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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal.

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Literatur.

zu beachten fehlt Geduld und Gabe. Platzen jedoch die Geister aufeinander, dann
holt man dich schnell als Prügeljungen hervor. So behauptete der Abgeordnete
Kayser in der Rcichstagssitzung vom 31. Januar, der Abgeordnete von Köller habe
,,mit seiner unverfrorenen Logik" den Schluß gezogen, daß er (Kayser) zur Anar¬
chistenpartei gehöre, worauf von Köller entgegnete: Besser eine unverfrorene Logik
als eine "eingefrorene." Soviel Heiterkeit auch solche Witzgefechte bei der großen
Masse erwecken mögen, auf den denkenden Menschen machen sie einen recht nieder¬
schlagenden Eindruck. Zieht denn irgendjemcmd Schlüsse mit seiner Logik? Nein,
jeder zieht sie doch mit seinem Verstände oder, wie andre wollen, mit seiner Ver¬
nunft. Die Logik will wohl lehren, wie überhaupt Schlüsse gezogen werde" und
wieviel giltige Schlußnrteu es giebt, aber sie kümmert sich nicht um den Inhalt,
nicht um den wirklichen Wert der Prämissen, aus denen die Konklusion folgt.
Hat einer falsche Prämissen aufgestellt, so widerlege man dieselben durch Aufzeigen
der Thatsachen; hat er aus richtigen Prämissen die Konklusion falsch abgeleitet, so
zeige man logisch, welche sMgeür vorliegt. Aber auf die Logik eines schließenden
(als ob jeder seine besondre hätte!) blindlings mit Worten loszuschlagen, das ist
doch Böotergeschwätz, ganz unwürdig des "Volkes der Denker." Man konnte Wohl
sagen -- vorausgesetzt, daß man das thörichte Wort "unverfroren" überhaupt
acceptirt --, daß bei einem Denker die Gedanken unverfroren seien, wenn er keck
mit seineu Behauptungen vorgeht, und daß bei einem andern die Gedanken einge¬
froren seien, wenn er sich sträubt, Folgerungen anzuerkennen, die man zu ziehen
berechtigt ist. Aber eine "unverfrorene Logik" oder eine "eingefrorene" -- vor
solchen verwahrlosten Redensarten sollte man doch zurückschrecken.




Literatur.
Noumena von Kr. Franz Staudinger. Darmstndt, L, Brill, 1884.
Kants Dinge an sich und sein Erfahrungsbegriff von M, W, Drobisch, Hamburg und
Leipzig, L, Voß, 1335.

Zwei Schriften, welche in den Streit um deu kantischen Begriff der Dinge
an sich und zwar gegen die bezüglichen Behauptungen Kuno Fischers eintreten.
Beide wollen nachweisen, daß Dinge an sich als den Erscheinungen zu gründe
liegend folgerecht an den Grenzen der kantischen Kritik sich vorfinden müssen, und
daß Kant keineswegs durch Aufstellung seines Beweises für die objektive Realität
der äußeren Anschanung von sich selbst abgefallen sei. Die Darlegungen Stan¬
dingers leiden bei bester Absicht an einiger Schwerfälligkeit und sind nicht ganz
durchsichtig, die von Drobisch sind angenehm zu lesen und leicht verständlich. Was
des letzteren weitere Ausführungen über Kants Erfahrungsbegriff betrifft, so dürfte
wenn er auch mit Recht einzelnes an kantischen Ansprüchen tadelt, doch im
ganzen nicht Recht haben; er verkennt offenbar den Unterschied zwischen dem
physischen Begriff an wirklich gemachter Erfahrung, auf dem die Naturwissenschaften
süßen und dem auch Kant auf dem Boden derselben vollständig zustimmt, und zwischen
dem metaphysischen Begriff von überhaupt möglicher Erfahrung, den auf- und


Literatur.

zu beachten fehlt Geduld und Gabe. Platzen jedoch die Geister aufeinander, dann
holt man dich schnell als Prügeljungen hervor. So behauptete der Abgeordnete
Kayser in der Rcichstagssitzung vom 31. Januar, der Abgeordnete von Köller habe
,,mit seiner unverfrorenen Logik" den Schluß gezogen, daß er (Kayser) zur Anar¬
chistenpartei gehöre, worauf von Köller entgegnete: Besser eine unverfrorene Logik
als eine „eingefrorene." Soviel Heiterkeit auch solche Witzgefechte bei der großen
Masse erwecken mögen, auf den denkenden Menschen machen sie einen recht nieder¬
schlagenden Eindruck. Zieht denn irgendjemcmd Schlüsse mit seiner Logik? Nein,
jeder zieht sie doch mit seinem Verstände oder, wie andre wollen, mit seiner Ver¬
nunft. Die Logik will wohl lehren, wie überhaupt Schlüsse gezogen werde« und
wieviel giltige Schlußnrteu es giebt, aber sie kümmert sich nicht um den Inhalt,
nicht um den wirklichen Wert der Prämissen, aus denen die Konklusion folgt.
Hat einer falsche Prämissen aufgestellt, so widerlege man dieselben durch Aufzeigen
der Thatsachen; hat er aus richtigen Prämissen die Konklusion falsch abgeleitet, so
zeige man logisch, welche sMgeür vorliegt. Aber auf die Logik eines schließenden
(als ob jeder seine besondre hätte!) blindlings mit Worten loszuschlagen, das ist
doch Böotergeschwätz, ganz unwürdig des „Volkes der Denker." Man konnte Wohl
sagen — vorausgesetzt, daß man das thörichte Wort „unverfroren" überhaupt
acceptirt —, daß bei einem Denker die Gedanken unverfroren seien, wenn er keck
mit seineu Behauptungen vorgeht, und daß bei einem andern die Gedanken einge¬
froren seien, wenn er sich sträubt, Folgerungen anzuerkennen, die man zu ziehen
berechtigt ist. Aber eine „unverfrorene Logik" oder eine „eingefrorene" — vor
solchen verwahrlosten Redensarten sollte man doch zurückschrecken.




Literatur.
Noumena von Kr. Franz Staudinger. Darmstndt, L, Brill, 1884.
Kants Dinge an sich und sein Erfahrungsbegriff von M, W, Drobisch, Hamburg und
Leipzig, L, Voß, 1335.

Zwei Schriften, welche in den Streit um deu kantischen Begriff der Dinge
an sich und zwar gegen die bezüglichen Behauptungen Kuno Fischers eintreten.
Beide wollen nachweisen, daß Dinge an sich als den Erscheinungen zu gründe
liegend folgerecht an den Grenzen der kantischen Kritik sich vorfinden müssen, und
daß Kant keineswegs durch Aufstellung seines Beweises für die objektive Realität
der äußeren Anschanung von sich selbst abgefallen sei. Die Darlegungen Stan¬
dingers leiden bei bester Absicht an einiger Schwerfälligkeit und sind nicht ganz
durchsichtig, die von Drobisch sind angenehm zu lesen und leicht verständlich. Was
des letzteren weitere Ausführungen über Kants Erfahrungsbegriff betrifft, so dürfte
wenn er auch mit Recht einzelnes an kantischen Ansprüchen tadelt, doch im
ganzen nicht Recht haben; er verkennt offenbar den Unterschied zwischen dem
physischen Begriff an wirklich gemachter Erfahrung, auf dem die Naturwissenschaften
süßen und dem auch Kant auf dem Boden derselben vollständig zustimmt, und zwischen
dem metaphysischen Begriff von überhaupt möglicher Erfahrung, den auf- und


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_194675/383>, abgerufen am 12.11.2024.