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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal.

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Zur Arbeiterwohnungsfrage.

Turkmenen, die Hasareh Mongolen. Beide Nassen spielten in der Geschichte
des Landes früher eine bedeutende Rolle.

In betreff der Staatsabgaben und der militärischen Einrichtungen herrschte
in Afghanistan bis auf die letzte Zeit keine einheitliche Ordnung. Noch unter
Dose Muhammed entrichteten viele Stämme und Landschaften noch keine regel¬
mäßigen Steuern, sondern man schickte dem Emir nur von Zeit zu Zeit Ge¬
schenke. Bald wurde nur von einer Hufe Landes, bald von mehreren ein Mann
zu dauerndem Kriegsdienst einberufen, bald sollte jeder Freie, bald nur jeder
Landeigentümer ins Feld ziehen. Von Sold war bei solchen Aufgeboten nicht
die Rede, nur der Wert der Pferde wurde hin und wieder ersetzt. Die Chane
und Sirdare sowie der Emir hielten neben dieser Landwehr stehende Truppen,
meist usbekische Söldner. Dennoch brachten die Emire bei dem kriegerischen
Geiste der Bevölkerung und dem fanatischen Sinne derselben bei Feldzügen
gegen auswärtige Feinde sehr ansehnliche Heere zusammen, zumal wenn der
Kampf auch Beute verhieß. Dose Muhammed, der das vielgespaltene Volk zu
vereinigen und eine gewisse Ordnung einzuführen verstand, trat in den späteren
Jahren mit Armeen von 50 000 Mann Fußvolk und 12 000 Reitern auf, und
unter seinem Nachfolger schir Ali wurde auch die Qualität dieser Soldaten
wesentlich besser, wie denn überhaupt mehr Ordnung in die Verhältnisse des
Reiches kam. Wir werden darüber sowie über einige andre hier in Betracht
kommende Gegenstände in einem zweiten Abschnitt unsrer Berichte das Not¬
wendigste mitteilen.




Zur Arbeiterwohnungsfrage"

er sozialreformatorische Gedanke beginnt um sich zu greife", und
der Keim, welchen die Reichsregieruug nach so vielen Kämpfen
und Sorgen gepflanzt hat, treibt bereits in den weitesten Schichten
der Bevölkerung Blüten und Früchte. Selbst ein so mcmchcster-
liches Blatt wie die Berliner "Nationalzeitung" kann nicht
umhin, in ihren/ Leitartikelorgelton von den sozialen Bestrebungen zu reden,
welche sich in allen Kreisen des Volkes regen. Diese Wiederbelebung des Ge¬
dankens an die ethische Bedeutung des Eigentums, diese Betonung des praktischen
Christentums gegenüber den pietistischen Bestrebungen von rechts und den
atheistischen Begehrnissen von links ist vielleicht nicht das kleinste Verdienst


Grenzboten II. 1885. 76
Zur Arbeiterwohnungsfrage.

Turkmenen, die Hasareh Mongolen. Beide Nassen spielten in der Geschichte
des Landes früher eine bedeutende Rolle.

In betreff der Staatsabgaben und der militärischen Einrichtungen herrschte
in Afghanistan bis auf die letzte Zeit keine einheitliche Ordnung. Noch unter
Dose Muhammed entrichteten viele Stämme und Landschaften noch keine regel¬
mäßigen Steuern, sondern man schickte dem Emir nur von Zeit zu Zeit Ge¬
schenke. Bald wurde nur von einer Hufe Landes, bald von mehreren ein Mann
zu dauerndem Kriegsdienst einberufen, bald sollte jeder Freie, bald nur jeder
Landeigentümer ins Feld ziehen. Von Sold war bei solchen Aufgeboten nicht
die Rede, nur der Wert der Pferde wurde hin und wieder ersetzt. Die Chane
und Sirdare sowie der Emir hielten neben dieser Landwehr stehende Truppen,
meist usbekische Söldner. Dennoch brachten die Emire bei dem kriegerischen
Geiste der Bevölkerung und dem fanatischen Sinne derselben bei Feldzügen
gegen auswärtige Feinde sehr ansehnliche Heere zusammen, zumal wenn der
Kampf auch Beute verhieß. Dose Muhammed, der das vielgespaltene Volk zu
vereinigen und eine gewisse Ordnung einzuführen verstand, trat in den späteren
Jahren mit Armeen von 50 000 Mann Fußvolk und 12 000 Reitern auf, und
unter seinem Nachfolger schir Ali wurde auch die Qualität dieser Soldaten
wesentlich besser, wie denn überhaupt mehr Ordnung in die Verhältnisse des
Reiches kam. Wir werden darüber sowie über einige andre hier in Betracht
kommende Gegenstände in einem zweiten Abschnitt unsrer Berichte das Not¬
wendigste mitteilen.




