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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal.

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Die Abkürzung unsrer Parlamentsverhandlungen.

inter verbinden sich mit den Nachrichten, daß der Reichstag beginne
beschlußunfähig zu werden, die Erörterungen in der Presse über
die Last der parlamentarischen Arbeiten und die Unmöglichkeit
des Nebeneiucmdertagens von Reichstag und Landtag, und wieder
lesen Mir natürlich, daß die Abgeordneten keine Schuld treffe,
wenn sich die Sitzungen abermals bis in die wärmere Jahreszeit, während
welcher ein Parlament nicht tagen könne, hineingezogen haben. Ja, absichtlich
hat es wohl keine Partei herbeigeführt. Aber wer trägt die Schuld? Die
Regierung hat den Reichstag im November, den Landtag etwa zwei Monate
später berufen, es sind viele gesetzgeberische Arbeiten zu erledigen, man denke
nnr um die zur Lösung der brennenden sozialen Frage bestimmten Vorlagen;
soll nun da die Regierung alle Jahre nur ein Pensum von einer gewissen Größe
einbringen, das gerade genügt, um in einer gewissen Arbeitszeit erledigt zu
werden, und mit dein andern warten bis zum nächsten Winter, damit unsre
Abgeordneten nicht zu sehr angestrengt werden? Das würde etwa dem gleich¬
kommen, wenn bei einem Gericht eine gewisse Stundenzahl sür die einzelnen
Sitzungen festgesetzt würde, und nun die Angeschuldigten warten müßten, bis sie
nach diesem Zeitmaße Aussicht haben, zur Aburteilung zu gelangen. Dann
müßten sich ja freilich auch die Abgeordneten im Einbringen von Initiativ¬
anträgen mäßigen, mit welchen man, sei es absichtlich oder unabsichtlich, die
Beratung von Regieruugsvorlageu verzögert oder unmöglich macht.

Niemand wird daran denken, der Regierung die Vorlage von Gesetzentwürfen,
die ihrer Ansicht nach nötig sind, oder den Abgeordneten die Einbringung von
Initiativanträgen erschweren zu wollen; es muß also in andrer Weise eine


Grenzboten II. 1885. 35


Die Abkürzung unsrer Parlamentsverhandlungen.

inter verbinden sich mit den Nachrichten, daß der Reichstag beginne
beschlußunfähig zu werden, die Erörterungen in der Presse über
die Last der parlamentarischen Arbeiten und die Unmöglichkeit
des Nebeneiucmdertagens von Reichstag und Landtag, und wieder
lesen Mir natürlich, daß die Abgeordneten keine Schuld treffe,
wenn sich die Sitzungen abermals bis in die wärmere Jahreszeit, während
welcher ein Parlament nicht tagen könne, hineingezogen haben. Ja, absichtlich
hat es wohl keine Partei herbeigeführt. Aber wer trägt die Schuld? Die
Regierung hat den Reichstag im November, den Landtag etwa zwei Monate
später berufen, es sind viele gesetzgeberische Arbeiten zu erledigen, man denke
nnr um die zur Lösung der brennenden sozialen Frage bestimmten Vorlagen;
soll nun da die Regierung alle Jahre nur ein Pensum von einer gewissen Größe
einbringen, das gerade genügt, um in einer gewissen Arbeitszeit erledigt zu
werden, und mit dein andern warten bis zum nächsten Winter, damit unsre
Abgeordneten nicht zu sehr angestrengt werden? Das würde etwa dem gleich¬
kommen, wenn bei einem Gericht eine gewisse Stundenzahl sür die einzelnen
Sitzungen festgesetzt würde, und nun die Angeschuldigten warten müßten, bis sie
nach diesem Zeitmaße Aussicht haben, zur Aburteilung zu gelangen. Dann
müßten sich ja freilich auch die Abgeordneten im Einbringen von Initiativ¬
anträgen mäßigen, mit welchen man, sei es absichtlich oder unabsichtlich, die
Beratung von Regieruugsvorlageu verzögert oder unmöglich macht.

Niemand wird daran denken, der Regierung die Vorlage von Gesetzentwürfen,
die ihrer Ansicht nach nötig sind, oder den Abgeordneten die Einbringung von
Initiativanträgen erschweren zu wollen; es muß also in andrer Weise eine


Grenzboten II. 1885. 35
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[0278] [Abbildung] Die Abkürzung unsrer Parlamentsverhandlungen. inter verbinden sich mit den Nachrichten, daß der Reichstag beginne beschlußunfähig zu werden, die Erörterungen in der Presse über die Last der parlamentarischen Arbeiten und die Unmöglichkeit des Nebeneiucmdertagens von Reichstag und Landtag, und wieder lesen Mir natürlich, daß die Abgeordneten keine Schuld treffe, wenn sich die Sitzungen abermals bis in die wärmere Jahreszeit, während welcher ein Parlament nicht tagen könne, hineingezogen haben. Ja, absichtlich hat es wohl keine Partei herbeigeführt. Aber wer trägt die Schuld? Die Regierung hat den Reichstag im November, den Landtag etwa zwei Monate später berufen, es sind viele gesetzgeberische Arbeiten zu erledigen, man denke nnr um die zur Lösung der brennenden sozialen Frage bestimmten Vorlagen; soll nun da die Regierung alle Jahre nur ein Pensum von einer gewissen Größe einbringen, das gerade genügt, um in einer gewissen Arbeitszeit erledigt zu werden, und mit dein andern warten bis zum nächsten Winter, damit unsre Abgeordneten nicht zu sehr angestrengt werden? Das würde etwa dem gleich¬ kommen, wenn bei einem Gericht eine gewisse Stundenzahl sür die einzelnen Sitzungen festgesetzt würde, und nun die Angeschuldigten warten müßten, bis sie nach diesem Zeitmaße Aussicht haben, zur Aburteilung zu gelangen. Dann müßten sich ja freilich auch die Abgeordneten im Einbringen von Initiativ¬ anträgen mäßigen, mit welchen man, sei es absichtlich oder unabsichtlich, die Beratung von Regieruugsvorlageu verzögert oder unmöglich macht. Niemand wird daran denken, der Regierung die Vorlage von Gesetzentwürfen, die ihrer Ansicht nach nötig sind, oder den Abgeordneten die Einbringung von Initiativanträgen erschweren zu wollen; es muß also in andrer Weise eine Grenzboten II. 1885. 35

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_195390/278>, abgerufen am 22.07.2024.