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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal.

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Aus dem Jahre ^3^3.

treten, daß diese Fremden den ganzen Kampf arrangirt, geleitet und geführt
hätten. Nein, es war wirklich der Berliner, der sich schlug, wenn er es auch
in einem vorübergehenden Rausche that. Ehe der Kampf begann, hatte der
König schon das volle Eingehen auf die Forderungen der neuen Zeit zugesagt
und dies in einer Proklamation verkündet. Damit war den politischen An¬
sprüchen der Berliner mehr als genug gethan; sie hatten bis dahin noch wenig
praktische Politik getrieben, sie wollten nur im allgemeinen räsvnniren und sich
nicht persönlich durch die Polizei belästigen lassen, und außerdem ärgerten sie
sich über das oft rücksichtslose und unliebenswürdige Auftreten der jungen Garde-
offiziere. Die Reibereien, welche in den vorhergehenden Tagen zwischen dem
ausgerückten Militär und den nmherwogenden Haufen stattgefunden hatten, trugen
dazu bei, diese Mißstimmung über den Übermut der Offiziere und die Übermacht
der Polizei zu mehren, und gegen sie, nicht gegen das preußische Königtum und
die Ordnung des Staates, war jener Kampf gerichtet. Als er aber beendet
war, lag das Königtum am Boden, und Preußen war in einer Zeit, in der
ihm, wenn es nur seine ruhige Haltung bewahrte und Recht und Ordnung bei
sich aufrecht erhielt, das ganze damals verwirrte und machtlose Deutschland von
selbst zufallen mußte, selbst klein und machtlos geworden und weckte mit seinen
Versuchen, sich an die Spitze der deutschen Bewegung zu stellen, nur den Hohn
und die Spottlust der Menge.

2.

Haben wir aus der Weise, wie die Revolution plötzlich über Deutschland
hereinbrach und mit wunderbarer Geschwindigkeit um sich griff, die Lehre ent¬
nehmen können, daß die Sorge für die Erhaltung des Staates nicht bloß auf
den Schultern der Negierung ruhen darf, sondern daß sie der Unterstützung
durch selbständige und thatkräftige Parteien bedarf, so zeigt uns der weitere
Verlauf der Revolution, daß das Staatswesen, wenn ihm eine kräftige Regierung
fehlt, trotz aller Freiheit und Bildung mit raschem Schritt der Barbarei und
Verwilderung entgegeneile.

An gutem Willen von Einzelnen hat es auch damals nicht gefehlt; ja mau
kann sagen, die Menge war von einem gewissen idealen Hauch bewegt, der sie
über die niedere Atmosphäre erhob, in der sich seither ihr tägliches Leben bewegt
hatte. Deshalb waren auch gemeine Verbrechen, wie gewöhnlicher Diebstahl,
Betrug u. dergl. verhältnismüßig selten. Dagegen konnte der kleinstädtische
Philister, dessen Gedankengang sich früher nicht über die nächste Umgebung er¬
hoben hatte, und der ganz in den Sorgen des täglichen Lebens aufgegangen
war, sich jetzt mit aller Begeisterung an den vielstündigen Verhandlungen seines
Klubs über die beste Staatsform und die Stellung der Parteien zueinander be¬
teiligen. Ich will nur an die lebenswahren Schilderungen erinnern, die Reuter
in der "Strvmtid" von den Verhandlungen des Rahnstedter Neformvereins


Grmzlww, I. 1885. 71
Aus dem Jahre ^3^3.

treten, daß diese Fremden den ganzen Kampf arrangirt, geleitet und geführt
hätten. Nein, es war wirklich der Berliner, der sich schlug, wenn er es auch
in einem vorübergehenden Rausche that. Ehe der Kampf begann, hatte der
König schon das volle Eingehen auf die Forderungen der neuen Zeit zugesagt
und dies in einer Proklamation verkündet. Damit war den politischen An¬
sprüchen der Berliner mehr als genug gethan; sie hatten bis dahin noch wenig
praktische Politik getrieben, sie wollten nur im allgemeinen räsvnniren und sich
nicht persönlich durch die Polizei belästigen lassen, und außerdem ärgerten sie
sich über das oft rücksichtslose und unliebenswürdige Auftreten der jungen Garde-
offiziere. Die Reibereien, welche in den vorhergehenden Tagen zwischen dem
ausgerückten Militär und den nmherwogenden Haufen stattgefunden hatten, trugen
dazu bei, diese Mißstimmung über den Übermut der Offiziere und die Übermacht
der Polizei zu mehren, und gegen sie, nicht gegen das preußische Königtum und
die Ordnung des Staates, war jener Kampf gerichtet. Als er aber beendet
war, lag das Königtum am Boden, und Preußen war in einer Zeit, in der
ihm, wenn es nur seine ruhige Haltung bewahrte und Recht und Ordnung bei
sich aufrecht erhielt, das ganze damals verwirrte und machtlose Deutschland von
selbst zufallen mußte, selbst klein und machtlos geworden und weckte mit seinen
Versuchen, sich an die Spitze der deutschen Bewegung zu stellen, nur den Hohn
und die Spottlust der Menge.

