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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Viertes Quartal.

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Die proportionale Bernfsklassenwcchl.

"""vertretener Minoritäten" nicht vollkommen beseitigt, so reduzirt es denselben
eins einen so unbedeutenden Nest, daß sich der Vorschlag seiner Einführung
durchaus rechtfertigt, namentlich aber dann, wenn durch gleichzeitige Zusammen¬
fassung der Wähler zu konstanten berufsständischen Verbänden ein neues Ele¬
ment der Einigung geschaffen und dadurch einem allzugroßen Zerfall der
Mcinuugsgruppen vorgebeugt wird.

Ob das Proportional-Wahlsystem ohne diese zweite tiefeinschneidende
Neuerung zur Einführung geeignet sei, ob der reinen, wenn auch zweifellos
bessern Theorie zuliebe ein Umstürzen des bisherigen, dnrch fünfzehnjährige
Gewohnheit eingebürgerten Wahlapparates schon jetzt anzuraten sei, kann be¬
zweifelt werden. Selbst die Vertreter des Systems erhoffen den Sieg ihrer
Anschauung nicht für die nächste Zukunft. Mancher wird sich fragen, ob die
Vorzüge der Proportioualwahl den Aufwand einer neuen Organisation lohnen.
Dem gegenüber erheischt die berufsständische Gliederung der Wählerschaft eine
so vollständige Umgestaltung des bisherigen Parteiwesens, daß der Einwand,
diese Neuerung sei nicht durchgreifend genug, um die Abschaffung des bisherige,,
Wahlverfahrcns zu rechtfertige!,, hinfällig wird. Ob sie eine Verbesserung dar¬
stellt, ist eine Frage, die vom Parteistandpunkte aus wahrscheinlich sehr ver¬
schiedenartig beantwortet werden wird. Sie mag in den Augen einiger neue
Mängel besitzen; aber es würde dann immer noch die Enscheidnng einzuholen
sein, ob diese Mängel schwerer wiegen als die des frühern Systems. Jeden¬
falls -- und das ist das Hanptargnment ihrer Verteidigung -- schafft die
Proportionale Berufsklassenwahl ganz neue Gruppirungen der Wählerschaft und
beseitigt alle diejenigen Mißstände, welche dem heute geltenden System der
Majoritätswahlen vorgeworfen werden.

Wir wenden uus nun zur Technik des neuen Verfahrens. Die Darlegung
derselben wird uns gleichzeitig Gelegenheit geben, die Vorzüge des Proportional¬
systems hervorzuheben und seine Anwendbarkeit auf die deutschen Verhältnisse
M begründe,,. Wir wollen daher in, nachstehenden versuchen, ein Bild der¬
jenigen Vorgänge zu entrolle,,, welche dem Wahlakte vorausgehen, ihn begleiten
und sein Ergebnis registriren. Diese Darstellung wird nicht als Entwurf eines
motivirten neuen Wahlgesetzes, sondern nur als eine in allgemeinen Umrissen
gegebene Skizze des neuen Projektes angesehen werden dürfen. Unter diesem
Vorbehalt lassen sich die einzelnen Etappen einer Neichstagswahl etwa folgender¬
maßen fixiren.

vorbereitende Maßregeln.

Da jeder Wähler jedem beliebigen Kandidaten im ganzen Gebiete des
deutschen Reiches seine Stimme geben kann, so fällt die Bedeutung des Wahl¬
kreises als Abgrenzung der Mandatserteilung weg. Die Einteilung in 397
Wahlkreise bleibt aber bestehen, um die Aufstellung und Kontrole der Wähler¬
listen zu ermöglichen. Die einzelnen Wahlakte werden mithin an denselben


Die proportionale Bernfsklassenwcchl.

„„„vertretener Minoritäten" nicht vollkommen beseitigt, so reduzirt es denselben
eins einen so unbedeutenden Nest, daß sich der Vorschlag seiner Einführung
durchaus rechtfertigt, namentlich aber dann, wenn durch gleichzeitige Zusammen¬
fassung der Wähler zu konstanten berufsständischen Verbänden ein neues Ele¬
ment der Einigung geschaffen und dadurch einem allzugroßen Zerfall der
Mcinuugsgruppen vorgebeugt wird.

Ob das Proportional-Wahlsystem ohne diese zweite tiefeinschneidende
Neuerung zur Einführung geeignet sei, ob der reinen, wenn auch zweifellos
bessern Theorie zuliebe ein Umstürzen des bisherigen, dnrch fünfzehnjährige
Gewohnheit eingebürgerten Wahlapparates schon jetzt anzuraten sei, kann be¬
zweifelt werden. Selbst die Vertreter des Systems erhoffen den Sieg ihrer
Anschauung nicht für die nächste Zukunft. Mancher wird sich fragen, ob die
Vorzüge der Proportioualwahl den Aufwand einer neuen Organisation lohnen.
Dem gegenüber erheischt die berufsständische Gliederung der Wählerschaft eine
so vollständige Umgestaltung des bisherigen Parteiwesens, daß der Einwand,
diese Neuerung sei nicht durchgreifend genug, um die Abschaffung des bisherige,,
Wahlverfahrcns zu rechtfertige!,, hinfällig wird. Ob sie eine Verbesserung dar¬
stellt, ist eine Frage, die vom Parteistandpunkte aus wahrscheinlich sehr ver¬
schiedenartig beantwortet werden wird. Sie mag in den Augen einiger neue
Mängel besitzen; aber es würde dann immer noch die Enscheidnng einzuholen
sein, ob diese Mängel schwerer wiegen als die des frühern Systems. Jeden¬
falls — und das ist das Hanptargnment ihrer Verteidigung — schafft die
Proportionale Berufsklassenwahl ganz neue Gruppirungen der Wählerschaft und
beseitigt alle diejenigen Mißstände, welche dem heute geltenden System der
Majoritätswahlen vorgeworfen werden.

