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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal.

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Unpolitische Briefe aus Wien.

Jetzt ist die Stunde gekommen, wo Sie zu zeigen haben, Königliche Hoheit,
wie Sie es mit dem Volke meinen.

Zögern Sie nicht einen Augenblick, zu gewähren, vollständig zu gewähren.

Besonnene Männer, Königliche Hoheit, sagen Ihnen hier, daß die Aufregung
einen furchtbaren Charakter angenommen hat. Bewaffneter Zuzug aus den Nach¬
barstädten ist bereits vorhanden; schon wird man mit dem Gedanken einer Los-
trennnng vertraut und kennt recht wohl das Gewicht der vollendeten Thatsache.

Königliche Hoheit, gewähren Sie! Lenke Gott Ihr Herz!

Das war der Stil, in welchen: man damals bat.

(Schluß folgt.)




Unpolitische Briefe aus Wien.
2. Unsre Dichter.

on einer nationalen Wirksamkeit, von einer nationalen Stellung
des deutschen Dichters wird man heute nicht leicht sprechen
können. Fast jeder gehört nur einem kleinen Kreise an, nur in
diesem weiß man von ihm, lobt ihn oder tadelt ihn, von der
^Koterie wird er getragen, für sie muß er schaffen und leben, ins
^"ik hinaus dringt nur selten ein Ton von seinem Psalter. Die deutschen
Dichter unsrer Generation sind so gleichweit entfernt von dem erhabenen Amte
mich Propheten und Lehrers, das zu manchen Zeiten, bei manchen Völkern
der Dichter geübt hat, wie von der problematischen Existenz, in der das
poetische Genie in andern Perioden dahinzuleben gezwungen war. Weder mit
Verehrung noch mit Geringschätzung begegnet man ihnen heute, eher mit Gleich¬
artigkeit oder höchstens mit einer Art naiven Erstaunens, naiver Neugier; so
wenigstens die mittleren Schichten, das eigentliche Volk. Auch die Aristokratie
hat aufgehört, sich für Poeten und schöne Geister zu interessiren; nur in den
Salons der Großindustriellen und der Finanzwelt werden sie als Modestücke
wuner noch gern gesehen. Da die meisten auch im Dienste der Tagesliteratur
stehen, so haben sie gewöhnlich ihr leidliches Auskommen, ja nicht selten eine
^hr behagliche Existenz. Freilich verweisen sie trotzdem immer wieder auf
Frankreich und England, wo literarische, wo dichterische Qualitäten ganz anders
^schützt würden als hierzulande. Daß dort überhaupt andre Verhältnisse
"^stehen, Staat und Bürgerschaft reicher sind, auch für andre Dinge weitaus
größere Summen aufgewendet werden können als bei uns, bedenken sie nicht
"der ignoriren sie, und jeder findet eS ungerecht, daß er nicht wenigstens das


Unpolitische Briefe aus Wien.

Jetzt ist die Stunde gekommen, wo Sie zu zeigen haben, Königliche Hoheit,
wie Sie es mit dem Volke meinen.

Zögern Sie nicht einen Augenblick, zu gewähren, vollständig zu gewähren.

Besonnene Männer, Königliche Hoheit, sagen Ihnen hier, daß die Aufregung
einen furchtbaren Charakter angenommen hat. Bewaffneter Zuzug aus den Nach¬
barstädten ist bereits vorhanden; schon wird man mit dem Gedanken einer Los-
trennnng vertraut und kennt recht wohl das Gewicht der vollendeten Thatsache.

Königliche Hoheit, gewähren Sie! Lenke Gott Ihr Herz!

Das war der Stil, in welchen: man damals bat.

(Schluß folgt.)




