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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal.

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Aus dem Jahre ^8^3.

Der Sklave, der leibeigne Bauer, der dritte Stand erlangten ihre Zulassung
in die bürgerliche Gesellschaft als selbstberechtigte Klasse nur unter ungeheuern
Erschütterungen, weil die herrschenden Klassen sich nur als Feinde fühlten und
nur an Verteidigung und fühlloses Niederwerfe!, dachten. Wenn dagegen die
Leiden und Beschwerden des vierten Standes in unsern Tagen ein teilnehmendes
Entgegenkommen finden, so mag uus dies nicht nnr als ein höchst erfreulicher
Fortschritt der Gesittung mit Befriedigung, sondern auch mit dem Vertrauen
erfüllen, daß die Heilung der sozialen Gebrechen ohne gewaltsamen Umsturz
sich auf friedlichem Wege vollziehen werde.




Aus dem Jahre
(Schluß.)

le in den Petitionen gestellten Forderungen sind ganz beson¬
ders interessant, und es lohnte sich schon der Mühe, sie aus
ganz Deutschland zusammenzustellen. Denn wenn sie mich zu¬
erst, solange sie aus den großen Städten kamen und an die
größeren Regierungen gerichtet waren, sich nach dem Mann¬
heimer Muster ans dieselben Forderungen nach Preßfreiheit, Volksbewaffnung,
Schwurgerichte, Amnestie, volkstümliches Ministerium und deutsches Parlament
beschränkten, so nahmen sie doch einen andern Charakter an, je mehr sich dieser
Petitionsstnrm verteilte und verästelte; immer mehr wurden sie ein unmittel¬
barer Ausdruck der innersten Volkswünsche, und immer mehr spiegelte sich der
eigentliche Vvlksinstinkt darin wieder. Sie haben insofern einen dauernden
Wert, um das innerste Denken und Wünschen des Volkes kennen zu lernen.
Wenn der Pöbel aus so mancher kleinen Stadt nach Preßfreiheit schrie, ob¬
gleich doch die wenigsten begriffen, was man damit eigentlich meine, so hatte
man natürlich mit eingelernten Phrasen zu thun, die keine weitere Bedeutung
hatten; aber charakteristisch ist es schon, wenn man in Lippe-Detmold von dem
Fürsten nicht nnr die Zusicherung haben wollte, daß er die deutsche Einheit
herbeiführen wolle, sondern auch, daß er keine Allsländer mehr anstellen wolle,
d- h. keine Lippe-Schauenburger, Waldecker oder gar Preußen, oder wenn sich
mitten zwischen all dem Geschrei nach Freiheit auch Petitionen gegen die Gewerbe¬
freiheit, welche das Handwerk schädige, vernehmen ließen, wenn am Main und
um Odenwald, dem alten Schauplatz der heftigsten Ausbrüche des Bauernkrieges,
das Landvolk wieder mit der Forderung kam, daß der Adel mit ihm teilen solle,


Aus dem Jahre ^8^3.

Der Sklave, der leibeigne Bauer, der dritte Stand erlangten ihre Zulassung
in die bürgerliche Gesellschaft als selbstberechtigte Klasse nur unter ungeheuern
Erschütterungen, weil die herrschenden Klassen sich nur als Feinde fühlten und
nur an Verteidigung und fühlloses Niederwerfe!, dachten. Wenn dagegen die
Leiden und Beschwerden des vierten Standes in unsern Tagen ein teilnehmendes
Entgegenkommen finden, so mag uus dies nicht nnr als ein höchst erfreulicher
Fortschritt der Gesittung mit Befriedigung, sondern auch mit dem Vertrauen
erfüllen, daß die Heilung der sozialen Gebrechen ohne gewaltsamen Umsturz
sich auf friedlichem Wege vollziehen werde.




