Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Viertes Quartal.Freilich, lieber Freund, an und für sich magst dn Recht haben. Aber es Fünftes Aapitel. Am andern Abend schon zu etwas später Stunde trat Harald Stolberg Diese letztere war so gemischt, wie sie nur in irgendeinem guten Berliner Freilich, lieber Freund, an und für sich magst dn Recht haben. Aber es Fünftes Aapitel. Am andern Abend schon zu etwas später Stunde trat Harald Stolberg Diese letztere war so gemischt, wie sie nur in irgendeinem guten Berliner <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0212" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/196946"/> <fw type="header" place="top"/><lb/> <p xml:id="ID_675"> Freilich, lieber Freund, an und für sich magst dn Recht haben. Aber es<lb/> ist doch auch ein Haken dabei; merkst du denn nicht, daß dieses eine rein natura¬<lb/> listische Erziehungsmethode, und Herr Keller der Zola auf dem Gebiete der<lb/> Pädagogik ist. Die Kinder erhalten nur sanfte Speisen, Milch, Brot und Ge¬<lb/> müse. Dadurch soll ihr wildes Blut gleichsam verwässert, verdünnt, reizlos ge¬<lb/> halten und ihre verbrecherische Anschauung durch eine zartere und besänftigendere<lb/> Vlntmischung gemildert werden. Was das für Resultate ergeben wird, weiß<lb/> mau noch nicht. Vorläufig sperrt er sein Asyl gegen jedermann ab, denn er<lb/> will nicht, daß er in der beliebten Berliner Weise von Reportern interviewt,<lb/> gehöhnt und in die Öffentlichkeit gezogen werde. — Doch du lernst ihn ja<lb/> bald kennen. Auf Wiedersehen also morgen!</p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> </div> <div n="2"> <head> Fünftes Aapitel.</head><lb/> <p xml:id="ID_676"> Am andern Abend schon zu etwas später Stunde trat Harald Stolberg<lb/> in den Kcllerschen Salon und war aufs höchste überrascht, eine aus Herren<lb/> und Damen bestehende Gesellschaft von mehr als sechzig Personen zu finden.<lb/> Diese Überraschung verstärkte sich noch, als ihm ein Mädchen mit freundlichem<lb/> Gruße die Hand bot, das aus einem der Prachtbilder des Paolo Veronese,<lb/> wie er sie in dem Dogenpalast zu Venedig mit täglich steigender Bewunderung<lb/> gesehen hatte, herabgestiegen zu sein schien. Es war die Tochter des Hauses.<lb/> Ein prächtiges Sammtkleid von blutroter Farbe ließ uicht nur aufs vorteil¬<lb/> hafteste ihre schönen Formen hervortreten, sondern gab dnrch die Schwere des<lb/> Stoffes und die reichen Falten ihrer Gestalt eine hoheitsvolle, wahrhaft königliche<lb/> Haltung. Auf dem Haupte trug sie ein kleines venezianisches Käppchen von<lb/> gleicher Farbe, unter welchem in aufgelösten Flechten die reichen goldnen Haare<lb/> hervorquollen, die sich bis über den Rücken herab ergossen. Harald war dieser<lb/> märchenhaften Erscheinung gegenüber so geblendet, daß er auch angesichts der<lb/> freundlichen Begrüßung durch deu Hausherrn sich ungeachtet seiner sonstigen<lb/> gesellschaftlichen Übung und Gewandtheit ungeschickt und linkisch vorkam. Aber er<lb/> wurde schnell einigen Dutzend Damen und Herren vorgestellt und sah sich bald<lb/> in den Strudel der Gesellschaft hineingezogen.