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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal.

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Literatur.
DaS Bildungswcsen. Von Lorenz von Stein. Dritter Teil. Erstes Heft. Die Zeit
bis zum neunzehnten Jahrhundert. Stuttgart, I. G. Cotta, 1884.

Den ersten in diesen Blättern besprochenen Teilen ist früher, als selbst bei
der bewundernswerter Schaffenskraft des Verfassers erwartet werden konnte, der
dritte Teil gefolgt. Derselbe nimmt seinen Ausgang von der Reformation und
zeigt von dem hohen Standpunkte, den nur eine tiefgründliche- und ebenso viel¬
seitige Wissenschaft gewähren kann, in den großen Zügen wie in den Einzelheiten,
wie die Reformation der Kirche zu einer Reformation in Bildung und in Bildungs-
wesen wurde. Neben dem Glauben eröffnet sich ein neues, weites geistiges Gebiet,
und das bisher mit dem Kredo verknüpfte Bildungswesen gestaltet sich allmählich
zu einem staatsbürgerlichen aus. Dieser Gedanke wird innerlich an der Fort¬
entwicklung der einzelnen wissenschaftlichen Disziplinen (Philosophie, Natur-, Rechts¬
und Staatswissenschaft) gezeigt und äußerlich an den Hanptfaktoren der Bildung
(Universitäten, Gymnasien, Volksschulen) dargelegt. Dabei behandelt der Verfasser
das deutsche Bildnngswesen immer nur als einen Teil und im Zusammenhange
mit dem gleichen in deu großen europäischen Kulturländern, und so wird das
ganze Werk zu einer Geschichte der europäischen Bildung überhaupt. Erst nachdem
der größte Teil des Unternehmens fertig vorliegt, ist der Zweifel über die Mög¬
lichkeit eines solchen gehoben und ein neues epochemachendes Denkmal deutschen
Fleißes und deutscher Wissenschaft geschaffen.

Auf Einzelheiten näher einzugehen, verbietet der hier vergönnte Raum. Es
kann aber uur wiederholt werden, daß das Buch sich ebenso an den Gelehrten
wie an den gebildeten Laien wendet, und daß abgesehen von dem reichen Inhalt
auch die ansprechende Darstellung, die sich von allem sonst üblichen Gelehrtcnkrmn
fernhält, überall einen wahren Genuß bieten und dem größten Interesse be¬
gegnen wird.


Briefebcrtihmter christlicher Zeitg euossen über dieJudenfrage. Nach Manuskripten
gedruckt und mit Autorisation der Verfasser zum erstenmale herausgegeben, mit biographischen
lskizzen der Autoren und einem Vorworte versehen von I. Singer. Mit zwei Kabinets-
schreiben: Seiner MajestNt des Königs von Wnrtemverg und Seiner Hoheit des regierende"
Herzogs voll Sachsen-Coburg-Gotha. Wien, O. Frank, 188S.

Auf 293 Seiten stattlichsten Formats enthält dieses Buch Briefe, welche namhafte
Männer freisinniger Richtung in Politik und Wissenschaft an den Herausgeber
gerichtet haben als Antwort ans die Zusendung seiner die Frage des Antisemitismus
behandelnden Schrift "Sollen die Juden Christen werden?" (2. Auflage, 1884).
Mit Recht geht Singer dabei von der Ansicht aus, daß alle Aeußerungen hervor¬
ragender Juden gegen die Vorwürfe der Antisemiten doch nur eine sehr geringe
Wirkung haben können, da diese Anwälte des Judentums ja zugleich Partei sind.
Er beabsichtigt darum, die "intelligenten Kreise der Bevölkerung, welche kraft ihrer
höheren Bildung Vernunftgründen noch zugänglich find," durch das, was vorur-


Literatur.
DaS Bildungswcsen. Von Lorenz von Stein. Dritter Teil. Erstes Heft. Die Zeit
bis zum neunzehnten Jahrhundert. Stuttgart, I. G. Cotta, 1884.

Den ersten in diesen Blättern besprochenen Teilen ist früher, als selbst bei
der bewundernswerter Schaffenskraft des Verfassers erwartet werden konnte, der
dritte Teil gefolgt. Derselbe nimmt seinen Ausgang von der Reformation und
zeigt von dem hohen Standpunkte, den nur eine tiefgründliche- und ebenso viel¬
seitige Wissenschaft gewähren kann, in den großen Zügen wie in den Einzelheiten,
wie die Reformation der Kirche zu einer Reformation in Bildung und in Bildungs-
wesen wurde. Neben dem Glauben eröffnet sich ein neues, weites geistiges Gebiet,
und das bisher mit dem Kredo verknüpfte Bildungswesen gestaltet sich allmählich
zu einem staatsbürgerlichen aus. Dieser Gedanke wird innerlich an der Fort¬
entwicklung der einzelnen wissenschaftlichen Disziplinen (Philosophie, Natur-, Rechts¬
und Staatswissenschaft) gezeigt und äußerlich an den Hanptfaktoren der Bildung
(Universitäten, Gymnasien, Volksschulen) dargelegt. Dabei behandelt der Verfasser
das deutsche Bildnngswesen immer nur als einen Teil und im Zusammenhange
mit dem gleichen in deu großen europäischen Kulturländern, und so wird das
ganze Werk zu einer Geschichte der europäischen Bildung überhaupt. Erst nachdem
der größte Teil des Unternehmens fertig vorliegt, ist der Zweifel über die Mög¬
lichkeit eines solchen gehoben und ein neues epochemachendes Denkmal deutschen
Fleißes und deutscher Wissenschaft geschaffen.

