Mai d. I. hat der Reichskanzler dem Reichstage den
Entwurf eines Gesetzes, Änderungen und Ergänzungen des Gerichts-
verfassuugsgesetzes und der Strafprozeßordnung betreffend, vor¬
gelegt (Stenographische Berichte, Session 1884/85, Anlage 399).
Dieser Entwurf ist zwar wegen des bald darauf erfolgten Schlusses
des Reichstages nicht mehr zur Erledigung gekommen, wird aber jedenfalls bei
der Dringlichkeit der Sache in gleicher oder veränderter Gestalt den nächstem
Reichstag beschäftigen, und es dürfte deshalb zweckmäßig sein, ihn nach seinem
wesentlichsten Inhalte hier mit einigen Worten zu besprechen.

Die Strafprozeßordnung vom 1. Februar 1877 hat schou bald nach ihrer
Einführung, wie die Begründung des hier besprochnen Entwurfs zugiebt, viel¬
fach eine ungünstige Beurteilung erfahren, ja nicht wenige ihrer Vorschriften
sind sowohl in den .Kreisen der Fachmänner wie in Laienkreisen lebhaft an¬
gefochten worden. Namentlich wurde sehr energisch die Wiedereinführung des


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196733/90>, abgerufen am 15.01.2025.