Wir wenden uus nun zur Technik des neuen Verfahrens. Die Darlegung
derselben wird uns gleichzeitig Gelegenheit geben, die Vorzüge des Proportional¬
systems hervorzuheben und seine Anwendbarkeit auf die deutschen Verhältnisse
M begründe,,. Wir wollen daher in, nachstehenden versuchen, ein Bild der¬
jenigen Vorgänge zu entrolle,,, welche dem Wahlakte vorausgehen, ihn begleiten
und sein Ergebnis registriren. Diese Darstellung wird nicht als Entwurf eines
motivirten neuen Wahlgesetzes, sondern nur als eine in allgemeinen Umrissen
gegebene Skizze des neuen Projektes angesehen werden dürfen. Unter diesem
Vorbehalt lassen sich die einzelnen Etappen einer Neichstagswahl etwa folgender¬
maßen fixiren.

vorbereitende Maßregeln.

Da jeder Wähler jedem beliebigen Kandidaten im ganzen Gebiete des
deutschen Reiches seine Stimme geben kann, so fällt die Bedeutung des Wahl¬
kreises als Abgrenzung der Mandatserteilung weg. Die Einteilung in 397
Wahlkreise bleibt aber bestehen, um die Aufstellung und Kontrole der Wähler¬
listen zu ermöglichen. Die einzelnen Wahlakte werden mithin an denselben


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[0123] Die proportionale Bernfsklassenwcchl. „„„vertretener Minoritäten" nicht vollkommen beseitigt, so reduzirt es denselben eins einen so unbedeutenden Nest, daß sich der Vorschlag seiner Einführung durchaus rechtfertigt, namentlich aber dann, wenn durch gleichzeitige Zusammen¬ fassung der Wähler zu konstanten berufsständischen Verbänden ein neues Ele¬ ment der Einigung geschaffen und dadurch einem allzugroßen Zerfall der Mcinuugsgruppen vorgebeugt wird. Ob das Proportional-Wahlsystem ohne diese zweite tiefeinschneidende Neuerung zur Einführung geeignet sei, ob der reinen, wenn auch zweifellos bessern Theorie zuliebe ein Umstürzen des bisherigen, dnrch fünfzehnjährige Gewohnheit eingebürgerten Wahlapparates schon jetzt anzuraten sei, kann be¬ zweifelt werden. Selbst die Vertreter des Systems erhoffen den Sieg ihrer Anschauung nicht für die nächste Zukunft. Mancher wird sich fragen, ob die Vorzüge der Proportioualwahl den Aufwand einer neuen Organisation lohnen. Dem gegenüber erheischt die berufsständische Gliederung der Wählerschaft eine so vollständige Umgestaltung des bisherigen Parteiwesens, daß der Einwand, diese Neuerung sei nicht durchgreifend genug, um die Abschaffung des bisherige,, Wahlverfahrcns zu rechtfertige!,, hinfällig wird. Ob sie eine Verbesserung dar¬ stellt, ist eine Frage, die vom Parteistandpunkte aus wahrscheinlich sehr ver¬ schiedenartig beantwortet werden wird. Sie mag in den Augen einiger neue Mängel besitzen; aber es würde dann immer noch die Enscheidnng einzuholen sein, ob diese Mängel schwerer wiegen als die des frühern Systems. Jeden¬ falls — und das ist das Hanptargnment ihrer Verteidigung — schafft die Proportionale Berufsklassenwahl ganz neue Gruppirungen der Wählerschaft und beseitigt alle diejenigen Mißstände, welche dem heute geltenden System der Majoritätswahlen vorgeworfen werden. Wir wenden uus nun zur Technik des neuen Verfahrens. Die Darlegung derselben wird uns gleichzeitig Gelegenheit geben, die Vorzüge des Proportional¬ systems hervorzuheben und seine Anwendbarkeit auf die deutschen Verhältnisse M begründe,,. Wir wollen daher in, nachstehenden versuchen, ein Bild der¬ jenigen Vorgänge zu entrolle,,, welche dem Wahlakte vorausgehen, ihn begleiten und sein Ergebnis registriren. Diese Darstellung wird nicht als Entwurf eines motivirten neuen Wahlgesetzes, sondern nur als eine in allgemeinen Umrissen gegebene Skizze des neuen Projektes angesehen werden dürfen. Unter diesem Vorbehalt lassen sich die einzelnen Etappen einer Neichstagswahl etwa folgender¬ maßen fixiren. vorbereitende Maßregeln. Da jeder Wähler jedem beliebigen Kandidaten im ganzen Gebiete des deutschen Reiches seine Stimme geben kann, so fällt die Bedeutung des Wahl¬ kreises als Abgrenzung der Mandatserteilung weg. Die Einteilung in 397 Wahlkreise bleibt aber bestehen, um die Aufstellung und Kontrole der Wähler¬ listen zu ermöglichen. Die einzelnen Wahlakte werden mithin an denselben

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196733/123>, abgerufen am 15.01.2025.