Unpolitische Briefe aus Wien.
2. Unsre Dichter.

on einer nationalen Wirksamkeit, von einer nationalen Stellung
des deutschen Dichters wird man heute nicht leicht sprechen
können. Fast jeder gehört nur einem kleinen Kreise an, nur in
diesem weiß man von ihm, lobt ihn oder tadelt ihn, von der
^Koterie wird er getragen, für sie muß er schaffen und leben, ins
^"ik hinaus dringt nur selten ein Ton von seinem Psalter. Die deutschen
Dichter unsrer Generation sind so gleichweit entfernt von dem erhabenen Amte
mich Propheten und Lehrers, das zu manchen Zeiten, bei manchen Völkern
der Dichter geübt hat, wie von der problematischen Existenz, in der das
poetische Genie in andern Perioden dahinzuleben gezwungen war. Weder mit
Verehrung noch mit Geringschätzung begegnet man ihnen heute, eher mit Gleich¬
artigkeit oder höchstens mit einer Art naiven Erstaunens, naiver Neugier; so
wenigstens die mittleren Schichten, das eigentliche Volk. Auch die Aristokratie
hat aufgehört, sich für Poeten und schöne Geister zu interessiren; nur in den
Salons der Großindustriellen und der Finanzwelt werden sie als Modestücke
wuner noch gern gesehen. Da die meisten auch im Dienste der Tagesliteratur
stehen, so haben sie gewöhnlich ihr leidliches Auskommen, ja nicht selten eine
^hr behagliche Existenz. Freilich verweisen sie trotzdem immer wieder auf
Frankreich und England, wo literarische, wo dichterische Qualitäten ganz anders
^schützt würden als hierzulande. Daß dort überhaupt andre Verhältnisse
"^stehen, Staat und Bürgerschaft reicher sind, auch für andre Dinge weitaus
größere Summen aufgewendet werden können als bei uns, bedenken sie nicht
"der ignoriren sie, und jeder findet eS ungerecht, daß er nicht wenigstens das


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[0527] Unpolitische Briefe aus Wien. Jetzt ist die Stunde gekommen, wo Sie zu zeigen haben, Königliche Hoheit, wie Sie es mit dem Volke meinen. Zögern Sie nicht einen Augenblick, zu gewähren, vollständig zu gewähren. Besonnene Männer, Königliche Hoheit, sagen Ihnen hier, daß die Aufregung einen furchtbaren Charakter angenommen hat. Bewaffneter Zuzug aus den Nach¬ barstädten ist bereits vorhanden; schon wird man mit dem Gedanken einer Los- trennnng vertraut und kennt recht wohl das Gewicht der vollendeten Thatsache. Königliche Hoheit, gewähren Sie! Lenke Gott Ihr Herz! Das war der Stil, in welchen: man damals bat. (Schluß folgt.) Unpolitische Briefe aus Wien. 2. Unsre Dichter. on einer nationalen Wirksamkeit, von einer nationalen Stellung des deutschen Dichters wird man heute nicht leicht sprechen können. Fast jeder gehört nur einem kleinen Kreise an, nur in diesem weiß man von ihm, lobt ihn oder tadelt ihn, von der ^Koterie wird er getragen, für sie muß er schaffen und leben, ins ^"ik hinaus dringt nur selten ein Ton von seinem Psalter. Die deutschen Dichter unsrer Generation sind so gleichweit entfernt von dem erhabenen Amte mich Propheten und Lehrers, das zu manchen Zeiten, bei manchen Völkern der Dichter geübt hat, wie von der problematischen Existenz, in der das poetische Genie in andern Perioden dahinzuleben gezwungen war. Weder mit Verehrung noch mit Geringschätzung begegnet man ihnen heute, eher mit Gleich¬ artigkeit oder höchstens mit einer Art naiven Erstaunens, naiver Neugier; so wenigstens die mittleren Schichten, das eigentliche Volk. Auch die Aristokratie hat aufgehört, sich für Poeten und schöne Geister zu interessiren; nur in den Salons der Großindustriellen und der Finanzwelt werden sie als Modestücke wuner noch gern gesehen. Da die meisten auch im Dienste der Tagesliteratur stehen, so haben sie gewöhnlich ihr leidliches Auskommen, ja nicht selten eine ^hr behagliche Existenz. Freilich verweisen sie trotzdem immer wieder auf Frankreich und England, wo literarische, wo dichterische Qualitäten ganz anders ^schützt würden als hierzulande. Daß dort überhaupt andre Verhältnisse "^stehen, Staat und Bürgerschaft reicher sind, auch für andre Dinge weitaus größere Summen aufgewendet werden können als bei uns, bedenken sie nicht "der ignoriren sie, und jeder findet eS ungerecht, daß er nicht wenigstens das

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_194675/527>, abgerufen am 12.11.2024.