</p><lb/> <p xml:id="ID_677" next="#ID_678"> Diese letztere war so gemischt, wie sie nur in irgendeinem guten Berliner<lb/> Hause sein konnte. Demgemäß durfte es auch nicht an dem besondern An¬<lb/> ziehungspunkte fehlen, den der Wirt seinen Gästen zu gewähre» sich für verpflichtet<lb/> hielt. Die Sekretäre und Attaches der japanischen und chinesischen Gesandtschaft<lb/> verkehrten schon in zu viel Gesellschaften, besonders der Finanz, als daß man<lb/> noch auf einen besondern Eindruck ihres Erscheinens rechnen konnte. Herr Keller<lb/> hatte es bereits bis zu einem wirklichen Gesandten gebracht. Koryphäe des<lb/> Abends war Herr Zankabioticie, der Gesandte eines dnrch den Berliner Vertrag<lb/> noch nicht anerkannten, halborientalischen Tribntärstaates, welcher, von der</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0212]
Freilich, lieber Freund, an und für sich magst dn Recht haben. Aber es
ist doch auch ein Haken dabei; merkst du denn nicht, daß dieses eine rein natura¬
listische Erziehungsmethode, und Herr Keller der Zola auf dem Gebiete der
Pädagogik ist. Die Kinder erhalten nur sanfte Speisen, Milch, Brot und Ge¬
müse. Dadurch soll ihr wildes Blut gleichsam verwässert, verdünnt, reizlos ge¬
halten und ihre verbrecherische Anschauung durch eine zartere und besänftigendere
Vlntmischung gemildert werden. Was das für Resultate ergeben wird, weiß
mau noch nicht. Vorläufig sperrt er sein Asyl gegen jedermann ab, denn er
will nicht, daß er in der beliebten Berliner Weise von Reportern interviewt,
gehöhnt und in die Öffentlichkeit gezogen werde. — Doch du lernst ihn ja
bald kennen. Auf Wiedersehen also morgen!
Fünftes Aapitel.
Am andern Abend schon zu etwas später Stunde trat Harald Stolberg
in den Kcllerschen Salon und war aufs höchste überrascht, eine aus Herren
und Damen bestehende Gesellschaft von mehr als sechzig Personen zu finden.
Diese Überraschung verstärkte sich noch, als ihm ein Mädchen mit freundlichem
Gruße die Hand bot, das aus einem der Prachtbilder des Paolo Veronese,
wie er sie in dem Dogenpalast zu Venedig mit täglich steigender Bewunderung
gesehen hatte, herabgestiegen zu sein schien. Es war die Tochter des Hauses.
Ein prächtiges Sammtkleid von blutroter Farbe ließ uicht nur aufs vorteil¬
hafteste ihre schönen Formen hervortreten, sondern gab dnrch die Schwere des
Stoffes und die reichen Falten ihrer Gestalt eine hoheitsvolle, wahrhaft königliche
Haltung. Auf dem Haupte trug sie ein kleines venezianisches Käppchen von
gleicher Farbe, unter welchem in aufgelösten Flechten die reichen goldnen Haare
hervorquollen, die sich bis über den Rücken herab ergossen. Harald war dieser
märchenhaften Erscheinung gegenüber so geblendet, daß er auch angesichts der
freundlichen Begrüßung durch deu Hausherrn sich ungeachtet seiner sonstigen
gesellschaftlichen Übung und Gewandtheit ungeschickt und linkisch vorkam. Aber er
wurde schnell einigen Dutzend Damen und Herren vorgestellt und sah sich bald
in den Strudel der Gesellschaft hineingezogen.
Diese letztere war so gemischt, wie sie nur in irgendeinem guten Berliner
Hause sein konnte. Demgemäß durfte es auch nicht an dem besondern An¬
ziehungspunkte fehlen, den der Wirt seinen Gästen zu gewähre» sich für verpflichtet
hielt. Die Sekretäre und Attaches der japanischen und chinesischen Gesandtschaft
verkehrten schon in zu viel Gesellschaften, besonders der Finanz, als daß man
noch auf einen besondern Eindruck ihres Erscheinens rechnen konnte. Herr Keller
hatte es bereits bis zu einem wirklichen Gesandten gebracht. Koryphäe des
Abends war Herr Zankabioticie, der Gesandte eines dnrch den Berliner Vertrag
noch nicht anerkannten, halborientalischen Tribntärstaates, welcher, von der
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