Auf Einzelheiten näher einzugehen, verbietet der hier vergönnte Raum. Es
kann aber uur wiederholt werden, daß das Buch sich ebenso an den Gelehrten
wie an den gebildeten Laien wendet, und daß abgesehen von dem reichen Inhalt
auch die ansprechende Darstellung, die sich von allem sonst üblichen Gelehrtcnkrmn
fernhält, überall einen wahren Genuß bieten und dem größten Interesse be¬
gegnen wird.


Briefebcrtihmter christlicher Zeitg euossen über dieJudenfrage. Nach Manuskripten
gedruckt und mit Autorisation der Verfasser zum erstenmale herausgegeben, mit biographischen
lskizzen der Autoren und einem Vorworte versehen von I. Singer. Mit zwei Kabinets-
schreiben: Seiner MajestNt des Königs von Wnrtemverg und Seiner Hoheit des regierende»
Herzogs voll Sachsen-Coburg-Gotha. Wien, O. Frank, 188S.

Auf 293 Seiten stattlichsten Formats enthält dieses Buch Briefe, welche namhafte
Männer freisinniger Richtung in Politik und Wissenschaft an den Herausgeber
gerichtet haben als Antwort ans die Zusendung seiner die Frage des Antisemitismus
behandelnden Schrift „Sollen die Juden Christen werden?" (2. Auflage, 1884).
Mit Recht geht Singer dabei von der Ansicht aus, daß alle Aeußerungen hervor¬
ragender Juden gegen die Vorwürfe der Antisemiten doch nur eine sehr geringe
Wirkung haben können, da diese Anwälte des Judentums ja zugleich Partei sind.
Er beabsichtigt darum, die „intelligenten Kreise der Bevölkerung, welche kraft ihrer
höheren Bildung Vernunftgründen noch zugänglich find," durch das, was vorur-


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[0707] Literatur. DaS Bildungswcsen. Von Lorenz von Stein. Dritter Teil. Erstes Heft. Die Zeit bis zum neunzehnten Jahrhundert. Stuttgart, I. G. Cotta, 1884. Den ersten in diesen Blättern besprochenen Teilen ist früher, als selbst bei der bewundernswerter Schaffenskraft des Verfassers erwartet werden konnte, der dritte Teil gefolgt. Derselbe nimmt seinen Ausgang von der Reformation und zeigt von dem hohen Standpunkte, den nur eine tiefgründliche- und ebenso viel¬ seitige Wissenschaft gewähren kann, in den großen Zügen wie in den Einzelheiten, wie die Reformation der Kirche zu einer Reformation in Bildung und in Bildungs- wesen wurde. Neben dem Glauben eröffnet sich ein neues, weites geistiges Gebiet, und das bisher mit dem Kredo verknüpfte Bildungswesen gestaltet sich allmählich zu einem staatsbürgerlichen aus. Dieser Gedanke wird innerlich an der Fort¬ entwicklung der einzelnen wissenschaftlichen Disziplinen (Philosophie, Natur-, Rechts¬ und Staatswissenschaft) gezeigt und äußerlich an den Hanptfaktoren der Bildung (Universitäten, Gymnasien, Volksschulen) dargelegt. Dabei behandelt der Verfasser das deutsche Bildnngswesen immer nur als einen Teil und im Zusammenhange mit dem gleichen in deu großen europäischen Kulturländern, und so wird das ganze Werk zu einer Geschichte der europäischen Bildung überhaupt. Erst nachdem der größte Teil des Unternehmens fertig vorliegt, ist der Zweifel über die Mög¬ lichkeit eines solchen gehoben und ein neues epochemachendes Denkmal deutschen Fleißes und deutscher Wissenschaft geschaffen. Auf Einzelheiten näher einzugehen, verbietet der hier vergönnte Raum. Es kann aber uur wiederholt werden, daß das Buch sich ebenso an den Gelehrten wie an den gebildeten Laien wendet, und daß abgesehen von dem reichen Inhalt auch die ansprechende Darstellung, die sich von allem sonst üblichen Gelehrtcnkrmn fernhält, überall einen wahren Genuß bieten und dem größten Interesse be¬ gegnen wird. Briefebcrtihmter christlicher Zeitg euossen über dieJudenfrage. Nach Manuskripten gedruckt und mit Autorisation der Verfasser zum erstenmale herausgegeben, mit biographischen lskizzen der Autoren und einem Vorworte versehen von I. Singer. Mit zwei Kabinets- schreiben: Seiner MajestNt des Königs von Wnrtemverg und Seiner Hoheit des regierende» Herzogs voll Sachsen-Coburg-Gotha. Wien, O. Frank, 188S. Auf 293 Seiten stattlichsten Formats enthält dieses Buch Briefe, welche namhafte Männer freisinniger Richtung in Politik und Wissenschaft an den Herausgeber gerichtet haben als Antwort ans die Zusendung seiner die Frage des Antisemitismus behandelnden Schrift „Sollen die Juden Christen werden?" (2. Auflage, 1884). Mit Recht geht Singer dabei von der Ansicht aus, daß alle Aeußerungen hervor¬ ragender Juden gegen die Vorwürfe der Antisemiten doch nur eine sehr geringe Wirkung haben können, da diese Anwälte des Judentums ja zugleich Partei sind. Er beabsichtigt darum, die „intelligenten Kreise der Bevölkerung, welche kraft ihrer höheren Bildung Vernunftgründen noch zugänglich find," durch das, was vorur-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_194675/707>, abgerufen am 12.11.2024.