Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal.Die deutschen Grbschafts- und Schenkungssteuern. von Rarl Moisel. e nach dem sozialpolitischen Standpunkte des Einzelnen wird Die deutschen Grbschafts- und Schenkungssteuern. von Rarl Moisel. e nach dem sozialpolitischen Standpunkte des Einzelnen wird <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0016" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/195405"/> </div> <div n="1"> <head> Die deutschen Grbschafts- und Schenkungssteuern.<lb/><note type="byline"> von Rarl Moisel.</note></head><lb/> <p xml:id="ID_22" next="#ID_23"> e nach dem sozialpolitischen Standpunkte des Einzelnen wird<lb/> heutzutage ein Recht des Staates, bei Übergängen von Vermögen<lb/> durch Erbschaft einen mehr oder weniger großen Teil für sich zu<lb/> beanspruchen, in größerem oder geringerem Umfange gebilligt<lb/> werden. Diejenigen Schriftsteller, welche mehr sozialistischen An¬<lb/> schauungen zuneignen, befürworten eine Ausdehnung des staatlichen Jntestat-<lb/> erbrechtcs, wie es jetzt schon bei den sogenannten „erblosen" Verlassenschaften<lb/> besteht. Sie sind der Ansicht (u. a. besonders von Scheel), daß der Staat als<lb/> wirklicher vollberechtigter Erbe überall da eintrete» soll, wo als Motiv für das Erb¬<lb/> recht der Privaten die wirtschaftliche und verwandtschaftliche Zusammengehörigkeit<lb/> nicht mehr angenommen werden kann und nur der öffentliche Kreis, in welchem<lb/> der Verstorbene lebte und wirkte — in seinem Namen der Staat — als der<lb/> zunächst zur Erbschaft berechtigte angesehen werden müsse. Eine andre mögliche<lb/> Art der Teilnahme des Staates an der Erbschaft ist die als Pslichtteils-<lb/> berechtigter bei der testamentarischer Erbfolge, und drittens kaun er als Steuer-<lb/> empfüuger bei beiden Arten der Erbfolge beteiligt sein. Die praktischen Finanz-<lb/> Politiker haben sich jedoch wenig um diese theoretischen Streitigkeiten bekümmert.<lb/> Sie siud von der Ansicht ausgegangen, daß die Besteuerung eines Vermögens,<lb/> das infolge des Todes einer Person auf andre übergeht, wenig fühlbar sei, daß<lb/> sie große Ertrüge abwerfen, mit einem Worte, daß derartige Vermögensüber¬<lb/> gänge sich als vorzügliche Quellen für die Staatseinnahmc darstellen. Und<lb/> so bildet die Erbschaftssteuer, die sich allerdings weder eine direkte noch eine<lb/> indirekte Steuer im gewöhnlichen Sinne dieser Ausdrücke nennen läßt, seit sie<lb/> unter Kaiser Augustus als vivesinm iuzrk6iwwiri. zum erstenmale eingeführt<lb/> wurde, in allen modernen Staaten eine wichtige Einnahmequelle, wenn sie auch<lb/> nicht überall so reichlich fließt wie in England, wo der fünfzehnte Teil aller<lb/> Staatseinnahmen durch die Erhebung von Erbschafts- und Schenkungssteuern<lb/> gedeckt wird. In Deutschland wird die Erbschaftssteuer in allen Staaten er¬<lb/> hoben, mit Ausnahme von Waldeck und Mecklenburg-Strelitz, und nicht zum<lb/> wenigsten die Erkenntnis ihrer Wichtigkeit mag Ende der siebziger Jahre zu dem<lb/> bekannten preußischen Antrage im Bundesrate geführt haben, welcher bezweckte,<lb/> in Verbindung mit den Stempelsteuern auch die Erhebung der Erbschaftssteuer<lb/> von den Einzelstaaten auf das Reich zu übertragen. Der Antrag mußte damals</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0016]
Die deutschen Grbschafts- und Schenkungssteuern.
von Rarl Moisel.
e nach dem sozialpolitischen Standpunkte des Einzelnen wird
heutzutage ein Recht des Staates, bei Übergängen von Vermögen
durch Erbschaft einen mehr oder weniger großen Teil für sich zu
beanspruchen, in größerem oder geringerem Umfange gebilligt
werden. Diejenigen Schriftsteller, welche mehr sozialistischen An¬
schauungen zuneignen, befürworten eine Ausdehnung des staatlichen Jntestat-
erbrechtcs, wie es jetzt schon bei den sogenannten „erblosen" Verlassenschaften
besteht. Sie sind der Ansicht (u. a. besonders von Scheel), daß der Staat als
wirklicher vollberechtigter Erbe überall da eintrete» soll, wo als Motiv für das Erb¬
recht der Privaten die wirtschaftliche und verwandtschaftliche Zusammengehörigkeit
nicht mehr angenommen werden kann und nur der öffentliche Kreis, in welchem
der Verstorbene lebte und wirkte — in seinem Namen der Staat — als der
zunächst zur Erbschaft berechtigte angesehen werden müsse. Eine andre mögliche
Art der Teilnahme des Staates an der Erbschaft ist die als Pslichtteils-
berechtigter bei der testamentarischer Erbfolge, und drittens kaun er als Steuer-
empfüuger bei beiden Arten der Erbfolge beteiligt sein. Die praktischen Finanz-
Politiker haben sich jedoch wenig um diese theoretischen Streitigkeiten bekümmert.
Sie siud von der Ansicht ausgegangen, daß die Besteuerung eines Vermögens,
das infolge des Todes einer Person auf andre übergeht, wenig fühlbar sei, daß
sie große Ertrüge abwerfen, mit einem Worte, daß derartige Vermögensüber¬
gänge sich als vorzügliche Quellen für die Staatseinnahmc darstellen. Und
so bildet die Erbschaftssteuer, die sich allerdings weder eine direkte noch eine
indirekte Steuer im gewöhnlichen Sinne dieser Ausdrücke nennen läßt, seit sie
unter Kaiser Augustus als vivesinm iuzrk6iwwiri. zum erstenmale eingeführt
wurde, in allen modernen Staaten eine wichtige Einnahmequelle, wenn sie auch
nicht überall so reichlich fließt wie in England, wo der fünfzehnte Teil aller
Staatseinnahmen durch die Erhebung von Erbschafts- und Schenkungssteuern
gedeckt wird. In Deutschland wird die Erbschaftssteuer in allen Staaten er¬
hoben, mit Ausnahme von Waldeck und Mecklenburg-Strelitz, und nicht zum
wenigsten die Erkenntnis ihrer Wichtigkeit mag Ende der siebziger Jahre zu dem
bekannten preußischen Antrage im Bundesrate geführt haben, welcher bezweckte,
in Verbindung mit den Stempelsteuern auch die Erhebung der Erbschaftssteuer
von den Einzelstaaten auf das Reich zu übertragen. Der Antrag mußte damals
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