Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Viertes Quartal.Die proportionale Bernfsklassenroahl. Anspruch erhob, Hütte sie billigerweise den Wahlmodus so präzisiren und be¬ 4. Der moderne Konstitutionalismus, in der Gestalt wie er uns auf dem Seitdem der Sturm der Revolutionen die alten Stände hinweggeräumt Die proportionale Bernfsklassenroahl. Anspruch erhob, Hütte sie billigerweise den Wahlmodus so präzisiren und be¬ 4. Der moderne Konstitutionalismus, in der Gestalt wie er uns auf dem Seitdem der Sturm der Revolutionen die alten Stände hinweggeräumt <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0079" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/196813"/> <fw type="header" place="top"> Die proportionale Bernfsklassenroahl.</fw><lb/> <p xml:id="ID_191" prev="#ID_190"> Anspruch erhob, Hütte sie billigerweise den Wahlmodus so präzisiren und be¬<lb/> grenzen müssen, daß der dem ganzen Institut zu grunde liegende Gedanke auch<lb/> zu vollem und richtigem Ausdruck gelangt. Dies ist bei der thatsächlichen Un¬<lb/> freiheit der Wählerschaft, welche soeben kurz dargelegt worden ist, nicht der Fall.<lb/> Wenn der Staat von seinen Angehörigen verlangt, daß sie sich bei der Mitwirkung<lb/> an gesetzgeberischen Akten durch Bevollmächtigte vertreten lassen, uno gleichzeitig<lb/> von der Voraussetzung ausgeht, daß diese Mandatare des Volkes den Willen<lb/> der Nation in sich repräsentiren, so hat er auch Sorge zu tragen, daß die Er¬<lb/> teilung dieser Vollmacht nicht durch Bedingungen und Einschränkungen derart<lb/> behindert wird, daß eine freie Willensäußerung nicht mehr zustande kommt.<lb/> Der in der Verfassung iinMeits liegenden Forderung, die Neichsregierung durch<lb/> einen brauchbaren Ausschuß in der gesetzgebenden Funktion zu unterstützen —<lb/> dieser Forderung muß auch das Recht der Wähler gegenüberstehen, ihre poli¬<lb/> tische Überzeugung wenigstens proportional durch ihr Votum zur Geltung zu<lb/> bringen.</p><lb/> </div> <div n="2"> <head> 4.</head><lb/> <p xml:id="ID_192"> Der moderne Konstitutionalismus, in der Gestalt wie er uns auf dem<lb/> Wege durch Frankreich aus Nordamerika überkommen ist, erhebt die Gleich¬<lb/> berechtigung aller Staatsbürger zur Teilnahme an der Gesetzgebung zum leitenden<lb/> Prinzip; er geht also von der stillschweigenden Voraussetzung einer gleiche»<lb/> Urteilsfähigkeit dieser Staatsbürger aus. Entspräche diese Annahme den that¬<lb/> sächlichen Verhältnissen, so wäre eine Gliederung der wählenden Massen über¬<lb/> flüssig. Es wäre dann auch die Fiktion zutreffend, daß die gesetzgebende Körper¬<lb/> schaft das Volk in seiner Gesamtheit verträte, und dieser große, die ganze Nation<lb/> umfassende Verband wäre ausreichend für das Auffangen und Gcltendmachen<lb/> aller vereinzelt auftretenden, aber unter sich gleichartige»! Forderungen, Wünsche<lb/> und Impulse. Da nun aber der Unterschied der Bildung, des Lebensalters, der<lb/> Erziehung und Gewohnheit ebenso wie die Ungleichartigst der Begabung und<lb/> Neigung, sowie menschliche Schwäche und Leidenschaft insgesamt dahin wirken,<lb/> Spaltungen in dem politischen Urteil der Volksmasse hervorzurufen, so ist kein<lb/> Grund vorhanden, die natürliche Paarung gleichartiger Interessen und die sich<lb/> daraus ergebende freiwillige Bildung von Mciunngsgruppen zu ignoriren. Unser<lb/> heutiges Repräsentativstem thut dies, und doch ist es durch die Ausdehnung der<lb/> großen Staatsgebiete gezwungen, eine Einteilung der Wählermasse vorzunehmen<lb/> und Wahlkörper zu konstituiren.</p><lb/> <p xml:id="ID_193" next="#ID_194"> Seitdem der Sturm der Revolutionen die alten Stände hinweggeräumt<lb/> hatte und der demokratische Zug des neuen Zeitalters eine andre Klassenbildung<lb/> vereitelte, blieb nichts übrig als die Einteilung der Wahlberechtigte» uach Ma߬<lb/> gabe der Kopfzahl. So entstanden die geographisch abgegrenzten Wahlbezirke.<lb/> Dieselben sind aber weit entfernt, Wahlverbände darzustellen; sie siud nichts<lb/> andres als Kampfgebiete, auf denen der Streit der Meinungen ausgefochten</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0079]
Die proportionale Bernfsklassenroahl.