Aus dem Jahre
(Schluß.)

le in den Petitionen gestellten Forderungen sind ganz beson¬
ders interessant, und es lohnte sich schon der Mühe, sie aus
ganz Deutschland zusammenzustellen. Denn wenn sie mich zu¬
erst, solange sie aus den großen Städten kamen und an die
größeren Regierungen gerichtet waren, sich nach dem Mann¬
heimer Muster ans dieselben Forderungen nach Preßfreiheit, Volksbewaffnung,
Schwurgerichte, Amnestie, volkstümliches Ministerium und deutsches Parlament
beschränkten, so nahmen sie doch einen andern Charakter an, je mehr sich dieser
Petitionsstnrm verteilte und verästelte; immer mehr wurden sie ein unmittel¬
barer Ausdruck der innersten Volkswünsche, und immer mehr spiegelte sich der
eigentliche Vvlksinstinkt darin wieder. Sie haben insofern einen dauernden
Wert, um das innerste Denken und Wünschen des Volkes kennen zu lernen.
Wenn der Pöbel aus so mancher kleinen Stadt nach Preßfreiheit schrie, ob¬
gleich doch die wenigsten begriffen, was man damit eigentlich meine, so hatte
man natürlich mit eingelernten Phrasen zu thun, die keine weitere Bedeutung
hatten; aber charakteristisch ist es schon, wenn man in Lippe-Detmold von dem
Fürsten nicht nnr die Zusicherung haben wollte, daß er die deutsche Einheit
herbeiführen wolle, sondern auch, daß er keine Allsländer mehr anstellen wolle,
d- h. keine Lippe-Schauenburger, Waldecker oder gar Preußen, oder wenn sich
mitten zwischen all dem Geschrei nach Freiheit auch Petitionen gegen die Gewerbe¬
freiheit, welche das Handwerk schädige, vernehmen ließen, wenn am Main und
um Odenwald, dem alten Schauplatz der heftigsten Ausbrüche des Bauernkrieges,
das Landvolk wieder mit der Forderung kam, daß der Adel mit ihm teilen solle,


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[0571] Aus dem Jahre ^8^3. Der Sklave, der leibeigne Bauer, der dritte Stand erlangten ihre Zulassung in die bürgerliche Gesellschaft als selbstberechtigte Klasse nur unter ungeheuern Erschütterungen, weil die herrschenden Klassen sich nur als Feinde fühlten und nur an Verteidigung und fühlloses Niederwerfe!, dachten. Wenn dagegen die Leiden und Beschwerden des vierten Standes in unsern Tagen ein teilnehmendes Entgegenkommen finden, so mag uus dies nicht nnr als ein höchst erfreulicher Fortschritt der Gesittung mit Befriedigung, sondern auch mit dem Vertrauen erfüllen, daß die Heilung der sozialen Gebrechen ohne gewaltsamen Umsturz sich auf friedlichem Wege vollziehen werde. Aus dem Jahre (Schluß.) le in den Petitionen gestellten Forderungen sind ganz beson¬ ders interessant, und es lohnte sich schon der Mühe, sie aus ganz Deutschland zusammenzustellen. Denn wenn sie mich zu¬ erst, solange sie aus den großen Städten kamen und an die größeren Regierungen gerichtet waren, sich nach dem Mann¬ heimer Muster ans dieselben Forderungen nach Preßfreiheit, Volksbewaffnung, Schwurgerichte, Amnestie, volkstümliches Ministerium und deutsches Parlament beschränkten, so nahmen sie doch einen andern Charakter an, je mehr sich dieser Petitionsstnrm verteilte und verästelte; immer mehr wurden sie ein unmittel¬ barer Ausdruck der innersten Volkswünsche, und immer mehr spiegelte sich der eigentliche Vvlksinstinkt darin wieder. Sie haben insofern einen dauernden Wert, um das innerste Denken und Wünschen des Volkes kennen zu lernen. Wenn der Pöbel aus so mancher kleinen Stadt nach Preßfreiheit schrie, ob¬ gleich doch die wenigsten begriffen, was man damit eigentlich meine, so hatte man natürlich mit eingelernten Phrasen zu thun, die keine weitere Bedeutung hatten; aber charakteristisch ist es schon, wenn man in Lippe-Detmold von dem Fürsten nicht nnr die Zusicherung haben wollte, daß er die deutsche Einheit herbeiführen wolle, sondern auch, daß er keine Allsländer mehr anstellen wolle, d- h. keine Lippe-Schauenburger, Waldecker oder gar Preußen, oder wenn sich mitten zwischen all dem Geschrei nach Freiheit auch Petitionen gegen die Gewerbe¬ freiheit, welche das Handwerk schädige, vernehmen ließen, wenn am Main und um Odenwald, dem alten Schauplatz der heftigsten Ausbrüche des Bauernkrieges, das Landvolk wieder mit der Forderung kam, daß der Adel mit ihm teilen solle,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_194675/571>, abgerufen am 12.11.2024.