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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal.

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es auch nicht an Eifersuchtsszenen drolligster Art mangelt, bildet das ideale und
doch immer lebensvoll realistisch gezeichnete Gegenstück zu den zwei andern Gruppen,

Noch ein viertes Ehepaar wird gelegentlich skizzirt, ein altes, man möchte
sagen, echt rassisches: die fürstlichen Eltern Kitths und Darjas, ein tüchtiger,
klarblickender und verständiger Mann, der zuweilen der Nedeflut seiner eiteln
Frau weiche" muß, ohne deswegen das Szepter aus der Hand zu legen. Daß
"och eine ganze Menge von Nebengestalten neben diesen Typen einherlaufcn,
braucht nicht eigens erwähnt zu werden.

Das eheliche und Familienleben bilden also das nach verschiedenen Seiten
hin beleuchtete Thema der "Anna Kareuina." Auch die Schilderungen der Kindeo
stube, der Sorgen um die Kinder, der Freude an ihnen sind Glanzpunkte der
Tolstoischen Kunst. Vergleicht man diese Teile mit einem Werke S. Farinas:
"Mein Sohn," welches anch das Thema der Elternlust an ihren Kindern,
wenigstens im ersten Bande behandelt, so muß man sagen, daß der Russe dem
Italiener an Beobachtungsgabe und unverkünstelter Natürlichkeit weit überlegen
ist -- eine Bemerkung, die zu belegen uns hier zu weit führen würde. Die
Politik spielt in dem Romane Tolstois diesmal fast gar keine Rolle; nur gegen
das Ende hin, wo der Eintritt des unglücklichen Wronsky in die serbische Armee
vorbereitet wird, wird sie berührt, und in einer Weise, daß man den Autor als
einen Gegner des Panslavismus bezeichnen muß. Auch dies ist wohlthuend
und gestaltet sein Werk zu einer rein poetischen Schöpfung.

Die Übersetzung des Romans könnte sorgfältiger sein; es fehlt nicht an
Verstößen gegen die deutsche Grammatik, z. B. I, 49: Die jungen Leute sollen
"sich einander" heiraten. Wir haben mehr dergleichen notirt; doch lieben wir
solches Herumstochern nicht.


M. Necker.


Ungehaltene Reden eines Nichtgewählten.
8.

ach der Sitzung vom 4. März ist mir der Vorwurf gemacht
worden, ich hätte mich über das Verhältnis zwischen --es-- und
--et-- getäuscht und dazu beigetragen, die öffentliche Meinung
irrezuführen. Demgegenüber kann ich umsoweniger schweigen, als
jener Vorwurf zugleich beweist, wie schwer sich selbst Politiker in
den Gedaukeugnng von Staatsmännern zu finden wissen. Ja, dein ober¬
flächlichen Blicke kann der 4. März lvie ein Wagram nach dein glorreichen
Aspern des 15. Dezember vorkommen; in der That aber wollten die Feld-


es auch nicht an Eifersuchtsszenen drolligster Art mangelt, bildet das ideale und
doch immer lebensvoll realistisch gezeichnete Gegenstück zu den zwei andern Gruppen,

Noch ein viertes Ehepaar wird gelegentlich skizzirt, ein altes, man möchte
sagen, echt rassisches: die fürstlichen Eltern Kitths und Darjas, ein tüchtiger,
klarblickender und verständiger Mann, der zuweilen der Nedeflut seiner eiteln
Frau weiche» muß, ohne deswegen das Szepter aus der Hand zu legen. Daß
»och eine ganze Menge von Nebengestalten neben diesen Typen einherlaufcn,
braucht nicht eigens erwähnt zu werden.

Das eheliche und Familienleben bilden also das nach verschiedenen Seiten
hin beleuchtete Thema der „Anna Kareuina." Auch die Schilderungen der Kindeo
stube, der Sorgen um die Kinder, der Freude an ihnen sind Glanzpunkte der
Tolstoischen Kunst. Vergleicht man diese Teile mit einem Werke S. Farinas:
„Mein Sohn," welches anch das Thema der Elternlust an ihren Kindern,
wenigstens im ersten Bande behandelt, so muß man sagen, daß der Russe dem
Italiener an Beobachtungsgabe und unverkünstelter Natürlichkeit weit überlegen
ist — eine Bemerkung, die zu belegen uns hier zu weit führen würde. Die
Politik spielt in dem Romane Tolstois diesmal fast gar keine Rolle; nur gegen
das Ende hin, wo der Eintritt des unglücklichen Wronsky in die serbische Armee
vorbereitet wird, wird sie berührt, und in einer Weise, daß man den Autor als
einen Gegner des Panslavismus bezeichnen muß. Auch dies ist wohlthuend
und gestaltet sein Werk zu einer rein poetischen Schöpfung.

Die Übersetzung des Romans könnte sorgfältiger sein; es fehlt nicht an
Verstößen gegen die deutsche Grammatik, z. B. I, 49: Die jungen Leute sollen
„sich einander" heiraten. Wir haben mehr dergleichen notirt; doch lieben wir
solches Herumstochern nicht.


M. Necker.


Ungehaltene Reden eines Nichtgewählten.
8.

ach der Sitzung vom 4. März ist mir der Vorwurf gemacht
worden, ich hätte mich über das Verhältnis zwischen —es— und
—et— getäuscht und dazu beigetragen, die öffentliche Meinung
irrezuführen. Demgegenüber kann ich umsoweniger schweigen, als
jener Vorwurf zugleich beweist, wie schwer sich selbst Politiker in
den Gedaukeugnng von Staatsmännern zu finden wissen. Ja, dein ober¬
flächlichen Blicke kann der 4. März lvie ein Wagram nach dein glorreichen
Aspern des 15. Dezember vorkommen; in der That aber wollten die Feld-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_194675/587>, abgerufen am 12.11.2024.