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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal.

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Aus Österreich.

och im letzten Augenblicke hat die Regierung den Fehler einer
Provinzialbehörde riickgäugig gemacht, welcher gerechtes Aufsehen
hervorgerufen und der Erbitterung der Deutschen neue Nahrung
gegeben hatte. Am 22. Dezember wurden in Brünn die Wahlen
für die Handelskammer vorgenommen, und aus denselben gingen
35 Deutsche und 13 Tschechen hervor, ein Ergebnis, welches den thatsächlichen
Verhältnissen des Handels und der Großindustrie in Mähren entspricht. Auf
die Frage des Kleingewerbes kommen wir später zu sprechen. Nach Beendigung
des Skrutiniums teilte der Regiernngskvmmissar mit, das Handelsministerium
habe verfügt, daß jede Gruppe mir solche Vertreter wählen dürfe, welche der¬
selben Gruppe als Wähler angehören. Dieser Bedingung entsprachen zwölf
deutsche Wahlen nicht, diese wurden für ungiltig erklärt und die betreffenden
tschechischen Kandidaten als gewählt proklamirt, sodaß die Gesamtzahl, 48, hier¬
nach 25 tschechische und 21 deutsche Vertreter in sich begreifen würde. Gegen
dieses Verfahren erhoben nicht nur die deutschen Kaufleute und Gewerbtrei-
benden Mährens, sondern die Presse fast ohne Ausnahme lebhaften Protest,
welchem sich in diesem Falle jedermann anschloß, der sich nicht der slavischen
Partei unbedingt verschrieben hat. Wohl machten offiziöse Stimmen den Ver¬
such, die Handlungsweise der mährischen Statthaltern zu beschönigen; doch fiel
dieser ganz unglücklich aus und wurde von der Regierung selbst desavouirt,
welche die ganze Wahl annullirte, weil die rechtzeitige Publikation des erwähnten
Ministerialerlasses unterblieben war. Sie hat damit gethan, was sie thun konnte,
der Schein einer planmäßigen Vergewaltigung der Deutschen ist dein Ministerium
abgenommen, aber es ist nicht verhindert, daß die Opposition aus der Sache


Grenzboten 1. 1885. 8


Aus Österreich.

och im letzten Augenblicke hat die Regierung den Fehler einer
Provinzialbehörde riickgäugig gemacht, welcher gerechtes Aufsehen
hervorgerufen und der Erbitterung der Deutschen neue Nahrung
gegeben hatte. Am 22. Dezember wurden in Brünn die Wahlen
für die Handelskammer vorgenommen, und aus denselben gingen
35 Deutsche und 13 Tschechen hervor, ein Ergebnis, welches den thatsächlichen
Verhältnissen des Handels und der Großindustrie in Mähren entspricht. Auf
die Frage des Kleingewerbes kommen wir später zu sprechen. Nach Beendigung
des Skrutiniums teilte der Regiernngskvmmissar mit, das Handelsministerium
habe verfügt, daß jede Gruppe mir solche Vertreter wählen dürfe, welche der¬
selben Gruppe als Wähler angehören. Dieser Bedingung entsprachen zwölf
deutsche Wahlen nicht, diese wurden für ungiltig erklärt und die betreffenden
tschechischen Kandidaten als gewählt proklamirt, sodaß die Gesamtzahl, 48, hier¬
nach 25 tschechische und 21 deutsche Vertreter in sich begreifen würde. Gegen
dieses Verfahren erhoben nicht nur die deutschen Kaufleute und Gewerbtrei-
benden Mährens, sondern die Presse fast ohne Ausnahme lebhaften Protest,
welchem sich in diesem Falle jedermann anschloß, der sich nicht der slavischen
Partei unbedingt verschrieben hat. Wohl machten offiziöse Stimmen den Ver¬
such, die Handlungsweise der mährischen Statthaltern zu beschönigen; doch fiel
dieser ganz unglücklich aus und wurde von der Regierung selbst desavouirt,
welche die ganze Wahl annullirte, weil die rechtzeitige Publikation des erwähnten
Ministerialerlasses unterblieben war. Sie hat damit gethan, was sie thun konnte,
der Schein einer planmäßigen Vergewaltigung der Deutschen ist dein Ministerium
abgenommen, aber es ist nicht verhindert, daß die Opposition aus der Sache


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[0069] [Abbildung] Aus Österreich. och im letzten Augenblicke hat die Regierung den Fehler einer Provinzialbehörde riickgäugig gemacht, welcher gerechtes Aufsehen hervorgerufen und der Erbitterung der Deutschen neue Nahrung gegeben hatte. Am 22. Dezember wurden in Brünn die Wahlen für die Handelskammer vorgenommen, und aus denselben gingen 35 Deutsche und 13 Tschechen hervor, ein Ergebnis, welches den thatsächlichen Verhältnissen des Handels und der Großindustrie in Mähren entspricht. Auf die Frage des Kleingewerbes kommen wir später zu sprechen. Nach Beendigung des Skrutiniums teilte der Regiernngskvmmissar mit, das Handelsministerium habe verfügt, daß jede Gruppe mir solche Vertreter wählen dürfe, welche der¬ selben Gruppe als Wähler angehören. Dieser Bedingung entsprachen zwölf deutsche Wahlen nicht, diese wurden für ungiltig erklärt und die betreffenden tschechischen Kandidaten als gewählt proklamirt, sodaß die Gesamtzahl, 48, hier¬ nach 25 tschechische und 21 deutsche Vertreter in sich begreifen würde. Gegen dieses Verfahren erhoben nicht nur die deutschen Kaufleute und Gewerbtrei- benden Mährens, sondern die Presse fast ohne Ausnahme lebhaften Protest, welchem sich in diesem Falle jedermann anschloß, der sich nicht der slavischen Partei unbedingt verschrieben hat. Wohl machten offiziöse Stimmen den Ver¬ such, die Handlungsweise der mährischen Statthaltern zu beschönigen; doch fiel dieser ganz unglücklich aus und wurde von der Regierung selbst desavouirt, welche die ganze Wahl annullirte, weil die rechtzeitige Publikation des erwähnten Ministerialerlasses unterblieben war. Sie hat damit gethan, was sie thun konnte, der Schein einer planmäßigen Vergewaltigung der Deutschen ist dein Ministerium abgenommen, aber es ist nicht verhindert, daß die Opposition aus der Sache Grenzboten 1. 1885. 8

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_194675/69>, abgerufen am 12.11.2024.