Zur Arbeiterwohnungsfrage»

er sozialreformatorische Gedanke beginnt um sich zu greife», und
der Keim, welchen die Reichsregieruug nach so vielen Kämpfen
und Sorgen gepflanzt hat, treibt bereits in den weitesten Schichten
der Bevölkerung Blüten und Früchte. Selbst ein so mcmchcster-
liches Blatt wie die Berliner „Nationalzeitung" kann nicht
umhin, in ihren/ Leitartikelorgelton von den sozialen Bestrebungen zu reden,
welche sich in allen Kreisen des Volkes regen. Diese Wiederbelebung des Ge¬
dankens an die ethische Bedeutung des Eigentums, diese Betonung des praktischen
Christentums gegenüber den pietistischen Bestrebungen von rechts und den
atheistischen Begehrnissen von links ist vielleicht nicht das kleinste Verdienst


Grenzboten II. 1885. 76
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[0606] Zur Arbeiterwohnungsfrage. Turkmenen, die Hasareh Mongolen. Beide Nassen spielten in der Geschichte des Landes früher eine bedeutende Rolle. In betreff der Staatsabgaben und der militärischen Einrichtungen herrschte in Afghanistan bis auf die letzte Zeit keine einheitliche Ordnung. Noch unter Dose Muhammed entrichteten viele Stämme und Landschaften noch keine regel¬ mäßigen Steuern, sondern man schickte dem Emir nur von Zeit zu Zeit Ge¬ schenke. Bald wurde nur von einer Hufe Landes, bald von mehreren ein Mann zu dauerndem Kriegsdienst einberufen, bald sollte jeder Freie, bald nur jeder Landeigentümer ins Feld ziehen. Von Sold war bei solchen Aufgeboten nicht die Rede, nur der Wert der Pferde wurde hin und wieder ersetzt. Die Chane und Sirdare sowie der Emir hielten neben dieser Landwehr stehende Truppen, meist usbekische Söldner. Dennoch brachten die Emire bei dem kriegerischen Geiste der Bevölkerung und dem fanatischen Sinne derselben bei Feldzügen gegen auswärtige Feinde sehr ansehnliche Heere zusammen, zumal wenn der Kampf auch Beute verhieß. Dose Muhammed, der das vielgespaltene Volk zu vereinigen und eine gewisse Ordnung einzuführen verstand, trat in den späteren Jahren mit Armeen von 50 000 Mann Fußvolk und 12 000 Reitern auf, und unter seinem Nachfolger schir Ali wurde auch die Qualität dieser Soldaten wesentlich besser, wie denn überhaupt mehr Ordnung in die Verhältnisse des Reiches kam. Wir werden darüber sowie über einige andre hier in Betracht kommende Gegenstände in einem zweiten Abschnitt unsrer Berichte das Not¬ wendigste mitteilen. Zur Arbeiterwohnungsfrage» er sozialreformatorische Gedanke beginnt um sich zu greife», und der Keim, welchen die Reichsregieruug nach so vielen Kämpfen und Sorgen gepflanzt hat, treibt bereits in den weitesten Schichten der Bevölkerung Blüten und Früchte. Selbst ein so mcmchcster- liches Blatt wie die Berliner „Nationalzeitung" kann nicht umhin, in ihren/ Leitartikelorgelton von den sozialen Bestrebungen zu reden, welche sich in allen Kreisen des Volkes regen. Diese Wiederbelebung des Ge¬ dankens an die ethische Bedeutung des Eigentums, diese Betonung des praktischen Christentums gegenüber den pietistischen Bestrebungen von rechts und den atheistischen Begehrnissen von links ist vielleicht nicht das kleinste Verdienst Grenzboten II. 1885. 76

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_195390/606>, abgerufen am 22.07.2024.