Anspruch erhob, Hütte sie billigerweise den Wahlmodus so präzisiren und be¬
grenzen müssen, daß der dem ganzen Institut zu grunde liegende Gedanke auch
zu vollem und richtigem Ausdruck gelangt. Dies ist bei der thatsächlichen Un¬
freiheit der Wählerschaft, welche soeben kurz dargelegt worden ist, nicht der Fall.
Wenn der Staat von seinen Angehörigen verlangt, daß sie sich bei der Mitwirkung
an gesetzgeberischen Akten durch Bevollmächtigte vertreten lassen, uno gleichzeitig
von der Voraussetzung ausgeht, daß diese Mandatare des Volkes den Willen
der Nation in sich repräsentiren, so hat er auch Sorge zu tragen, daß die Er¬
teilung dieser Vollmacht nicht durch Bedingungen und Einschränkungen derart
behindert wird, daß eine freie Willensäußerung nicht mehr zustande kommt.
Der in der Verfassung iinMeits liegenden Forderung, die Neichsregierung durch
einen brauchbaren Ausschuß in der gesetzgebenden Funktion zu unterstützen —
dieser Forderung muß auch das Recht der Wähler gegenüberstehen, ihre poli¬
tische Überzeugung wenigstens proportional durch ihr Votum zur Geltung zu
bringen.
4.
Der moderne Konstitutionalismus, in der Gestalt wie er uns auf dem
Wege durch Frankreich aus Nordamerika überkommen ist, erhebt die Gleich¬
berechtigung aller Staatsbürger zur Teilnahme an der Gesetzgebung zum leitenden
Prinzip; er geht also von der stillschweigenden Voraussetzung einer gleiche»
Urteilsfähigkeit dieser Staatsbürger aus. Entspräche diese Annahme den that¬
sächlichen Verhältnissen, so wäre eine Gliederung der wählenden Massen über¬
flüssig. Es wäre dann auch die Fiktion zutreffend, daß die gesetzgebende Körper¬
schaft das Volk in seiner Gesamtheit verträte, und dieser große, die ganze Nation
umfassende Verband wäre ausreichend für das Auffangen und Gcltendmachen
aller vereinzelt auftretenden, aber unter sich gleichartige»! Forderungen, Wünsche
und Impulse. Da nun aber der Unterschied der Bildung, des Lebensalters, der
Erziehung und Gewohnheit ebenso wie die Ungleichartigst der Begabung und
Neigung, sowie menschliche Schwäche und Leidenschaft insgesamt dahin wirken,
Spaltungen in dem politischen Urteil der Volksmasse hervorzurufen, so ist kein
Grund vorhanden, die natürliche Paarung gleichartiger Interessen und die sich
daraus ergebende freiwillige Bildung von Mciunngsgruppen zu ignoriren. Unser
heutiges Repräsentativstem thut dies, und doch ist es durch die Ausdehnung der
großen Staatsgebiete gezwungen, eine Einteilung der Wählermasse vorzunehmen
und Wahlkörper zu konstituiren.
Seitdem der Sturm der Revolutionen die alten Stände hinweggeräumt
hatte und der demokratische Zug des neuen Zeitalters eine andre Klassenbildung
vereitelte, blieb nichts übrig als die Einteilung der Wahlberechtigte» uach Ma߬
gabe der Kopfzahl. So entstanden die geographisch abgegrenzten Wahlbezirke.
Dieselben sind aber weit entfernt, Wahlverbände darzustellen; sie siud nichts
andres als Kampfgebiete, auf denen der Streit der Meinungen ausgefochten
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