2.

Haben wir aus der Weise, wie die Revolution plötzlich über Deutschland
hereinbrach und mit wunderbarer Geschwindigkeit um sich griff, die Lehre ent¬
nehmen können, daß die Sorge für die Erhaltung des Staates nicht bloß auf
den Schultern der Negierung ruhen darf, sondern daß sie der Unterstützung
durch selbständige und thatkräftige Parteien bedarf, so zeigt uns der weitere
Verlauf der Revolution, daß das Staatswesen, wenn ihm eine kräftige Regierung
fehlt, trotz aller Freiheit und Bildung mit raschem Schritt der Barbarei und
Verwilderung entgegeneile.

An gutem Willen von Einzelnen hat es auch damals nicht gefehlt; ja mau
kann sagen, die Menge war von einem gewissen idealen Hauch bewegt, der sie
über die niedere Atmosphäre erhob, in der sich seither ihr tägliches Leben bewegt
hatte. Deshalb waren auch gemeine Verbrechen, wie gewöhnlicher Diebstahl,
Betrug u. dergl. verhältnismüßig selten. Dagegen konnte der kleinstädtische
Philister, dessen Gedankengang sich früher nicht über die nächste Umgebung er¬
hoben hatte, und der ganz in den Sorgen des täglichen Lebens aufgegangen
war, sich jetzt mit aller Begeisterung an den vielstündigen Verhandlungen seines
Klubs über die beste Staatsform und die Stellung der Parteien zueinander be¬
teiligen. Ich will nur an die lebenswahren Schilderungen erinnern, die Reuter
in der „Strvmtid" von den Verhandlungen des Rahnstedter Neformvereins


Grmzlww, I. 1885. 71
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[0573] Aus dem Jahre ^3^3. treten, daß diese Fremden den ganzen Kampf arrangirt, geleitet und geführt hätten. Nein, es war wirklich der Berliner, der sich schlug, wenn er es auch in einem vorübergehenden Rausche that. Ehe der Kampf begann, hatte der König schon das volle Eingehen auf die Forderungen der neuen Zeit zugesagt und dies in einer Proklamation verkündet. Damit war den politischen An¬ sprüchen der Berliner mehr als genug gethan; sie hatten bis dahin noch wenig praktische Politik getrieben, sie wollten nur im allgemeinen räsvnniren und sich nicht persönlich durch die Polizei belästigen lassen, und außerdem ärgerten sie sich über das oft rücksichtslose und unliebenswürdige Auftreten der jungen Garde- offiziere. Die Reibereien, welche in den vorhergehenden Tagen zwischen dem ausgerückten Militär und den nmherwogenden Haufen stattgefunden hatten, trugen dazu bei, diese Mißstimmung über den Übermut der Offiziere und die Übermacht der Polizei zu mehren, und gegen sie, nicht gegen das preußische Königtum und die Ordnung des Staates, war jener Kampf gerichtet. Als er aber beendet war, lag das Königtum am Boden, und Preußen war in einer Zeit, in der ihm, wenn es nur seine ruhige Haltung bewahrte und Recht und Ordnung bei sich aufrecht erhielt, das ganze damals verwirrte und machtlose Deutschland von selbst zufallen mußte, selbst klein und machtlos geworden und weckte mit seinen Versuchen, sich an die Spitze der deutschen Bewegung zu stellen, nur den Hohn und die Spottlust der Menge. 2. Haben wir aus der Weise, wie die Revolution plötzlich über Deutschland hereinbrach und mit wunderbarer Geschwindigkeit um sich griff, die Lehre ent¬ nehmen können, daß die Sorge für die Erhaltung des Staates nicht bloß auf den Schultern der Negierung ruhen darf, sondern daß sie der Unterstützung durch selbständige und thatkräftige Parteien bedarf, so zeigt uns der weitere Verlauf der Revolution, daß das Staatswesen, wenn ihm eine kräftige Regierung fehlt, trotz aller Freiheit und Bildung mit raschem Schritt der Barbarei und Verwilderung entgegeneile. An gutem Willen von Einzelnen hat es auch damals nicht gefehlt; ja mau kann sagen, die Menge war von einem gewissen idealen Hauch bewegt, der sie über die niedere Atmosphäre erhob, in der sich seither ihr tägliches Leben bewegt hatte. Deshalb waren auch gemeine Verbrechen, wie gewöhnlicher Diebstahl, Betrug u. dergl. verhältnismüßig selten. Dagegen konnte der kleinstädtische Philister, dessen Gedankengang sich früher nicht über die nächste Umgebung er¬ hoben hatte, und der ganz in den Sorgen des täglichen Lebens aufgegangen war, sich jetzt mit aller Begeisterung an den vielstündigen Verhandlungen seines Klubs über die beste Staatsform und die Stellung der Parteien zueinander be¬ teiligen. Ich will nur an die lebenswahren Schilderungen erinnern, die Reuter in der „Strvmtid" von den Verhandlungen des Rahnstedter Neformvereins Grmzlww, I. 1885. 71

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_194675/573>, abgerufen am 12.11.2024.